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Ein Haus für Extremfälle

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Nun gibt es auch in Wien ein Frauenhaus, ein Haus für geschlagene und mißhandelte Frauen. In der Bundesrepublik Deutschland und vor allem in England existiert ähnliches schon seit einigen Jahren.

Bei uns wurde es von verschiedenen Seiten angeregt. Die AUF (Aktion unabhängiger Frauen) unterbreitete ebenso Vorschläge wie die Sozialwissenschaftlerinnen Cheryl Benard und Edit Schlaffer, die erst jüngst durch ihr Buch „Die ganz gewöhnliche Gewalt in der Ehe“ Aufsehen erregten. Eingerichtet und finanziert hingegen wurde es schließlich von der Gemeinde Wien, die organisatorischen Vorarbeiten leitete die geschäftsführende Obfrau vom „Verein soziale Hilfe für gefährdete Frauen und ihre Kinder“, Irmtraut Leirer.

Wie groß das Bedürfnis nach einer solchen Einrichtung war, und wie erschreckend hoch die Dunkelziffern in diesem Bereich sind, zeigen die vielen Anruferinnen, die noch vor Inbetriebnahme des Hauses den dafür geschaffenen Notruf 31 56 56 wählten. „Wir sind jetzt schon voll“, sagt Irmtraut Leirer und erwägt die Aufstellung von Notbetten und die Einrichtung einer Dependarice „falls sich herausstellen sollte, daß die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten nicht ausreichen.“ Immerhin ist auf einer Wohnfläche von 450 Quadratmetern Platz für rund 40 Frauen und Kinder vorgesehen, die hier wohnen können, bis sich ihre Lage geklärt hat. „Der Aufenthalt ist als Ubergangslösung gedacht“, meint Irmtraut Leirer, fügt aber gleich hinzu, daß mit einem öfteren Aufenthalt ein und derselben Frau gerechnet wird, weil viele Frauen eine gewisse Zeit brauchen, bis sie sich über ihren weiteren Weg im klaren sind.

Jüngste Untersuchungen zu diesem Thema zeigten, daß das Problem geschlagener und mißhandelter Frauen nicht in erster Linie ein Unterschichtproblem ist, als das es bislang vor allem hingestellt wurde. Tatsächlich gibt es Gewalttätigkeit in der Ehe quer durch sämtliche Schichten bis hinauf ins Akademikermilieu. Allerdings ist es bei der enormen Tabuisierung des Themas schwer, sich Klarheit über die tatsächlichen Verhältnisse zu verschaffen. Denn die meisten Frauen, die mißhandelt werden oder sich bedroht fühlen, sehen nicht nur von einer Anzeige ab, sie sprechen über ihre Lage auch zu niemandem, entweder, weil sie sich schämen, oder

aber, weil sie vor der Reaktion ihres Mannes Angst haben.

Viele befürchten einen allgemeinen Prestigeverlust, andere werden vom Mann erpreßt, durch Drohungen eingeschüchtert oder durch den Hinweis auf ein gemeinsames Schicksal zum Schweigen gebracht. Zum Beispiel: „Wenn du was sagst, verliere ich meinen Posten!“

Die Angst, das Leid, die Not dieser Frauen wird meist vor der Außenwelt versteckt, die nur eine gefällige Oberfläche zu sehen bekommt, während ihr dahinterliegende Ungeheuerlichkeiten verborgen bleiben. „Es ist unwahrscheinlich, womit man da konfrontiert werden kann“, sagt Sonja Schnögl, eine der im Frauenhaus tätigen Sozialarbeiterinnen, „es rufen Frauen an, die von Männern eingesperrt, mit der Hacke bedroht, vom Balkon heruntergeworfen wurden, deren Männer ihre eigenen oder angeheirateten Kinder bedrohen, mißhandeln, quälen.“

Aber es rufen auch Frauen an, die keine Wohnung haben, die sich isoliert und unglücklich fühlen. Was das Frauenhaus ist, hat sich noch nicht so richtig herumgesprochen. Auf jeden Fall, so meinen die zuständigen Betreuerinnen, ist es ihnen lieber, wenn auch jene Frauen anrufen, die nicht zum eigentlichen Problemkreis gehören, als wenn zu wenige anrufen. Denn die eigentliche Schwierigkeit besteht noch immer darin, die Frauen aus ihrer Reserve herauszulocken. Die meisten sind ungeheuer unsicher, trauen sich nicht, um Hilfe zu bitten, fühlen sich selbst als die Schuldigen.

