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Ein Herakles für die Apenninenhalbinsel

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Von der Mafia - das Wort soll aus dem Arabischen stammen - ist nicht nur in Sizilien, sondern weltweit die Rede. Die Medien und eine Reihe exzellenter Publikationen sorgen dafür. Dennoch tragen die Mafiabilder nicht selten romantisch verniedlichte Züge und stellen ein System vor, das ursprünglich durchaus ehrenwert schien, weil es die Armen versorgte, die Witwen, Waisen, die Kirche.

Um soziale Gerechtigkeit nämlich stand es im Lauf der Geschichte der Insel nicht immer zum besten, war doch Sizilien meistens von Fremden beherrscht. Da galt das Recht der Gewalt, weshalb der einzelne sich selbst helfen mußte, indem er den anderen half und derart eine Hand die andere wusch in einer Art Schicksalsgemeinschaft, deren führende Männer höchstes Ansehen genossen, an die man sich wandte, wenn Unrecht geschah. Ein Wink, und alles war wieder in Ordnung. Diese Führung verlieh den ihr auf Leben und Tod verschriebenen Menschen ein halbwegs gesichertes Leben. Die Freundschaft, der Dienst am Freund, am Freunde des Freunds, die Treue im Wort, die hochgehaltene Ehre der Frau - auch das vielleicht ein arabisches Erbe - bildeten, geheim und ungeschrieben, Macht und Gesetz. So konnte der Eindruck entstehen, daß nicht Amerika, sondern Sizilien „das Land der unbegrenzten Möglichkeit” wäre.

Wie nun alles sich wandelt, so trat auch die Mafia aus ihrer agrarwirt-schaftlich bestimmten Existenz in die eines technisch orientierten Daseins. Was sich seit der Landung der Alliierten, seit '43 also, in Sizilien tat, als Folge italo-amerikanischer Zusammenarbeit, verlieh der Mafia von allem Anfang an höchste Bedeutung und unvorhergesehene Macht. So wurden zunächst die alten Bürgermeister - sie waren selten Faschisten - durch Mafialeute ersetzt. Die Universitäten bekamen mit US-Hilfe neue Rektoren, bisweilen der Obrigkeit ergebene Lehrer. Gleichzeitig begann ein blühender Handel mit Lebensmitteln, vor allem aber mit Zigaretten. So lösten sich unter Mafiahand sogar Schiffsladungen auf.

Dann setzte das Drogen- und später das damit gekoppelte Waffengeschäft ein, mit Milliardengewinnen, die bestens angelegt wurden. Figuren wie Sindona gründeten Banken und organisierten Geldwaschanstalten im Ausland. Mit diesen Erträgen finanzierte man Bauunternehmen, erkaufte die Aufträge dafür, korrumpierte Politiker und Beamte, half ganz gezielt bei den Wahlen und präsentierte dann den Parteien die Rechnung.

Der alltägliche Terror

Das Netz der Beziehungen wurde dichter und dichter, es konnte sich niemand daraus befreien. An jeder wichtigen Stelle hatte die Mafia Maulwürfe sitzen. Spionage. Verrat überall. Der geringste Verdacht eines Rückzugs wurde bestraft, ganz lok-ker, im Auftrag,” meist mit dem Tod. Man weiß: Aldo Moro wurde einfach fallen gelassen, auch Dalla Chiesa ermordet, und unangenehme Richter, gesetzestreue Beamte, wurden beseitigt, ohne daß je die Täter gefaßt werden konnten. Zeugen gab es da keine. Niemand hatte etwas gesehen, auch nicht zu Mittag vor einer Bar im Zentrum der Stadt. Die Angst um das Leben. Man schwieg und senkte die Augen. „Omertä” als Folge der Angst. Hören und sehen, wissen also, und eisern schweigen. Die Politik, man weiß es heute, die spielte mit.

Die Mafia brauchte Verwirrung um operieren und den Staat beherrschen zu können. Wahrscheinlich hat die Demokratie auch deshalb versagt, weil jeder ordnende Wille als faschistisch bezeichnet wurde und ein aus der Vergangenheit mitgebrachtes schlechtes Gewissen damit nicht belastet sein wollte. Ein straffes Regime, der Kommunismus zum Beispiel, stand der „Cosa nostra” entgegen, Christdemokraten aber und Sozialisten, die konnte man brauchen. Je mehr Parteien, umso größer die Freiheit dieser illegalen Finanzwelt.

Mit der politischen Wende im Osten Europas hatte die Mafia wahrscheinlich nicht gerechnet. Auf einmal schien Italien nicht mehr bedroht. Die Kämpfe der Parteien untereinander, die schon Aldo Moro beenden wollte, waren sinnlos geworden. Politik kein Geschäft mehr. So fiel eine Mauer auch hier. Man war bankrott. Niemand wollte mehr schmieren. Auf einmal war dann auch klar, wo die Mafia saß, wer aller dabei war. Es kam zu Maxi-Prozessen, zu Verhaftungen von Leuten, die die längste Zeit „vergebens gesucht” worden waren, obwohl doch jeder sie kannte und täglich sah. Dann aber krochen manche der „Cosa nostra” zu Kreuz, als „pentiti”, und sagten reumütig aus, zuerst Buscetta, dann Calderone. Was sie gestanden, war von immenser Bedeutung. Sie leben abgesichert, mit ihren Familien, zum Teil im Ausland.

