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Ein Hampelmännchen, das die Zunge zeigt

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Eine der Ursachen für den bundespolitischen Niedergang der ÖVP ist sicher ihre mangelnde Grundsatztreue. Der Föderalismus als vielbeschworener Grundsatz war selbst in der monokoloren Phase zwischen 1966 und 1970 nur ein Hampelmännchen, das seine Zunge zeigte, wenn man an ihm zog. Den Drahtziehern selbst schmeckte der Zentralismus recht gut. Leider hat der Föderalismus auch jetzt nicht viel bessere Bundesgenossen, sieht man ab vom Aufbegehren der Alemannen und akademischen Symposien, die den aufgestauten Dampf auf glatte Schienen bringen.

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Eine der Ursachen für den bundespolitischen Niedergang der ÖVP ist sicher ihre mangelnde Grundsatztreue. Der Föderalismus als vielbeschworener Grundsatz war selbst in der monokoloren Phase zwischen 1966 und 1970 nur ein Hampelmännchen, das seine Zunge zeigte, wenn man an ihm zog. Den Drahtziehern selbst schmeckte der Zentralismus recht gut. Leider hat der Föderalismus auch jetzt nicht viel bessere Bundesgenossen, sieht man ab vom Aufbegehren der Alemannen und akademischen Symposien, die den aufgestauten Dampf auf glatte Schienen bringen.

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Da und dort ist in den Ländern von mehr direkter Demokratie die Rede, aber die Phantasie feiert keine Feste. Der Finanzausgleich und die Kompe- tenzverteilüng sind allzu vordergründige Vehikel. Mit dem Föderalismus will man sozialistische Machtvermehrung verhindern, kitzelt aber höchstens Kreiskys breite Kanzlersohlen.

Ohne eigene Macht ist nicht viel zu holen und ohne durchgängige Haltung auch nicht. Föderalismus ist wenig glaubhaft, wenn er nur gegen Wien verfochten wird und hinterm Grazer Schloßberg versickert. Seine innere Kraft verkommt, wenn man ihn nicht weitergibt und zumindest symbolisch durch die Schließung von Bezirksgerichten untergräbt. Er verliert die Konsequenz, wenn er weitgehenden Minderheitenschutz nicht einschließt (gegenüber den Slowenen z. B.).

Dieser Föderalismus ist eben nicht bloß ein bundesstaatliches Strukturprinzip und eignet sich nicht für parteipolitische Bauchaufzüge. Er ist eine gesellschaftspolitische Überlebensfrage.

Als das Silber noch ein Zahlungsmittel war wie heute, die Banknoten, durfte sich das steirische Zeiring als „Mutter Wiens“ fühlen. Das war im 14. Jahrhundert. Wirtschaftskraft als Selbstbehauptung. Und die landespolitische Symbolkraft des Erzbergs beruhte ebenfalls auf dessen Unentbehrlichkeit für den Gesamtstaat. Die Monopol-Versuche reichen weit zurück. Sie der Sozialdemokratie in die Schuhe zu schieben, ist eine Verzerrung.

Selten dringt man tiefer, weil man ahnt, wie verwirrend das ist. Welcher Föderalismus? Jener des Othmar Spann, der nicht schuldlos, aber unschuldig in Faschismus-Verdacht geriet? Jener des Pierre-Joseph Proudhon, der zeitweise sogar von der extremen Rechten vereinnahmt wurde?

Freilich steht fest: Föderalistisch organisierte Staaten haben die Krisen seit dem Zweiten Weltkrieg besser überstanden. Und dort, wo Diktaturen beginnen, sich in Demokratien zu verwandeln, bleibt der Weg zwar dornenvoll - die Schimmer der Hoffnung jedoch kreisen um die föderalistische Zukunft. Spanien ist ein Beispiel

Die Juristen können und sollen nur kodifizieren, was einer historischen, kulturellen und sozialen Grundlegung bedarf.

Selbst der als Anarchist bekannte Proudhon hielt Zeit seines Lebens die Identität der Familie hoch - dieser Bauembub kam zusammen mit seinem Maler-Freund Courbet nicht los von der unversehrten Landschaft. Seine „Werkstatt“ ist eine idealistische Übertragung in eine human gedachte Welt der Fabriken.

