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Ein Heiliger fiir unsere Gegenwart

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Er war Familienvater und Asket, Staatsmann und Philosoph, Literat und Redner, Jurist,und Weltmann. Und er ist ein Heiliger - gerade für unsere Tage: Thomas Morus.

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Er war Familienvater und Asket, Staatsmann und Philosoph, Literat und Redner, Jurist,und Weltmann. Und er ist ein Heiliger - gerade für unsere Tage: Thomas Morus.

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Die Heilfeenverehrung ist heutzutage umstritten und wird nicht nur von protestantischer Seite angefochten. Es wird gegen sie immer wieder eingewendet, daß sie Gott etwas von seiner Größe und Einzigartigkeit nehme und die Aufmerksamkeit beziehungsweise Verehrung auf das Geschöpf konzentriere.

Bei diesen Vorwürfen handelt es sich jedoch um ein grundlegendes Mißverständnis, denn nichts ist mehr imstande, die Größe Gottes zu demonstrieren, als die Heiligen: „Magnus est Deus in sanctis suis.”

Doch es gibt nicht nur theologische, sondern auch soziologische Argumente, die gegen die Heiligenverehrung ins Treffen geführt werden: Es wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß der Selektionsmechanismus, der letzten Endes über die Ehre der Erhebung zu den Altären entscheidet, fragwürdig und von kirchlichen, aber auch weltlichen Interessen dominiert ist. Und in der Tat läßt sich eine solche Schlagseite und Verzerrung der Proportionen, etwa zugunsten der im kirchlichen Kalendarium überrepräsentierten Ordensleute, nachweisen, denn eine Kanonisierung setzt einen langwierigen Prozeß voraus, der Geld kostet.

Ausgerechnet Karl Renner, der selbst nicht religiös und kirchlich gebunden war, nichtsdestoweniger aber nie aufhörte, die katholische Kirche als sozialen Organismus zu studieren und bewundernd heranzuziehen, wollte sich laut mündlicher Aussage des verewigten großen österreichischen Rechtsgelehrten Professor Adolf Julius Merkl, der mit ihm darüber sprach, dieser meines Wissens bis heute nicht monographisch behandelten Frage der „Soziologie der Heiligsprechung” zuwenden und sich mit einer Arbeit darüber auch habilitieren, wozu es aber durch sein frühzeitiges politisches Engagement nicht kam.

Immerhin bleibt die Fragestellung interessant und relevant: Doch selbst wenn ihre Untersuchung voll bestätigte, was auch nach dem ersten Augenschein auf der Hand liegt, daß nämlich nicht selten soziologische Kriterien über die tatsächliche Auswahl aus der Masse möglicher Anwärter für die Kanonisierung entscheiden, würde dies nur bedeuten, daß viele, die an sich dazu prädestiniert wären, kanonisierte Heilige zu werden, dieser Erhöhung entgehen, nicht aber, daß auch nur einer der tatsächlich Kanonisierten dieser Ehre zu Unrecht teilhaftig wurde.

Doch wenn man auch gelten läßt, daß die Selig- beziehungsweise Heiligsprechung durch diese soziologischen Mechanismen in den Augen vieler Gläubigen pro-blematisiert wird, so muß man umso mehr auf jene Heiligen blik-ken und für sie dankbar sein, die auch dem schärfsten Urteil standhalten und die es unter allen Umständen verdient hätten, dem katholischen Volk als Vorbilder und Idealfiguren vorgestellt und ans Herz gelegt zu werden.

Ein solcher Heiliger ist Thomas Morus (1478 bis 1535), dessen Martyrium und Hinrichtung sich am 6. Juli zum 450. Male jährt und dessen Heiligsprechung sich schon am 19. Mai zum 50. Male jährte. Ja, Thomas Morus ist nicht bloß ein Heiliger unter vielen, sondern einer, der die Universalität des Katholischen und der Heiligkeit wie kaum ein zweiter demonstriert.

Denn während viele andere Heilige Zeit ihres Lebens auf eine Rolle festgelegt waren und eine bestimmte Tugend in heroischem Ubermaß verkörperten, war Thomas Morus eine Persönlichkeit, die denkbar verschiedene Rollen in sich vereinigte und alle möglichen Tugenden in seinem Leben und Sterben zur Geltung brachte, so daß man sich umgekehrt bemühen muß, eine ausfindig zu machen, die er nicht realisierte.

