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Ein Heilmittel gegen Einsamkeit und Leere

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Seit mehreren Jahren geht eine Gruppe junger Leute wöchentlich ins Altersheim Lainz, um sich dort der alten Menschen anzunehmen. Kürzlich fand dieser selbstlose Einsatz auch eine öffentliche A nerkennung durch die Zuerkennung eines Preises durch die Leopold Gratz-Stiftung. Wir registrieren dieses Ereignis mit besonderer Freude, da die A nregung zur A uszeichnung der Gruppe C von der F U R C H E ausgegangen war.

„Kommen Sie mit uns, sehen Sie selbst, besuchen Sie mit uns die alten Leute in Lainz", sagte Sepp Messner von der „Gruppe C". „Wir treffen uns jeden Samstag um halb zwei Uhr zur offiziellen Besuchszeit vor dem Tor zum Altersheim. Bloß davon erzählen, das bringt nichts", so meinte er.

16- bis 17jährige kommen da an in ihren Jeans, mit krausen Köpfen. Auch einige ältere sind dabei, die meisten unter 25 Jahren. Sie kommen alle 14 Tage, alle drei Wochen, einige drängt es, jede Woche hinzugehen.

In den zwei Stunden Besuchszeit werden meist zwei Patienten betreut, ein noch ansprechbarer und einer, der zerebral schon ziemlich abgebaut hat. Auch wenn der Verstand schon am Ende seiner Kraft ist, mit seinen Gefühlen ist der alte Mensch noch voll da.

Mit einigen Jugendlichen, die aus einem Erziehungsheim entlassen worden waren, hatte Messner vor sechs Jahren mit den Besuchen begonnen. Die jungen Leute sollten Sinn in ihrem Leben finden. Eine Krankenschwester gab die Anregung dazu.

Heute werden in vier Pavillons Personen besucht, die vorher mit der jewei-

ligen Stationsschwester ausgesucht worden sind. Sie werden dann möglichst von denselben jungen Leuten betreut. So kann allmählich Vertrauen und eine Beziehung aufgebaut werden. Neuankömmlinge werden von den anderen mitgenommen und mit den Alten vertraut gemacht.

„Tu dem anderen etwas zuliebe", sagt Messner, „ dabei entdeckst Du Dich selbst im Mitmenschen, wenn Du die Freude am anderen siehst. Der junge Mensch erlebt, wie er selbst Wert bekommt."

Marianne hat für den 20jährigen Querschnittgelähmten Dias aus Rom zum Ansehen mitgebracht. Ein I7jähri-ges Mädchen schiebt kleine Stückchen Wurst langsam, unendlich behutsam in den Mund eines Mannes. Seit seinem Unfall vor 20 Jahren ist er ans Bett gefesselt. Allein kann er nicht einmal mehr die Hand heben. Dabei ist er geistig völlig da.

Unweigerlich denkt der Besucher: „Was ist, wenn mir das passiert?" Er kommt in ein Spannungsfeld: Warum dieser hier? So unmittelbar wird er mit dem Leid konfrontiert.

Klarerweise bricht ein Schwall von Fragen auf Allein könnte einer das nie bewältigen. Die Gruppe aber gibt ihm Rückhalt und Geborgenheit. Daher treffen sich alle gleich nach der Besuchszeit in einem Beisel. Da wird dann erzählt: „Wo habe ich heute Erfolg gehabt? Warum bin ich heute nicht angekommen?" Auch andere haben Mißerfolge. Es geht nicht immer alles glatt. Gemeinsam finden sie dann aber eine Lösung.

Renate ist beim letzten Mal in dem „Zimmer der streitbaren Frauen" einfach abgeblitzt. Diesmal nimmt sie Herbert mit. Er ist durch ein Inserat zur Gruppe gestoßen und geht zum ersten Mal mit. Beim anschließenden Treffen erzählen beide strahlend, wie zufrieden heute alle gewesen seien, und daß die acht Frauen im Zimmer sich fröhlich mit ihnen unterhalten hätten. Das war für die beiden Jungen ein ganz großes Erlebnis!

Die Gruppe zählt etwa 80 junge Leute, 60 Prozent Mädeln und 40 Prozent Burschen. Nicht jedesmal kommen alle. Bei meinem Besuch zählte ich 29 junge Leute. Außer in Lainz haben sich auch schon im Haus der Barmherzigkeit, in St. Pölten und in Krems weitere kleine Besuchsgruppen gebildet. Es gibt keine Verpflichtung, keine Mitgliedschaft, keine Anmeldung oder Abmeldung. Wer mittun will, der ist am Samstag da.

Eltern fragen sich, warum es wohl ihren Sohn, ihre Tochter so drängt, ins Altersheim zu gehen. Nach Religion wird nicht gefragt. Doch das C der Gruppe steht für Christus. „Wir wollen die jungen Leute erst zum Mitmenschen führen. Die Frage nachher, die aus den Jungen hervorbricht: Was für einen Sinn hat dieses Leben?, führt unweigerlich dazu, sie’mit Jesus bekanntzumachen", sagte Messner. „Sie erleben hier eine Liebe, die weit über das Körperliche hinausgeht."

Trotz aller Bedrücktheit und Not, der sie begegnen, kommen sie mit einer unaussprechlichen Freude nach Hause. Der Gebende wird dort zum Beschenkten. Das zieht sie immer wieder nach Lainz. Das habe selbst ich schon allein beim Mitgehen gespürt und es hat mich tief beeindruckt, obwohl ich ursprünglich nur gezwungenermaßen mitgegangen war.

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