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Ein heilender Tag für ein heilloses Leben

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„Freizeitdreß“ ersetzt das „Sonn- tagsgwand“ und ist sichtbarer Aus­druck veränderter Lebensgewohnhei­ten. Mit diesen Worten kommentierte zum Jahreswechsel eine Salzburger Ta­geszeitung die Meldung, daß die Teil­nahme am Sonntagsgottesdienst im Jahre 1980 leicht zurückgegangen ist.

Daran schloß sich die Frage, ob der „Freizeitstreß“ der Christen in unse­rem Land schon so arg geworden ist, daß sie zur sonntäglichen Gemeinde­feier keine Zeit mehr Finden, während ihre Glaubensbrüder in anderen Län­dern um das Recht kämpfen, ihre Überzeugung auch öffentlich bekennen zu dürfen.

In früheren, nicht einmal allzu fernen Zeiten haben die Christen auch bei uns um den Sonntag gekämpft, als man ih­nen diesen Tag nehmen wollte. Heute, da sie nicht darum kämpfen müssen,

geben sie ihn selbst auf. Warum sollte man sich auch für den Sonntag einset­zen?

Der „Sabbat ist für den Menschen da" - also kann der Mensch auch ma­chen, was er will?

Wie vorher schon andere Diözesen hat sich auch die Erzdiözese Salzburg für die nächsten Jahre den Sonntag als pastorale Aufgabe gestellt. Ziel ist da­bei, von der „Sonntagspflicht“ zu ei­nem neuen Verständnis dafür zu kom­men, wie notwendig eine neue Kultivie­rung des Sonntags ist. Daher das Motto: „Sonntag - menschlich leben, Gott begegnen“.

Das Leben des Menschen ist schwe­rer geworden. Die Möglichkeiten, die ihm geboten sind, multiplizieren sozu­sagen sein Leben - auf der einen Seite eine gewaltige Steigerung der „Lebens­qualität“; auf der anderen Seite sieht man, daß der Mensch sich selbst ver­liert, wenn ihm die ganze Welt zur Ver­fügung steht. Der Ruf nach einem „ an­deren, einfachen Leben“ wird immer lauter.

Dabei besinnt man sich wieder des ursprünglichen Rhythmus, der dem Menschen seit Jahrtausenden mitgege­ben ist: „Sechs Tage sollst du arbeiten, am siebten aber ruhen“. Niemand kann auf Dauer ungestraft davon abweichen. Er wird sich sonst selbst zur Strafe.

Das jüdische Volk habe - so sagte kürzlich ein bedeutender Andragoge - deshalb alle Zeiten der Zerstreuung und Verfolgung durch Jahrhunderte be­wundernswert überlebt, weil es eine Sabbatkultur entwickelt und gelebt und daraus seine Kraft erhalten habe.

Am Sonntag will Gott dem Men­schen die Chance geben, die tiefsten Werte seines Menschseins zu leben, wie er es in Ruhe, Besinnung und in Freude an den Dingen, die ihm liegen, erfahren kann.

Sonntag - das ist „Gottes Dienst am Menschen“! Denn „der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat“ (Mk 2,27): Ein Tag also zur Entfaltung des Menschenseins, zum „menschlich leben“ im umfassendsten Sinn.

Ohne die Muße, das schöpferische Ausruhen, das Feiern, verkümmert der Mensch, verarmt ein Volk. Sind wir nicht in Gefahr, dieses kostbare Gut um ein Linsenmus zweitrangiger Freuden und Unternehmungen zu verkaufen, um dann, ärmer geworden, wieder in die Arbeitswoche einzutreten?

Kein Wunder, daß manche Men­schen sich vor dem nächsten Wochen­ende fürchten, weil es neues Unbefrie­digtsein bringt. Nicht von ungefähr spricht man ja auch von „Freizeit-Neu­rosen“. Ist es nicht höchste Zeit, daß sich die Christen auf die Aufgabe besin­nen, für den Menschen den Sonntag zu retten, damit er „menschlich leben“ kann?

Wenn kürzlich in Salzburg eine Kir­chenzählung gezeigt hat, daß von ca. 500.000 Katholiken jeden Sonntag etwa 120.000 sich im Herrn versam­meln, so ist dies ein Potential nicht nur für die Kirche, sondern für die ganze Gesellschaft. Freilich wird diese Kraft (nicht Macht) erst richtig wirksam, wenn die Chrßten den Sonntag richtig feiern.

Die erste Parole dazu heißt: „Jeder Sonntag ein Ostertag“. Denn bekannt­lich feiern die Christen ja den ersten Tag der Woche, an dem Christus von den Toten auferstanden ist. Dieses Feiern weist darauf hin, daß „der neue Himmel und die neue Erde“ in der Auf­erstehung Christi bereits begonnen ha­ben; daß jeder, der sich auf diese „neue Wirklichkeit“ einläßt, selbst „eine neue Kreatur“ wird und damit die Welt von innen heraus neu gestaltet.

Wer von dieser Tatsache ergriffen ist, braucht kein Gebot mit Strafandro­hung, diesen Glauben zu feiern. Wem dies aber nie aufgeht, den wird man auch nicht durch Sanktionen oder noch so schön „gestaltete“ Gottesdienste zum regelmäßigen Sonntag bekehren.

Die zweite Parole heißt: „24 Stunden Sonntag feiern“. Damit soll gesagt werden, daß der Sonntag mehr ist als der Kirchenbesuch, wenn dieser auch „Gipfel und Quelle“ sein soll. Alles, was zum Feiern hinführt, was für den Menschen Freude und Feiern bedeutet, gehört zum ganzen Sonntag.

Erst wenn der Sonntag in diesem um­fassenden Sinn verstanden und gefeiert wird, kann er seine „heilende“ Funk­tion für zerrissene Menschen und eine unheile Gesellschaft ausüben.

Der Verfasser ist Leiter des Seelsorgeamtes der Erzdiözese Salzburg

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