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Ein Gentleman zwischen Nachbiedermeier und Fin de siede

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„Nach der Eisenbahnfahrt von Dresden kam ich an einem trüben Novembermorgen im altmodischen .Römischen Kaiser* an. Der Blick durchs Fenster über die vom ersten Schneefall dieses Winters im Matsch schwimmende Freyung und zur breit gelagerten Fassade des Palais Har- rach, das man hinter Nebelschleiern gerade noch ausnehmen konnte, wirkte kaum sonderlich aufmunternd.“

Das waren die ersten, zum Glück nicht entscheidenden und bleibenden Wiener Eindrücke des jungen Diplomaten Horace Rumbold, der im Spätherbst 1856 als Attache zur britischen Gesandtschaft in der Reichshaupt- und Residenzstadt versetzt wurde. Sir Horace, wie er in reiferen Jahren geadelt hieß, ein weitläufiger Gentleman, 1829 in Kalkutta geboren und größtenteils in Frankreich und Deutschland aufgewachsen, hatte durch seine Freundschaft mit der Familie Metter-

nich-Sändor bereits private Beziehungen zu Österreich.

In Memoiren, die er dann um die Jahrhundertwende unter dem Titel „Recollections of a Diplomatist“ in London veröffentlicht, entwirft er ein aus persönlichen Beobachtungen, Impressionen und Milieustudien gefügtes, sehr lebendiges Bild jener noch nachbiedermeierlichen Ära. Rum- bolds Sicht der Dinge ist voller Sympathie und zeigt eine bis in die lokalen Details akkurate gründliche Kenntnis der Verhältnisse. Dennoch versteht es der Autor, in britischer Fairneß den richtigen Abstand zu wahren. Der Weitgereiste, der genug Vergleichsmöglichkeiten hat, gibt in vielem Wien den Vorzug vor anderen Städten, die er kennenlemte. Ja sogar dem damaligen Shakespeare-Stil des Burgtheaters in puncto Inszenierung und schauspielerischer Auffassung in den Königs dramen zollt er uneingeschränktes Lob - und das will bei einem Engländer viel heißen! Aber-Ho- race Rumbold dachte eben nie insular. Zudem: es war nicht etwa diplomatische Höflichkeit, die ihm solch günstige Urteile diktierte, sondern persönliche Überzeugung, denn er schrieb seine Erinnerungen für eine englische Leserschaft.

Trockene Ironie, eine der hervorstechendsten Wesenszüge dieses Vikto- rįaners, kommt bei Charakterstudien aus dem Bereich der hohen Politik zur Geltung:

„Zum Glück hatte das Wiener Kabinett einen guten Außenminister. Graf Buol-Schauenstein war eine einzigartige Mischung von Gewandtheit und Verbindlichkeit im öffentlichen Auftreten und unerträglicher Arroganz im Privatleben. Sein Handschlag gebührte nur Botschaftern der Großmächte, drei Finger reichte er den Geschäftsträgern kleinerer Königshöfe, bisweilen streckte er, als Zeichen seiner Gnade, einem Charge d’affaires den Zeigefinger hin und die unteren Ränge des diplomatischen Dienstes ignorierte er einfach.“

Mathilde Wildauer, eine gefeierte Mezzosopranistin des Kärntnertortheaters, schätzt der Attache als die ideale Verkörperung der Wienerin und findet sie „noch“ sehr attraktiv - obgleich sie „bereits“ eine Dreißigerin ist!

„Bei ihr traf ich manchmal Terpsichore ,en retraite* in der Gestalt Fanny Elßlers, damals schon an die Fünfzig, aber noch immer sehr einnehmend und von bezauberndem damenhaftem Charme. Fanny scharte einen Kreis hochbetagter Verehrer um sich, wie den alten Feldmarschall Wallmoden, den General Reischach und andere Paladine, die sie alljährlich an ihrem Geburtstag zum Diner einlud. Beim Dessert zog sie sich dann zurück, um gleich darauf im spanischen Kostüm wieder zu erscheinen und noch einmal - zum Ergötzen dieser getreuen alten Garde - die herrliche Cachucha zu tanzen, mit der sie ein volles Vierteljahrhundert früher sie alle und Tausende mehr zum erstenmal betört und in Bann geschlagen hatte. Ich selbst war bei diesen Darbietungen nie zugegen, aber mich dünkt, daß sie etwas Naiv- Rührendes gehabt haben müssen.“

Dafür ist Rumbold unter den Zuschauern, als im Jänner 1858 der Kondukt Radetzkys seinen Weg zum Nordbahnhof nimmt, von wo ein Zug den Leichnam des Feldherrn zur Bestattung auf dem Heldenberg nach Wetzdorf bringt.

