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Ein heller Glanz

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Zum ersten Mal sind in diesem Jahr der 2 5. und 2 6. Dezember in Litauen wieder gesetzliche Feiertage. Damit wurde dem Land ein Fest zurückgegeben, das im Leben der Menschen immer eine große Rolle gespielt hat und mit vielen Gebräuchen verbunden war.

In der Adventzeit, als Vorbereitung auf Weihnachten sehr ernst genommen, gab es keinen Kranz mit Kerzen, auch kein Nikolaus besuchte die Kinder, und das Treiben der Krampusse ist bis heute unbekannt. Aber die Kirchen mußten einen hellen Glanz verströmen während des Rorate (auch als dafür noch kein elektrischer Strom zur Verfügung stand); für manchen war das ein unvergeßlicher Kindheitseindruck, und schon Biliunas, ein berühmter Autor der Jahrhundertwende, hat darüber eine Erzählung geschrieben. „Hell wie bei einem Rorate" ist bis heute in Litauen ein geflügeltes Wort.

Nach besonderen Traditionen, die teilweise noch auf die heidnische Zeit zurückgehen, wird der Heilige Abend begangen. Er ist ein strenger Fasttag, was nicht nur die Enthaltung von Fleisch bedeutet, sondern - dem bäuerlichen Leben viel entsprechender- auch von Eiern, Milch und Milchprodukten. Das Abendessen muß in jeder Familie aus zwölf verschiedenen Gerichten bestehen: Dazu gehört der populäre Hering, Mohnmilch wird wie eine Suppe zu einem kleinen, kugelförmigen Gebäck aus Mehl, Wasser, Germ und Mohn gelöffelt, gern werden getrocknete Pilze und gefüllte Nudeln gegessen, und auf keinen darf der Borschtsch fehlen, die von Polen bis Rußland in vielen Variationen beliebte Suppe von Roten Rüben - aber an diesem Abend muß sie ohne den obligaten Sauerrahm gegessen werden.

Im Mittelpunkt des Heiligen Abends aber stehen in jeder Familie Oblaten, die (traditionell vom Organisten oder vom Meßner) speziell für diesen Tag gebacken und in der Kirche gesegnet wurden. Sie sind die sinnfällige Verbindung mit allen, die feiern, das Zeichen der Zugehörigkeit.

Während Litauen die bisher beschriebenen Traditionen weitgehend mit Polen gemeinsam hat, gehört aber auch der Christbaum zum Fest. Krippendarstellungen freilich gibt es eher in den Kirchen als im privaten Rahmen, und für die Geschenke ist nicht das Christkind zuständig, sondern der Weihnachtsmann. Richtig Weihnachten wird es auch in Litauen mit der Christmette.

In alten Zeiten hatte Weihnachten auch die Funktion, die bei uns dem Fest Maria Lichtmeß zukam: Es war das Ende des Arbeitsjahres für Knechte und Mägde. Die Zeit zwischen Weihnacht und Dreikönig war eine Art Urlaub für die Landbevölkerung, man mied jede schwere Arbeit; Bauern, die Arbeitskräfte brauchten, begaben sich auf die Suche. Und von einem guten Priester durfte man erwarten, daß er ab dem Dreikönigsfest alle Pfarrkinder besuchte.

Als die russischen Okkupanten Litauen infolge des Hitler-Stalin-Paktes heimsuchten, galt Weihnachten als auszumerzendes Relikt; bereits Lenin hatte es ja für die Sowjetunion abgeschafft. Ein geschmückter Baum sollte erst zu Neujahr aufgestellt werden, noch vor einigen Jahren war es verboten, eine kleine Tanne vor dem 27. Dezember zu verkaufen. Einige Wochen vor Weihnachten verschwand Germ aus den Geschäften, damit die Menschen keinen Weihnachtskuchen backen könnten; Mohn war sowieso nicht in Geschäften zu bekommen. Und selbstverständlich war der 25. Dezember ein normaler Arbeitstag.

Dennoch feierte, auch wer es nicht wagen konnte, in die Kirche zu gehen, da er beruflich notgedrungen Parteimitglied war oder beispielsweise als Lehrerarbeitete, zu Hause den Heiligen Abend. Freilich hielten vom Sicherheitsdienst gedungene Leute eifrig Ausschau, wer etwa Oblaten zu Hause hätte - sie fanden Gelegenheit zu einem Blick durchs Fenster oder einen Vorwand für einen kurzen Besuch. Und natürlich gab es Direktoren und führende Parteileute, die Versammlungen, Konferenzen und dergleichen für den 24. Dezember einberiefen.

Vom langjährigen Ersten Parteisekretär Snieckus hingegen weiß man zu berichten, er habe selbst Weihnachten gefeiert - allerdings nicht mit Oblaten, sondern mit Schwarzbrot, um nicht ein Zeichen der Religiosität, sondern der Volksverbundenheit zu setzen. KGB-Leute wünschten auch öfters einem Priester frohe Weihnachten - um korrekte Beziehungen zu demonstrieren. Sie waren außer den von der Kirche angestellten Mitarbeitern die einzigen, die sich das erlauben konnten.

Denn öffentlich sprach man nicht von Weihnachten, es sei denn mit einem Ausländer. So mancher Kollege an der Universität schüttelte mir - in irgendeiner Ecke oder einem leeren Raum, und nach dem für die sowjetische Lebensweise so typischen unauffälligen Rundblick - herzlich die Hand, dankbar, daß es da einen gab, von dem man wußte und wissen durfte, er feiert Weihnachten, von dem man also nichts zu befürchten hatte und den man auch nicht kompromittieren konnte. Wenige Tage vor Weihnachten haben Unbekannte im Zug ihren ganzen Proviant mit mir geteilt, als sie erfuhren, daß ich Österreicher sei und doch auch Weihnachten feiere.

Noch immer glaube ich, ich hätte am meisten von Weihnachten erfahren, als man mit Bangen und Vorsicht davon sprach. Als wir am HeiligenAbend des Jahres 1985 von der Nikolauskirche nach Hause fuhren, gab es in Vilnius keinen Baum, kein Licht und kein Zeichen in den Straßen, das an Weihnachten erinnerte. Aber es lag eine herzliche Heimlichkeit über der Stadt und in den Gesichtern eine vorsichtige Hoffnung, als wäre Betlehem nicht weit. „Denn vermutlich hat die äußerste Bedrängnis mit der äußersten Geborgenheit mehr zu tun, als das Mittlere mit beidem von ihnen." (Ilse Äichinger in einem Text über Weihnachten 1938)

Wenn Litauen heuer zum ersten Mal Weihnachten wieder offiziell feiern darf, wird die Freude groß sein. Im Vorjahr mußte der Festtag noch eingearbeitet werden, aber man feierte ohne Angst. Wer sich nicht einmal beim Tod der eigenen Eltern in die Kirche getrauen durfte, kann wieder öffentlich Weihnachten feiern. Es wird viel gesungen werden, auch Stille Nacht ist schon lange ins Litauische übersetzt. Litauen hat noch viel vor sich, aber sein Weihnachten hat es bekommen, und ich wäre gern dabei.

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