Eine Anzeige hat sich selbst in den krassen Fällen als ungeeignetes Mittel erwiesen. Denn die Polizei schreitet nur dann ein, wenn sie den Mann auf frischer Tat ertappt. Dann dauert es eine Weile, bis es schließlich zur Verhandlung kommt. In der Zwischenzeit überlegt es sich die Frau, zieht in vielen Fällen die Anzeige zurück, denn: Was geschieht, wenn der Mann aus dem Gefängnis zurückkommt? Eine brutale Form der Vergeltung zumeist. Aus Furcht vor noch Schlimmerem beläßt man lieber alles beim alten.

„Wir haben gesagt, das muß sozialarbeiterisch angegangen werden“, meint Irmtraut Leirer. Sie beschreibt, wie man Frauen, die den Notruf wählen, weiterhelfen will: Vorerst wird telefonisch versucht, Näheres über die Situation der Frau zu erfahren, sie nach Möglichkeit zu

beraten, Alternativen mit ihr zu besprechen.

„Für viele Frauen“, so Rosi Logar, ebenfalls eine der Sozialarbeiterinnen, „bedeutet die Möglichkeit, sich irgendwo auszusprechen, schon eine große Erleichterung“. Wird im beiderseitigen Einverständnis erkannt, daß die Situation zu Hause untragbar ist, kann die Betreffende mit ihren Kindern ins Frauenhaus ziehen und solange bleiben, bis sie sich über ihre Situation im klaren und irgendein Ausweg gefunden ist. Es wird ihr dabei weder zu- noch abgeraten. Ob sie eine Scheidung oder zu ihrem Mann zurückkehren will, bleibt ihrer eigenen Entscheidung überlassen.

Die Adresse des Hauses wird absichtlich nicht bekanntgegeben. Die Frauen sollen zuvor anrufen, sich mündlich informieren, bei Bedarf anmelden und dann erst kommen: „Sonst passiert es uns, daß gleich fünf Frauen auf einmal vor der Türe stehen, und das würde uns möglicherweise überfordern.“ -

Wie man von ausländischen Modellen weiß, ist die Zeit im Fr'auenhaus für die meisten Frauen eine Phase der Selbstfindung, der Beruhigung, des Bewußtwerdens der eigenen Situation. In Gesprächen mit Sozialarbeiterinnen und Schicksalsgenossinnen beginnen die Frauen nach einer akzeptablen Lösung zu suchen. Fünf fest angestellte Sozialarbeiterinnen unterstützen sie dabei und helfen ihnen bei amtlichen Angelegenheiten, die Scheidung betreffend, bei der Wohnungs- und Arbeitssuche. Wird der Wunsch geäußert, können auch im gemeinsamen Gespräch mit den Männern Alternativmöglichkeiten angegangen werden.

Von einem männlichen Betreuer hat das Frauenhaus bislang Abstand genommen. „Vor allem im Anfangsstadium fühlen sich Frauen durch die Anwesenheit eines Mannes bedroht.“ Lediglich zur Beaufsichtigung der Kinder wird ein Mann in Erwägung gezogen, aber, so Frau Leirer, „es hat sich bis jetzt ohnedies kein Mann dafür interessiert.“

Übrigens: Um den Frauen mit einem kleinen Handgeld für Ausgaben, die durch das Budget nicht gedeckt sind, auszuhelfen, wird um Spenden gebeten (Bawag, 664 185). Auch Kleiderspenden und Spielzeug (über den „Verein soziale Hilfe für gefährdete Frauen und ihre Kinder“, 1010 Wien, Werdertorgasse 9) werden dankend entgegengenommen.

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