„Ich beobachtete den Cortėge aus dem Fenster einer Wohnung in der Leopoldstadt. Es war ein kalter, düsterer Tag, scharfe Windstöße trieben leichte Flockenwirbel dahin. Stundenlang zogen die Truppen vorbei: Reiterei, Fußvolk und Artillerie, alfe in feldmäßiger Winteruniform, ohne Gold und Glanz.“ Irrig vermerkt Rumbold, Radetzky werde in der böhmischen Familiengruft beigesetzt.

Eine türkisch-montenegrinische Krise bedingt eine offizielle Reise des jungen Diplomaten an die Adria. Bald darauf muß er die ihm so liebgewordene Sphäre Wiens verlassen. Turnusgemäß entsendet ihn das Londoner Außenamt 1858 auf einen anderen Posten. Allerdings hätte sich der Attachė bei seinen Spaziergängen durch die Innere Stadt kaum träumen lassen, daß ihn das Schicksal nach den Ratschlüssen des Foreign Office gleich bis nach Peking verschlagen sollte. Aber es war kein Abschied für immer.

Als junger Bonvivant war Horace Rumbold am Anbruch der Ringstra- ßen-Ära von der diplomatischen Bühne Wiens abgegangen, als Pere noble betritt er sie Anno 1896 wieder. Er kommt nun aus Den Haag und hat den goldgestickten Frack eines Botschafters Ihrer Britannischen Majestät im Reisegepäck.

„Es fallt mir schwer, die Empfindungen, die mich bei der Rückkehr an einen Ort bewegten, den ich so gut kenne und so liebe wie Wien, in bündige Form zu fassen - einer Rückkehr nach so langer Zeit und in ganz ande-

rer beruflicher Eigenschaft. Das beherrschende Gefühl war und blieb natürlich eine gewisse Wehmut. Die Tatsache, daß man selbst ein anderer geworden, ließ sich nicht übersehen, und in der alten Kaiserstadt hatte sich ein tiefgreifender Wandel vollzogen.“

Als Sir Horace in der Hofburg sein Beglaubigungsschreiben überreicht, empfängt ihn Kaiser Franz Joseph „comme une trės ancienne connais- sance“ - sie stehen ja fast genau im gleichen Alter - und erörtert mit ihm im Verlauf einer ungewöhnlich langen Audienz die britischen Operationen im Sudan, die den Monarchen sehr interessieren.

Unter seinen ausländischen Kollegen kommt sich Rumbold just wie Rip van Winkle aus Washington Irvings berühmter Novelle vor, jener Mann, der ęchier hundert Jahre verschlafen hatte. Sir Horace geht auf die Suche nach der verlorenen Zeit Seine Erinnerungen verbinden ihn noch mit dem Wien Waldmüllers und Nestroys, doch nun befindet er sich plötzlich in der Stadt Klimts und Schnitzlers. Die Makart-Epoche hat er ganz übersprungen.

1897 wird er zur Frühjahrsparade auf der Schmelz geladen, als Ehrengast erscheint der junge Kaiser Wilhelm II. „Dieser Staatsbesuch, nahezu am Vorabend der Abreise Kaiser Franz Josephs nach St. Petersburg, sollte zweifellos den unverbrüchlichen Bestand des Bündnisses zwischen der Doppelmonarchie und dem Deutschen Reich dokumentieren.“

Deutscher Botschafter ist damals Philipp Graf (später Fürst) zu Eulenburg, ein gebüdeter, sehr-musischer Kavalier, Komponist der zu seiner Zeit vielgespielten „Rosenlieder“ und Intimus Wilhelms II., der - man schreibt immerhin erst das Fin de siede! - mit seinem Wiener Geschäftsträger von Berlin aus lange Telephongespräche zu führen pflegt.

„Ich war sehr häufig mit dem Grafen Eulenburg zusammen. Er konnte ein sehr angenehmer Gesellschafter sein und diente, wie ich glaube, seinem Vaterland auf einem äußerst heiklen Posten mit viel Takt und großen Fähigkeiten.“

„Allerdings habe ich den Eindruck, daß er unklugerweise bei den .Bierabenden“, zu denen er einmal wöchentlich Künstler und Schriftsteller von Rang sowie Reichsratsabgeordnete einlud, etwas zu weit ging. Diese sicherlich interessanten, zwanglosen Herrentreffen boten Mißgünstigen den Anlaß zu der Behauptung, die Deutsche Botschaft sei ein Sammelpunkt für Unzufriedene, die sich zurückgesetzt wähnten und pangerma- nistische Tendenzen verfolgten. Dennoch wurde ihm das Großkreuz des St.-Stefans-Ordens verliehen - eine hohe Auszeichnung, die er, wie man sagte, dem Geschick verdankte, mit dem er die peinliche Verstimmung in Wien nach der Aufdeckung von Bismarcks Rückversicherungsvertrag mit Rußland elegant bereinigte.“

Von den Ereignissen der internationalen Politik in Atem gehalten - es kommt zu einer Kreta-Krise, die das Eingreifen der Großmächte erfordert -, rüstet Sir Horace 1897 zu einem großen Fest: das Empire feiert das diamantene Regierungsjubiläum seiner Königin. Zum eigentlichen Termin stattet der Kaiser dem Botschafter eine Höflichkeitsvisite ab, dem besonderen Anlaß gemäß trägt Franz Joseph die Uniform der King’s Dragoon Guards, deren Oberstinhaber er ist. Bald lemt Rumbold jenen Habsburger kennen, der während seiner Zeit als Attachė noch gar nicht geboren war, nun aber zur Schlüsselfigur der Geschicke Österreich-Ungarns wird: Thronfolger Franz-Ferdinand.

