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Ein Gentiluomo als Bahnbrecher

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Während der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts kam immer wieder eine alte Bäuerin in den Ort Pirnitz bei Iglau, um selbstverfertigte Stickereien zu verkaufen. Auf „Pepo“, den kleinen Sohn des Gutsverwalters Hoffmann, machten diese bunten Erzeugnisse der Heimindustrie solch tiefen Eindruck, daß er sich noch in viel späterer Zeit genau daran erinnerte. Der unbekannten rustikalen Stickerin dankte Josef Hoffmann die ersten Begriffe vom Ornament. Er selbst freilich gab diesem Ornament im Verlauf seines langen Schaffens in einer unbegrenzten Vielfalt der Erfindung und Variation von den strengsten bis zu spielerischen Formen immer das Flair des Großstädtischen, des ästhetischen Vergnügens eines gehobenen Kulturkreises. Man bezeichnete Hoffmann als den Schöpfer eines neuen „Wiener Stils“.

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Während der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts kam immer wieder eine alte Bäuerin in den Ort Pirnitz bei Iglau, um selbstverfertigte Stickereien zu verkaufen. Auf „Pepo“, den kleinen Sohn des Gutsverwalters Hoffmann, machten diese bunten Erzeugnisse der Heimindustrie solch tiefen Eindruck, daß er sich noch in viel späterer Zeit genau daran erinnerte. Der unbekannten rustikalen Stickerin dankte Josef Hoffmann die ersten Begriffe vom Ornament. Er selbst freilich gab diesem Ornament im Verlauf seines langen Schaffens in einer unbegrenzten Vielfalt der Erfindung und Variation von den strengsten bis zu spielerischen Formen immer das Flair des Großstädtischen, des ästhetischen Vergnügens eines gehobenen Kulturkreises. Man bezeichnete Hoffmann als den Schöpfer eines neuen „Wiener Stils“.

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Wienerisch an ihm war in diesem Sinn das Noble, die innere, gefühlsmäßige Bindung an zeitlos gewordene Überlieferungen des Biedermeiers. Vor den Goldgrund der Klimt-Epoche gestellt, propagierte er für die Raumkunst den einfachsten und zugleich raffiniertesten Farbkontrast: Schwarz-Weiß. „Quadratei-Hoffmann!“ rügten Gegner. Er antwortete mit einer Fülle dekorativer Ideen.

Seine eigenen Lehrer an der Architekturklasse der Wiener Akademie: episodisch Karl Hasenauer, Repräsentant der alten Schule, dann entscheidend Otto Wagner. In dessen Atelier arbeitet der junge Mährer am Stadtbahnbau. Damals schließt er ein Bündnis mit den Kollegen Joseph Maria Olbrich, Jan Kotera, Friedrich Pilz und den Malern Kolo Moser, Max Kurzweil und Leo Kainradi. „Siebener-Club“ nennt sich die Gruppe, das Wort „Club“ verleiht ihr eine gewisse kavaliersmäßige Note, stolz setzt jeder aus der kleinen Runde fortan die ganz modern anmutende Chiffre „C 7“ neben seine Signatur.

Der direkte Weg fürt zur Wiener „Secession“, Hoffmann wird einer ihrer Begründer. Bald leiten Aufträge für Ausstellungsgestaltung die Entwicklung zu größeren Aufgaben ein: das „Ver-Sacrum-Zimmer“ ist bereits ein typisches Interieur Hoff- mannschen Gepräges. Es folgen auf diesem Gebiet der adäquate Rahmen für die Ausstellung von Werken Max Klingers (1902), die berühmte „Kunstschau Wien 1908“ und zahlreiche andere Arbeiten im In- und Ausland.

Schon 1899 als Professor an die Wie-

ner Kunstgewerbeschule berufen, hatte der junge Architekt ebenso wie sein ungemein lebendiger vielseitiger Intimus Kolo Moser Kontakte mit dem damals richtungweisenden neuen englischen Kunstgewerbe. Hoffmann importiert für eine Schau nicht nur Objekte, sondern auch die Idee. Der Gedanke gewinnt — wie könnte es im Wien jener Tage anders sein! — an den Marmor- tischerln eines Kaffeehauses Gestalt. Tres faciunt collegium: der dritte ist hier Fritz Waemdorfer, Bankier, von den Schöpfungen des kühnen Schotten Charles Rennie Mackintosh begeistert und durchaus bereit, das finanzielle Risiko für die Verwirklichung eines ähnlichen Vorhabens in der Heimat zu übernehmen.

