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Ein Hauch von Luxus

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Berlin begeht heuer seinen 750. Geburtstag. Der Ostteil der Stadt präsentiert sich weltoffen. Den Touristen erwartet Luxus. Politik kommt für ihn nur mehr am Rande vor.

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Berlin begeht heuer seinen 750. Geburtstag. Der Ostteil der Stadt präsentiert sich weltoffen. Den Touristen erwartet Luxus. Politik kommt für ihn nur mehr am Rande vor.

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Rechtzeitig zur Feier des 750-Jahr-Jubiläums der ersten urkundlichen Erwähnung Berlins wird dieses Wochenende das Nikolaiviertel im Ostteil der Stadt -offiziell Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik -eröffnet. Seit 1981 läuft der Wiederaufbau dieses städtebaulichen Ensembles zwischen Mühlendamm, Berliner Rathaus, Spreeufer und Palast der Republik an der ältesten Siedlungsstätte Berlins.

Das am 16. Juni 1944 durch Bomben schwer zerstörte Viertel gilt jetzt als Touristenattraktion, an dem kein Berlin-Besucher mehr vorbeikommt. Vergangene Woche wurde es dem finnischen Präsidenten Mauno Koivisto präsentiert, der sich auf Staatsbesuch in der nach internationaler Anerkennung lechzenden DDR befand.

Ost-Berlin feiert bereits seit Beginn dieses Jahres, offiziell wird man das 750. Jahr am 23. Oktober mit einem Staatsakt im Palast der Republik am Marx-Engels-Forum abschließen.

Nach der — in der Sichtweise Qstberlins - äußerst erfolgreichen Reise von Staats- und Parteichef Erich Honecker in die Bundesrepublik Deutschland blickt man in der DDR auf verschiedenen Gebieten optimistisch in die Zukunft: Man glaubt, mit der Friedenspropaganda („Berlin - die Stadt des Friedens“/Auszeichnung des kommunistischen Weltfriedensrates für die Stadt) weltweit reüssieren zu können, setzt weiterhin konsequent auf Reformen und möchte - als Ausfluß dieses Denkens — die DDR als Reiseland bekannt machen und anbieten.

Das Reisebüro der DDR versucht, das Land als kulturelle Attraktion schmackhaft zu machen und bietet mit 32 Interhotels (darunter derzeit fünf der absoluten Luxusklasse) internationalen (Einheits)Komfort.

Zweifellos hat die DDR auf kulturellem Gebiet außerordentlich viel zu bieten. Das betrifft nicht nur die Theater- und Konzertlandschaft Berlins und die architektonischen Zuckerln der sonst in Hochhäusern zerflatternden Hauptstadt, sondern auch Provinzstädte wie beispielsweise Dresden, Weimar und Potsdam.

Wer den Grad der Zerstörung gerade Dresdens kennt, kann nicht genug den Aufbauwillen und die Beziehung zu kulturellen Werten seitens der DDR-Bürger würdigen. Mit unendlicher Kraftanstrengung wurden — nach Behebung der unmittelbaren Wohnungsnot - die Trümmer wieder zu einem sinnvollen Ganzen zusammengefügt. Und aus den noch bestehenden Schutthaufen — der Frauenkirche in Dresden beispielsweise - sollen wieder Kulturdenkmäler erstehen.

Auf Schritt und Tritt begegnet einem in der DDR Vergangenheitsbewältigung. In der Berliner Marienkirche zeigt man das Leben in Berlin seit der Jahrhun- • dertwende, über die Verwüstungen bis zum Neuanfang nach 1945 und läßt die Österreicherin Bertha von Suttner mahnende Worte an das 20. Jahrhundert, die Waffen abzuschaffen, richten. Ganz nahe liegen Menschenwürde und tiefste Menschenverachtung in Weimar beieinander. Am Rande der Stadt Goethes und Schillers, am Ettersberg, ziehen Scharen von Schülern durch das Konzentrationslager Buchenwald, wo der deutsche Kommunistenführer Ernst Thälmann, der österreichisehe Pfarrer Otto Neururer, russische Kriegsgefangene und mehr als 65.000 Lagerinsassen auf bestialische Weise umgekommen sind.

Antifaschismus ist in der heutigen DDR zur Parole geworden. Vielleicht dringt dieser Begriff, von dem auch Prospekte, Reiseführer und Objektbeschreibungen voll sind, bei den jungen Leuten bereits ebenso an den Ohren vorbei, wie die rote Phraseologie, die jetzt — angesichts des bevorstehenden 70. Jahrestages der Oktoberrevolution — wieder aus den Schaufenstern der Ostberliner Geschäfte entgegensticht. Für die Freie Deutsche JUgend (FDJ), Kampfreserve der Partei, ist die Jugend aktiv und frech und versteht sich „sozialistisch“.

Ob das noch jene Mädchen interessiert, die zu Dutzenden an den Wochenendabenden auf dem Boulevard Unter den Linden Autos stoppen, um in die von der FB J geführten oder auch unabhängigen Diskotheken der Vorstädte zu kommen? Was bekommt der Gast in der DDR von der Geschichte des Landes und seiner politischen Realität mit?

Das Programm des Reisebüros der DDR zielt vorläufig auf den ausländischen Gast aus der finanziell potentesten „Klasse“. Der bewegt sich dann in Berlin oder Dresden im Grand Hotel, im Palast Hotel oder im Bellevue in seinen Kreisen, von Hotel-Restaurant zu Hotel-Restaurant, genießt das dortige Fitneß-Angebot, um abends im Deutschen Schauspielhaus oder in der Semperoper etwas Kulturluft zu schnuppern.

Und für kulturell Desinteressierte gibt's immerhin noch den Friedrichstadtpalast in Ostberlin, neueste Errungenschaft des Sozialismus, wo man schon mal nackte Mädchen bestaunen kann.

In der DDR, die jetzt so sehr auf den völkerverbindenden Tourismus setzt, fehlen völlig Mittelklassehotels für den kleinen Mann mit Familie. Diesem Bereich will man sich allerdings erst ab 1990 widmen.

Das 750. Jahr steht jedenfalls für Ostberlin im Zeichen eines Nachholbedarfs auf dem Luxussektor. Und das entspricht auch der größtenteils apolitischen, materialistisch geprägten Bevölkerung — vornehmlich der Jugend — in diesem kommunistischen Land.

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