Thomas Morus war Familienvater und Asket, Staatsmann und Philosoph, Literat und Redner, Weltmann und Märtyrer. Er offenbart uns in seinem Leben und Wirken einen so ungeheuren Reichtum, daß man umso mehr angezogen und überwältigt wird, je mehr man in die Gedankenwelt dieses universell gebildeten und agierenden Geistes eindringt.

Die deutschsprachige Gesamtausgabe der Werke von Thomas Morus, die Professor Schulte Herbrüggen, der Gründer des Morea-nums, in München in die Wege geleitet hat und die bereits auf fünf Bände angewachsen ist, wird zehn bis zwölf Bände umfassen und einen Eindruck von der Welt dieses unvergleichlichen Mannes vermitteln.

Es ist unmöglich, die Fülle der Werke dieses Mannes, der neben einem erfüllten familiären und offiziellen Leben in Positionen höchster Verantwortung auch noch Zeit für eine immense schriftstellerische Produktion fand, auch nur aufzuzählen, wie auch die Stationen seines Lebens und Sterbens nicht nacherzählt werden können, sondern als bekannt vorausgesetzt werden müssen. Es kann nur hervorgehoben werden, was Thomas Morus zu einem Heiligen gerade für unsere Tage macht und was ihn in der Gegenwart der Zuwendung und Verehrung der Gläubigen empfiehlt.

Thomas Morus ist ein Zeuge und leuchtendes Beispiel für die Souveränität des Gewissens, dem er bis in den Tod treu blieb. Er verschmähte es, sich der billigen Ausreden und Selbstberuhigungen zu bedienen, mit denen andere einen Weg fanden, sich den Wünschen des Königs, Heinrich VIII., zu beugen und seine Scheidung von Katharina von Aragoni-en gutzuheißen, ja den Eid, der den König als Oberhaupt der englischen Kirche bekräftigte, zu leisten. '

Thomas Morus blieb den Verlockungen der negativen Selbstverleugnung gegenüber hart und berief sich zur Verteidigung seiner Haltung, auch gegenüber seinen ihn bestürmenden Angehörigen, nicht nur auf sein Gewissen, sondern auf die Kirche der Heiligen und Märtyrer, der Verstorbenen, die im Himmel sind und deren Urteil keinen menschlichen Anfechtungen mehr unterliegt, wie seine Briefe aus dem Tower überhaupt ein Höchstmaß an Gelassenheit und Versöhntheit mit seinem Schicksal verraten, ohne daß sich Morus im geringsten zum Martyrium gedrängt hätte.

Tücken der Macht

Ja, er ließ gegenüber dem König und seinen Exekutoren, die ihn zu einer Deklarierung seiner Beweggründe für die Verweigerung des Supremats-Eides drängten, bis zuletzt die Tugend der Klugheit walten, indem er es ablehnte, seine Gründe darzulegen, und sein letztes Bekenntnis erst ablegte, als feststand, daß man ihm sowieso nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen wollte.

Morus kannte die Schliche der Tücken der Macht, die er selbst ausgeübt und kennengelernt hatte, ohne ihren Gefahren und Deformationen zu erliegen. Er machte sich über die Macht und die Natur der Machthaber keine Illusionen und sagte zu seinem Schwiegersohn William Roper schon zu einer Zeit, als er noch in voller königlicher Gunst stand, scherzhaft, aber beziehungsvoll, daß, wenn sein Haupt dem König ein Schloß in Frankreich einbrächte, es unweigerlich fallen müßte. Es waren aber dann nicht materielle Güter, sondern die höchsten des Geistes und des Glaubens, um derentwillen sein Haupt fallen mußte.

Morus durchschaute die Nichtigkeit und Vergänglichkeit der Macht und lehrt auch uns, nicht zu ihr aufzublicken und sich von ihr abhängig zu machen, auch wenn die Macht von heute demokratisch ist und die Machtträger von heute mit subtileren Methoden arbeiten als ihre monarchischen und absolutistischen Vorgänger.

