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Ein guter Christ - ein großer Papst

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Seine Persönlichkeit hat nicht nur in der katholischen Kirche, sondern auch bei Fernstehenden und Nichtgläubigen tiefen Eindruck hinterlassen, manche meinen wir hätten sein verpflichtendes Erbe aus den Augen verloren.

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Seine Persönlichkeit hat nicht nur in der katholischen Kirche, sondern auch bei Fernstehenden und Nichtgläubigen tiefen Eindruck hinterlassen, manche meinen wir hätten sein verpflichtendes Erbe aus den Augen verloren.

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Die wahre Lehre… soll.

im Licht der modernem Forschungen und der Sprache des heutigen Denkens dargelegt und erforscht werden. Man muß die Substanz der alten Lehre und des Glaubensschatzes von der Formulierung ihre sprachlichen Einkleidung unterscheiden … Am Beginn des ökumenischen Konzils ist es vollkommen klar, daß die Wahrheit des Herrn in Ewigkeit bestehen bleibt. Wir sehen ja, wie im Laufe der Zeiten die widersprechendsten Meinungen der Menschen sich gegenseitig ablö- sen und wie die Irrtümer, kaum daß sie entstanden sind, wie Nebel vor der Sonne dahinschwinden. Die Kirche hat diesen Irrtümern immer widersprochen. Oft hat sie sie mit größter Schärfe verurteilt. Heute hingegen macht die Braut Christi lieber vom Heilmittel der

Barmherzigkeit als von der Strenge Gebrauch. Sie möchte den Nöten der gegenwärtigen Welt dadurch entgegenkommen, daß sie die Gültigkeit ihrer Lehre aufweist und nicht so sehr Verdammungen ausspricht —“

Mit diesen Worten hatte Papst Johannes XXIII. im Oktober 1962 das II. Vatikanische Konzil eröffnet. Er gab damit nicht nur dem Konzil, sondern der ganzen Kirche eine Wegweisung, die bis heute weiterwirkt. Vor zwanzig Jahren, am 3. Juni, dem Pfingstmontag 1963, starb Johannes XXIII., beweint von einer Million Menschen, die tief ergriffen auf dem Petersplatz im Gebet sein Sterben begleitet hatten, beweint und betrauert aber auch — weit über die katholische Kirche hinaus — von ungezählten Menschen in aller Welt.

Am 28. Oktober 1958 als Nachfolger Pius XII. zum Papst ge-

wählt und allgemein wegen seines schon fortgeschrittenen Alters als „Ubergangspapst“ betrachtet, hatte Johannes XXIII. in den nicht einmal fünf Jahren seiner „Regierungszeit“ (welch unpassendes Wort bei diesem demütigen Diener der Kirche und der Menschen!) die geistige Landschaft in der katholischen Kirche und zum Teil auch in der nichtkatholischen Welt entscheidend verändert. Mit dem Elan eines Jungen nahm er eine tiefgreifende Erneuerung der Kirche in Angriff. Fenster und Türen der Kirche sollten aufgestoßen werden und frischer Wind durch das Haus der Kirche streichen. Er forderte das sogenannte „Aggiornamento“, die Anpassung der Kirche an die Erfordernisse der modernen Zeit.

Obwohl schon im Greisenalter stehend, faßte er den ungeheuer kühnen Entschluß, nach fast einem Jahrhundert wieder ein ökumenisches Konzil abzuhalten, das sowohl die Erneuerung der katholischen Kirche umfassend vorantreiben als auch den Weg für eine Annäherung der getrennten und damals zum Teil noch verfeindeten christlichen Konfessionen bahnen sollte. Er erlebte nur die erste der vier Konzilssessionen, doch der noch heute so gerühmte Geist dieser Kirchenversammlung trug bis zum Schluß den Stempel der Persönlichkeit des Roncalli-Papstes.

Johannes XXIII. begegnete jedoch nicht nur den anderen christlichen Glaubensgemeinschaften, mit tiefer Achtung, sondern Über haupt allen Menschen jeglicher Religionszugehörigkeit, Weltanschauung und politischer Überzeugung. Als erster Papst empfing er einen Exponenten der Sowjetunion, nämlich Chruschtschows Schwiegersohn Adschu- bej und dessen Frau, die sich beide tief bewegt von der Güte und Menschlichkeit Johannes XXIII. zeigten. Unter seinem Pontifikat wurde das Klima das Kalten Krieges zwischen der katholischen Kirche und dem kommunistischen Osteuropa überwunden, und es kam zu ersten Gesprächsansätzen zwischen dem Vatikan und den Oststaaten. Das außerordentliche Ansehen, das Johannes XXIII. auch bei den Staatsmännern der Welt genoß, trug vielleicht sogar dazu bei, der Menschheit einen Dritten Weltkrieg zu ersparen: denn ohne Wissen der Öffentlichkeit intervenierte Johannes XXIII. während der dramatischen Kubakrise mit Erfolg bei Kennedy und Chruschtschow.

Seine historischen Enzykliken „Mater et magistrą“ und „Pacem in terris“, in denen er die Vision einer sozial gerechteren und vom Geist des Friedens, der Solidarität und der Zusammenarbeit aller Menschen guten Willens bestimmten Welt entwickelte, fanden weit über die Grenzen der katholischen Kirche hinaus Gehör und außerordentlich positive Re-

sonanz.

Johannes XXIII. lebte wie kaum ein anderer aus dem Geist des Evangeliums. Und bemerkenswerterweise zeigte sich, daß ein einziger Mensch, der sich tatsächlich von der im Evangelium geforderten Zuneigung und Achtung selbst gegenüber historischen und gegenwärtigen Feinden leiten ließ und der mit der Mahnung Christi ernst machte, über dem Splitter im Auge des anderen nicht den Balken im eigenen Auge zu übersehen, daß — auf einen kurzen Nenner gebracht — ein einziger Mensch, der wahrhaft Christ war, alle traditionellen Frontstellungen überwinden konnte.

Nie hatte die Kirche unserer Tage mehr Glaubwürdigkeit als zur Zeit Johannes XXIII. und des von ihm einberufenen Konzils, als sie das Evangelium zum Maßstab ihrer eigenen Erneuerung machte und sich in erster Linie mit den eigenen Fehlern kritisch auseinandersetzte und weniger mit denen der anderen. Nie respektierte man sie auch in anderen religiösen und weltanschaulichen „Lagern“ mehr als in dieser Ära, nie hatte ihre Stimme in der Öffentlichkeit größeres moralisches Gewicht, nie hatte sie bessere seelsorgliche Chancen, auch jene Menschen anzusprechen, die kaum noch am kirchlichen Leben teilgenommen hatten. Wenn die Kirche später wieder manches von dieser ihr entgegengebrachten Sympathie und von den großen seelsorglichen Chancen der Konzilsära verlor, dann verlor sie es in dem Maße, in dem sie sich vom Geist und vom Weg Johannes XXIII. entfernte.

Von Friedrich Hebbel stammte das Wort: „Ein guter Papst mußte von jeher notgedrungen ein schlechter Christ sein.“ Johannes XXIII. war der überzeugendste Beweis für das Gegenteil: Es gibt keinen besseren Papst als einen, der ein guter Christ ist.

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