Aus anderem Geist geschnitzt hat Karl Vogelsang zur „industriellen Familie“ gefunden, wo sich.Arbeiter und Besitzer die Leitung teilen, wo sich Fabriken einer Region vereinigen und Delegierte in eine Industriekammer entsenden, die Gesetze für eine überregionale Wirtschaftspolitik erläßt.

In der Reduzierung des Staates auf das absolut Notwendige sind sich katholische Föderalisten und sozialistische Räte einig. Die Aufbrüche zum Kommunismus und zum Faschismus haben ihre Entwürfe zwar zerstört. Aber als Träume haben sie sich da und dort in der Wirklichkeit verbohrt.

Die österreichische Verfassung läßt nicht viel Spielraum. Einen so ausgeprägten Föderalismus wie in der Schweiz öder in der Bundesrepublik Deutschland gestattet sie nicht. Dort, wo die Länder selbst gestalten, dort, wo Tradition und Initiative dualistisch (Spann) oder gar dialektisch (Hegel) wirken, bildet sich sprengende Eigenart aus. Gegenüber Wien hat der „Steirische Herbst“ heute die Funktion Zeirings und des Erzbergs. Die einstige industrielle Macht ist nach Linz ausgewandert. Für die Gesamtwirtschaft war das zweifellos eine richtige Lösung, aber sie illustriert die Gewichtsverschie- bung. Andere Länder bieten andere ' Beispiele.

Was tun? Die Landesverfassungen sind sich im Grund so ähnlich, daß ihre Stromlinien den Zentralismus fördern. Die Hochschulen oder die Gerichtsbarkeit den Ländern zu übertragen, um auch hier (wie in der Kultur) Modelle vorleben zu können, ist offenbar eine irreale Utopie - mit möglichen Negativeffekten: Bei einer Realisierung hätten wir in Vorarlberg vermutlich die Todesstrafe.

Realer sind andere Ansätze:

• Eine radikale Kehrtwendung in der Familienpolitik: Es ist recht mager, sich über mehr Familiengeld zu unterhalten, über ein Hausfrauengehalt und andere pekuniäre Turnübungen. Föderalistisches Denken muß - vor allem in den Ländern - das Klima für einen neuen Familienoptimismus schaffen, der mehr Kinder ermöglicht, Alleinstehende einbezieht und die Wesensverwandtschaft (Wahlverwandtschaft) fördert. Jede landespolitische Gesetzesinitiative ' (Raumordnung, Stadtentwicklung, Sozialhilfe usw.) muß diesen Vorrang durchsetzen.

• Ein Überdenken der Bezirks- Struktur: Angesichts der Mobilität, aber auch des Ruhebedürfnisses (Heimat) sollten zu dieser Thematik „Gehimstürme“ veranstaltet werden. Dazu gehören Ansätze zu Kleingewerbe-Genossenschaften mit Abnahme-Garantien, Ideen zur Gewinnung kleinbäuerlicher Autonomie, eine völlige Neuordnung des Fürsorgewesens, die Propagierung kultureller Blüten (die es auf dem steirischen Land z. B. bereits gibt) - bis hin zur Wahl von Bezirksparlamenten und Bezirkshauptleuten.

• Die Sicherung einer föderalisier- ten Medienlandschaft: Die Medienmonopole entwickeln sich zum Salzmonopol, negativer formuliert: zum Tabakmonopol, mit der Gefahr, daß die Bundesregie kleine Trafiken dirigiert. Ohne zügigen Aufbau von Modellen wird eine Vielfalt nicht erreichbar sein. Kabel-Betriebsgesellschaften sind zuwenig, weil sie durch die internationale Verflechtung letztlich den amerikanisierten Krimi-Mythos transportieren.

Der diskrete Charme des Föderalismus soll eigentlich ein Leuchtfeuer sein, damit man jene, die ihn propagieren, nicht heimleuchten kann. Sonst passiert es immer wieder, daß ihnen am bergigen Horizont ein verirrter Glühwurm erscheint. Dann bleibt eben nichts anderes übrig als das Götz-Zitat.

Dr. Gerfried Sperl ist leitender Redakteur der „Kleinen Zeitung“ Gr azl Klagenfurt und Herausgeber der kulturpolitischen Zeitschrift „Was“.

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