„Der Erzherzog, obgleich nicht eine so blendende Erscheinung wie sein jüngerer Bruder Otto, ist ein sehr gut aussehender, eher versonnen wirken-

der Mann. Man hat ihm, wohl zu Recht, sehr entschiedene Ansichten nachgesagt und sicherlich lieferte er Beweise von Willensstärke und Beharrungsvermögen, aber es wäre vermessen, sich schon ein Urteil über ihn bilden zu wollen. Wenn man mich befragt, was oft geschieht, kann ich nur antworten, daß er bis jetzt ein fast unbekannter Faktor in der Rechnung ist. Er selbst und die Zukunft einer hart bedrängten Monarchie können am besten mit einer gebräuchlichen deutschen Wendung charakterisiert werden: ein großes Fragezeichnen.“

Aufmerksam verfolgt Sir Horace in jenem politisch turbulenten Jahr 1897 die erbitterten parlamentarischen Fehden der Ära Badeni, manchmal findet er Zeit zum Besuch der Albertina oder zu kurzen Exkursionen in die Umgebung der Stadt. Lebhaft bedauert er, daß keine Audienz bei der Kaiserin möglich ist. Und dann erfährt er aus Genf von dem Attentat.

„ ,Es ist vielleicht am besten so, daß Sie Ihre Majestät nicht wiedergesehen haben*, sagte mir eine ihrer Vertrauten, die wußte, daß ich die hohe Frau vor etwa vierzig Jahren im ganzen Zauber ihrer Jugend erblickt hatte. Und es ist in der Tat gut, daß sie für jene Menschen, denen sie so erschienen war, nur eine Erinnerung bleiben sollte: eine Traumgestalt vollendeter kaiserlicher Schönheit.“ Hier spricht sich der Zeitgeist aus, der, weit über die Grenzen Österreichs hinaus, Elisabeth zur Allegorie einer ganzen Empfindungswelt unruhig suchender Seelen erhob.

Eine Grundstimmung von Melancholie und Abschied umgibt den Alternden kurz vor 1900. In den Aristokratensalons findet er einstige Freunde oft nur mehr in effigie Wieder, als Ahnenporträts. Wie so viele einheimische Zeitgenossen spürt auch Rumbold, daß Johann Strauß’ Tod im

Sommer 1899 das Ende einer ganzen Epoche mit ihrem spezifischen Lebensgefühl und ihren ureigensten Daseinsformen bedeutet. „Ich hatte ihn noch wenige Monate zuvor gehört und gesehen, als er beim Benefizkonzert seines Bruders Eduard zum letztenmal öffentlich auftrat Der alte Herr stieg sehr steifbeinig und mit einiger Mühe inmitten eines Beifallssturms zum Podium empor. Aber dann dirigierte er einen neuen eigenen Walzer mit allem unnachahmlichen Brio und Schwung seiner Jugend,“ „ Besonders freut sich Sir Horace über die Begegnung mit dem bereits damals legendären Slatin-Pascha; sie besprechen das aktuellste, in Österreich heftig umstrittene Ereignis der Weltpolitik: den Burgenkrieg. Die

Fronleichnamsprozession gehört für den Botschafter zu den festlichen Eindrücken des Jahres 1900, ein Ritualmord in Böhmen und antisemitische Ausschreitungen sind düstere Vorboten künftiger Entwicklungen. Europas Aufmerksamkeit verlagert sich von Ohm Krüger und General Kitchener auf einen neuen Unruheherd. In China wüten die Boxer.

Nach dem Großen Derby in der Freudenau bereitet sich der Einund- siebzigjährige auf die Amtsübergabe vor. Er sollte noch dreizehn Jahre als Privatmann zu erwarten haben.

Vieles war seit-jenem fernen Novembertag geschehen, als Rumbold in den Nebel einer fremden Stadt blickte. Ihre großen Wendephasen hat er miterlebt und in einzelnen Kapiteln seiner Bücher nachgezeichnet. So steht viel mehr als bloße sachliche Feststellung hinter dem scheinbar nüchternen Satz, mit dem Sir Horace seine Memoiren beschließt:

„Ich verließ Wien am 16. September 1900 - einundfünfzig Jahre und einige Tage nach meinem Eintritt in den Diplomatischen Dienst.“

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