1903 kommt es zur Gründung der „Wiener Werkstätte“ unter Hoffmanns Leitung. „WW“ — das bedeutet: nahezu drei Jahrzehnte Geschichte europäischer Lebens- und Geschmackskultur. „Wir gehen vom Zweck aus, die Gebrauchsfähigkeit ist unsere erste Bedingung, unsere Stärke soll in guten Verhältnissen und in guter Materialbehandlung bestehen“, schreibt Hoffmann im prinzipiellen Arbeitsprogramm. Dem Spiritus rector gelingt es, die Kräfte des alten Wiener Handwerks wiederzuerwecken. Helga Malmberg, damals eine junge Dame aus dem Kreis Peter Altenbergs, erinnert sich: „In allen Abteilungen waren hervorragende Meister ihres Fachs an der Arbeit. Zwischen den entwerfenden Künstlern und den ausführenden Handwerkern herrschte ein liebenswürdiger, kameradschaftlicher Ton. Die Arbeiter hatten genausoviel Geschmack wie die Künstler.“

In diese Zeit fällt auch die erste Phase von Hoffmanns architektonischem Schaffen. Er übernimmt Aufgaben kollektiver ebenso wie individueller Zweckbestimmung. Vorbildliches für seine Epoche leistet er mit der Planung und Ausführung des Sanatoriums in Purkersdorf. Aber seine Liebe gehört dem Landhaus, der Villa Suburbana, dem Wohnbereich, der Pergola und Gartenanlagen einschließt. Hoffmann baut nach dem Maß der privaten Einzelpersönlichkeit Villen auf der Hohen Warte und in anderen Teilen des 19. Bezirks. Den frühen Höhepunkt dieser Entwicklung setzt er in den Jahren 1904 bis 1911: Am Stadtrand von Brüssel entsteht das große Tusculum für den belgischen Industriellen Alphonse Stoclet, ein vollendetes Gesamtkunstwerk, wohl eine der letzten Bauschöpfungen, bei der die freie, verschwenderisch gestaltende Phantasie den bruchlosen Einklang mit realen Erfordernissen findet, das letzte traumhaft schöne Palais in einer Ära, die keine Schlösser mehr baut, ein spätes innerlich wahres Denkmal des Strebens nach Repräsentation. Weltliches Sanctuarium in der Flucht der Räume: der Speisesaal mit den Friesen Gustav Klimts. „Une maison pour les anges!“ sagen noch Stoclets Erben.

Später wandelt Hoffmann diesen feudalen Grundgedanken bei den großen Villen Ast und Primavesi in

Wien ab, für das Haus Primavesi schafft Anton Hanak die Giebel- und Gartenplastiken. Leider wurde die Chance versäumt, in Österreich einen Bau vom Rang des Palais Stoclet zu errichten. Arthur Krupp z. B., der die Mittel dafür besessen hätte, wandte seine Mäzenatengunst lieber konventionellen Architekten zu.

Josef Hoffmann, als Bahnbrecher der Moderne ohne die kategorsische Härte seines Gegenpols Adolf Loos, kein Polemiker, sondern vielleicht der letzte wienerische Gentüuomo der Kunst, trägt nach 1918 mit dem gleichen vollen Einsatz und der Ruhe eines großen Herrn den Lebensgesetzen der neuen Zeit Rechnung. 1930 projektiert er Terrassenhäuser, sein Bauen und Wirken ist ein einziges „Humanprogramm“. Bis ins hohe Alter kennt er keinen Stillstand als gestaltende und erzieherische Potenz. Während Gesprächen ruht der Stift fast nie, zeichnet dekorative Entwürfe und Detailskizzen aufs Papier. Hoffmanns Formwille umfaßt alle Materialien, die seinen Anforderungen entsprechen: Glas ebenso wie Leder, Metall und Textil. Seinen Schülern aus der Nachkriegsgeneration der vierziger Jahre rät er eindringlich: „Kinder, macht etwas, arbeitet, versucht, laßt euch nicht beirren, wenn vieles dann nicht brauchbar ist. In der Summe wird dabei doch wieder Neues herauskommen!" Am 7. Mai 1956 stirbt Hoffmann in Wien. Bis zuletzt auch im Wandel sich selbst und seiner Devise getreu: „Unerschütterlicher Wille, schöpferische Kraft, Erfindungsgabe und Be- getsterungsfähigkeit sind die Quellen wahren Lebens.“

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