Doch wenn die Macht heute auch nicht mehr mit Gift und Dolch operiert, wie der „Fürst” Machiavellis, der ein Zeitgenosse von Thomas Morus war, und heute vielfach in der Biedermannspose der Jovialität auftritt, so ändert dies doch nichts daran, daß sich zwar die Inhalte und Methoden der Macht wandeln und verfeinern, ihr Ziel aber nach wie vor bleibt, alles, was sich in den Weg stellt, niederzurennen und zu beugen, alle und alles gleichzuschalten und in den Dienst des eigenen für sakrosankt gehaltenen Wollens zu stellen.

Thomas Morus ist nicht zuletzt als Autor des Staatsromans „Utopia”, der 1516 erstmals in Löwen in lateinischer Sprache erschien und erst lange nach seinem Tode in einer englischen Ausgabe herauskam, in die Geschichte eingegangen. Uber dieses Werk sind ganze Bibliotheken geschrieben worden, und die Frage, ob Morus mit seiner insularen, sozialistisch orientierten Staatskonstruktion seine eigenen geheimen Ansichten und Absichten, die er einem Erzähler in den Mund legte, darlegen oder ob er nur eine phantastische Schilderung idealer Zustände ohne Beispielsfolgen darbieten wollte, wird immer wieder gestellt und ist nach wie vor nicht eindeutig zu beantworten.

Wenn man den ganzen Thomas Morus, die Botschaft seiner Wirksamkeit und seiner Schriften auf sich wirken läßt, fällt auch zusätzliches Licht auf diese Streitfrage. Denn es ist diesem Heiligen, der nicht nur ein großer Mensch, sondern auch ein erleuchteter Geist, der sich am Heiligen Geist entzündete, war, zuzutrauen, daß er diesen scheinbaren und vordergründigen Gegensatz überwand und in die höhere Einheit einer umfassenden Aussage integrierte.

Die ideale Ordnung

Thomas Morus wollte wohl einerseits aussagen und daran festhalten, daß es die Pflicht des Christen sei, ungerechte und menschenunwürdige Zustände, wie sie Morus in Anlehnung an und mit Blick auf das England seiner Zeit bewegt schildert und hart anklagt, in Richtung auf eine ideale Ordnung zu verändern. Auf der anderen Seite spricht viel dafür, daß Thomas Morus es mit dieser idealen Ordnung, die er zunächst skizzierte und anvisierte, insofer-ne nicht ganz ernst meinte, als er erkannte, was er an einer Stelle der „Utopia” in die Worte kleidet: „Denn es ist ausgeschlossen, daß alle Verhältnisse gut sind, solange nicht alle Menschen gut sind, worauf wir ja noch eine hübsche Reihe von Jahren werden warten müssen.”

Morus erkannte und formulierte damit eine Erkenntnis und Dialektik, an denen keine Gesellschaftspolitik, am allerwenigsten der Sozialismus, der einen neuen Menschen und eine neue Ordnung will, vorbeikommt, die Dialektik nämlich, daß eine gute Ordnung den guten Menschen voraussetzt und daß die Hoffnung, die gewaltsam herbeigeführte neue Ordnung werde den guten Menschen schon hervorbringen und nacherziehen, zum Scheitern verurteilt ist.

Gnadengabe Humor

Thomas Morus besaß eine Gabe, die sich in allen seinen Schriften, in seinen Briefen und sonstigen Äußerungen in unnachahmlicher Vollendung zeigt; die der Ironie und des Humors, um dessen Verleihung als göttliche Gnadengabe er in einem eigenen Gebet bat und bitten ließ. Die Ironie als liebevolle Belächlung des Irdischen sub specie aeternitatis hält die christliche und zugleich human-vernünftige Mitte zwischen dem tierischen Ernst, der alle Dinge zu ihrem Nennwert und für bare Münze nimmt, und dem Zynismus, der den Menschen verachtet und verurteilt, oft aus einer Enttäuschung darüber, daß übertriebene Erwartungen nicht eingetreten sind und sich vermessene Hoffnungen nicht erfüllt haben.

Diese Haltung ist es, die wir in unsere Gegenwart und in unsere Lebenswirklichkeit übersetzen können und sollen, sie bewahrt uns vor Hybris und Kleinmütigkeit und lehrt uns einsehen, daß wir unsere Bestimmung am ehesten erreichen, wenn wir uns vor den Gefahren, unsere Freiheit entweder zu gering zu veranschlagen oder sie zu hoch anzusetzen und alles von ihr zu erwarten, schützen und bewahren.

Der Autor ist Professor für Sozialphilosophie an der Universität Wien.

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