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Ein Heiliger stiftet Unruhe

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Seine Gebeine haben nach 1325 Jahren in der Pfarrkirche von Fratta Maggiore in Aversa bei 'Neapel Ruhe gefunden, die Diskussion um seine Person und seinen Sterbeort ruht aber selbst 1500 Jahre nach seinem Tod noch nicht. Wer war Sankt Severin wirklich, wie und wo lebte er?

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Seine Gebeine haben nach 1325 Jahren in der Pfarrkirche von Fratta Maggiore in Aversa bei 'Neapel Ruhe gefunden, die Diskussion um seine Person und seinen Sterbeort ruht aber selbst 1500 Jahre nach seinem Tod noch nicht. Wer war Sankt Severin wirklich, wie und wo lebte er?

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Im heurigen Severin-Jahr scheint die Verwirrung komplett. Zwar reklamiert nun wenigstens Zwentendorf nicht mehr Favianis für sich. Aber in den Streit zwischen Mautern und Heiligenstadt, die beide Favianis für sich in Anspruch nehmen und einesteüs via etablierte Forschung, andern-teüs via Severin-Bruderschaft erklären, in der Spätantike jener Ort gewesen zu sein, wo Severin gestorben ist und bis zur Uberführung des Leichnams nach Italien im Jahre 488 bestattet war, mischen nun noch weitere Kreise mit ihren Thesen und Antithesen mit. So wirft etwa die junge Universität in der alten Donaustadt Passau alle Forschungsergebnisse über die Abstammung und den Rang Severins über den Haufen und stellt nicht nur die Theorie über die Identität Severins mit einem ehemaligen römischen Konsul gleichen Namens in Frage, sondern auch jene — etwas vorsichtigere — des Linzer Kirchenhistorikers Univ.-Prof. Rudolf Zinnhobler.

Zinnhobler sieht nämlich in dem von 453 bis 482 als geistigen Führer, caritativen Organisator, Laienmönch und Klostergründer tätigen Heiligen zumindest einen „homo politicus", der — wenn schon nicht verwandt — so doch wenigstens befreundet war mit der Familie des letzten römischen Kaisers Romulus Augustulus — warum sonst wohl hätte sich die Kaiserinmutter um die Reliquien Severins und den kaiserlichen Ruhesitz Lucullanum bei Neapel als Begräbnisstätte zur Verfügung gestellt?

Passau, das aus dem römischen Batavis hervorgegangen ist, wo Severin tätig war - sein Kloster in der Passauer Altstadt ist freigelegt worden — wartet mit der Behauptung auf, Severin könnte ein Deccurio oder Curiale gewesen sein, also eine Art Stadtrat.

Im Alltag, argumentiert der Passauer Univ.-Prof. Hartmut Wolff, habe in der Provinz auch ein Curiale als großer Mann gegolten, dem es durchaus möglich war, Allemannen und Ruger das Zittern und Fürchten zu lehren, Anweisungen für Verhaltensweisen in Gefahr zu geben und Hilfsorganisationen für die Bevölkerung durchzuführen."

Daß es überhaupt zu diesem Streit kommen konnte, ist darauf zurückzuführen, daß es aus der Völkerwanderungszeit nur wenige schriftliche Dokumente gibt. Das bedeutendste ist die 511 von Severinus Schüler, dem Abt Eu-gippius, geschriebene „Vita Sanc-ti Severini". Sie ist eine typische Heüigengeschichte voll der Wunder des zum Patron der Gefangenen und Helfer in Hungersnöten avancierten Heiligen und geht weder auf die Herkunft noch auf die politische Mission des knapp nach Attilas Tod in Noricum auftretenden Führers der Katholiken ein.

Immerhin nennt die Vita den Namen jener Kleinstadt, in deren Nahbereich Severin sein Hauptkloster gegründet und Odoaker empfangen, aber nicht missioniert hat: Favianis. Sie erwähnt außerdem die Namen jener Städte im Grenzbereich des römischen Reiches, mit denen er in ständigem Kontakt war wie Lauriacum/ Lorch/Enns, wo er Wunder vollbrachte wie in Cuculli/Kuchl, wo er predigte wie in Asturis oder wo er weitere Klöster gründete wie in Batavis/Passau. Nicht zuletzt geht aus der Vita hervor, daß die Rugerkönige jenseits von Favianis regierten und nach Severins Tod das Kloster plünderten. „Sie ließen", heißt es dort, „nur die Mauern stehen, die sie nicht über die Donau schaffen konnten."

Abgesehen von der Vita scheint Favianis auch noch in der Notitia Dognitatum auf, einem Ämterverzeichnis, in dem die Namen aller Kastelle überliefert werden. Doch wo sich Favianis befand, ist nicht ersichtlich. Im Itenerar (antikes Straßenverzeichnis) und der Tabula Peutingeria (Straßenkarte) scheint Favianis ebensowenig auf wie Asturis.