Nach den Geständnissen des Don Antonino Calderone schreibt der Soziologe Pino Arlacchi ein Aufsehen erregendes Buch. Was er berichtet, indem er Calderone selbst sprechen läßt, ist eine wahrhaft erschreckende Biographie, grausam, rücksichtslos, roh, und dennoch irgendwie menschlich, in der Liebe dieses Mannes zu seinem Bruder zumindest, der ein Mafia-Boss in Catania war und ermordet worden ist, oder zu seiner Familie, der zuliebe er sich ja abgesetzt hat. Durch ihn wurde die Öffentlichkeit mit dem Wesen der „Cosa nostra” bekannt!

Viele packen jetzt aus

Werner Raith, Privatdozent und Journalist, trägt zusammen und arbeitet auf, was bisher bekannt war. Hinzugefügt sind Interviews mit dem Präsidenten der Antimafia-Kommis-sion Violante, mit Nando dalla Chiesa, dem Sohn des in Palermo ermordeten Carabinieri-Generals, und vielen anderen. Schließlich noch das Interview mit dem bekannten Jesuitenpater Bartolomeo Sorge, der jetzt in Palermo dem, Jstituto Pedro Arrupe” vorsteht und für die gegen die Mafia kämpfende Kirche von enormer Bedeutung ist.

Italien im Umbruch. Wer heute dort lebt, liest und hört täglich von den Taten, Verhaftungen und Verhören so mancher, die einmal führende Stellen im Staat innehatten, von Beamten, die der Bestechung und Veruntreuung angeklagt sind, erlebt den finanziellen Bankrott der Parteien, hört live im Rundfunk die harten, doch sachlich-höflichen Verhöre, etwa des Senators, Ministers, Professors Mammi, undzit-tert im nachhinein vor den Bomben in Florenz und Rom, vernimmt von Bekannten, wie es diesem und jenen erging, zuerst in Einzelhaft, dann vor dem Untersuchungsrichter, schließlich in der Gefängnisgemein schalt mit Drogensüchtigen, Dealern und anderen gemeinen Verbrechern.

Trotzdem, das Leben geht weiter, mit einem Boom im Fremdenverkehr, dank der niedrigen Lira, und vollen Geschäften, Boutiquen und Restaurants. Den Beamten zwar, somit dem gesamten Unterrichtspersonal, wird ein Teil des Gehalts eingefroren, aber das hat es schon früher gegeben. II Governo e ladro. Oder nicht mehr? Es sind ja die Richter mit „sauberen Händen” am Werk. Daher stets auch die Frage: Wie wird das enden? Niemand weiß eine Antwort. Der Reinigungsprozeß ist jetzt erst richtig im Gang. Die Wahlen an einigen Orten haben gezeigt: Umberto Bossis Lega Nord ist voran, die sizilianische Rete Orlandos desgleichen. Auch ist noch lange nicht klar, wie die neue Landkarte aussehen soll. Italien könnte ein Bundesstaat werden, mit starken regionalen Autonomien. Drei Republiken jedoch, Norden, Mitte und Süden, die wären absurd.

Die Lega: die neue Hoffnung

Wie Toni Visentini berichtet, versucht die Lega, ihre Leute zu schulen, intensiv in Seminaren. Die Jugend macht mit, man braucht sie. In Florenz wandte sich besagter Antimafia-chef Violante im überfüllten Renaissancesaal des Palazzo Vecchio an eine begeisterte Schar. Zwei Tage darauf die Bombe, wie vorher in Rom. Wars jeweils Rache? Natürlich wird die Gewohnheit, den Staat zu betrügen, so schnell nicht ausgemerzt sein, fast jeder versucht, sich schadlos zu halten. Nach wie vor hinterzieht man die Steuern, und ohne Empfehlung geht einfach nichts. Das Leben ist weiter gefährlich, besonders in Städten. Einbruch, Diebstahl und Raub auf den Straßen. Man wird der Verbrechen nicht Herr. Noch traut man der neuen Führung nicht, die Angst sitzt zu tief.

Als Johannes Paul II. nach seiner Wahl zumOberhirten der katholischen Kirche bei seiner ersten Predigt den Menschen auf dem Petersplatz zurief: „Non abbiate paura!” - seid ohne Angst!, da konnte man sehen, wie ein Ruck durch die Anwesenden ging, ein Strahl der Hoffnung. Italien wartet jetzt auf einen Mann aus den eigenen Reihen. Für seinen Augiasstall.

Er müßte ein Herakles sein. MAFIA VON INNEN. Das Leben des Don Antonino Calderone. Von Pino Arlacchi. Aus dem Italienischen von Werner Raith. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 1993.336 Seiten, öS 311,-PARASITEN UND PATRONE. Siziliens Mafia greift nach der Macht. Von Werner Raith. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/Main 1992. 365 Seiten, öS 116,-. DIE LEGA. Italien in Scherben. Von Toni Visentini. Übersetzung aus dem Italienischen: Hans Mayr. Edition Raetia, Bozen 1993. 175 Seiten, öS 279,-.

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