Nun gibt es in Wien-Heiligenstadt eine alte Tradition, die sich auf eine eher zweckmäßige Behauptung des Bischofs Otto von Freising aus dem Jahre 1146 stützt. Sie besagt, Favianis sei Wien, und der Name Heiligenstadt sei aus Locus Sanctus entstanden. Das wieder bedeute, die Bezeichnung Locus Sanctus sei eben auf die Tätigkeit des Heiligen Severin zurückzuführen. Mehr noch: Nach den mehr lokalpatriotischen als wissenschaftlichen Theorien des Gründers der Severin-Bruderschaft Ernst Karl Winter hätte man von Locus Sanctus nur deshalb gesprochen, weil der .raquo;Apostel Noricums" hier gestorben und seine erste Begräbnisstätte gefunden habe.

Der mit der Grabungsleitung beauftragte Prof. Alfred Neumann von der Ur- und Frühge-, schichtlichen Abteilung des Historischen Museums der Stadt Wien ließ allerdings die Bruderschaft im Stich. Denn Neumann sagte bereits während der 1952 ind 1953 in der Heiligenstädter St. Jakobskirche durchgeführten Untersuchungen: „Die unter der Kirche nachgewiesenen Mauerzüge und Fundamente eines Pfeilerbaues sind zwar römisch, doch dienten sie militärischen Zwek-ken - ob einem Magazin oder einer Werkstatt läßt sich heute nicht mehr entscheiden."

Und um Zusammenhang mit den in den Pfeilerbau eingebauten Gräbern, die bei ihrer Auf dek-kung kein Skelett enthielten: „Bei dem einen handelt es sich um ein Kindergrab, bei dem anderen um ein Erwachsenengrab ... die Bestattungen erfolgten offenbar erst, als der Bau seinem ursprünglichen Zweck entzogen, das heißt also zerstört worden war oder leer stand... Dazu dürfte es im 5. Jahrhundert gekommen sein ... Die Leichen exhumierte man vermutlich bei der Grabaushebung für den Bau der vorromanischen Kirche und begrub sie auf dem' benachbarten Friedhof... der als locus sanctus galt."

Neumann erklärte das nicht nur damals, sondern auch 1968 in seinen von der Akademie der Wissenschaften publizierten Grabungsberichten „Forschungen in Vindobona" sowie in der 1980 bei Böhlau erschienenen Monographie „Vindobona — Die römische Vergangenheit Wiens".

Die Heiligenstädter weichen dessen ungeachtet nicht davon ab, daß es sich bei dem Pfeilerbau um Severins Hauptkloster, bei dem Erwachsenengrab um das Grab des Heiligen und bei dem Kindergrab um ein Taufbecken handelt. Somit um Favianis.

Dabei hatte schon vor dem ersten Spatenstich durch Hofrat Herma Stiglitz vom Österreichischen Archäologischen Institut alles für die Identität von Mautern mit Favianis gesprochen. Mautern liegt nämlich in der Mitte des ehemaligen norischen Limes, unweit von Enns. Heiligenstadt befindet sich auf dem Boden der römischen Provinz Pannoni-en und Asturis im Grenzbereich von Noricum-Pannonien. Mautern ist gegenüber von Stein errichtet, wo sich der Ruger sitz befand. Nicht zuletzt aber sind in Mautern Funde gemacht worden, die alle Charakteristika eines römischen Lagers mit Kleinstadt aufweisen, wie sie die Vita schildert. Und Asturis? Das ist wahrscheinlich Zwentendorf.

Als Herma Stiglitz 1958 und 1959 östlich von Mautern am Rand eines Gräberfeldes aus dem 5. Jh. einen von einer Mauer umgebenen Bezirk ausgrub, stieß sie auf zwei stark zerstörte Gebäude. Das größere wies eine Fußbodenheizung auf. Das kleinere war durch eine Wandheizungsanlage in zwei Räume unterteilt. In Raum 2 fand die Wissenschaftlerin den Unterbau einer Priesterbank und das Fundament eines Altares.

Im anschließenden Hof stand unter den Resten eines Flugdaches eine Handmühle — alles eindeutige Hinweise dafür, daß sich hier nicht eine ehemalige Friedhofskirche befindet, sondern ein Wohngebäude mit Kirche: ein Kloster. Ja, das weitläufigere der beiden mit Fußbodenheizung ausgestattete Gebäude mußte Severins Unterkunft für die Kranken und die Sammelstätte für die Kleider der Armen gewesen sein.

Nicht gefunden hat Herma Stiglitz das Grab Severins, doch wird es sich kaum in der kleinen Kirche befunden haben. Wo? In der Vita steht lediglich: „Sie verfertigten nach der Beisetzung einen hölzernen Sarg, damit man die Anordnung des Sehers zu erfüllen vermöge, ... wenn man seine Gebeine beim allgemeinen Umzug in das römische Heimatland mitnehmen würde."

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