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Ein heroischer Uberlebenskampf

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Zur „Lage der Kirchen in Osteuropa” (Seminar der Katholischen Medienakademie vorige Woche) gehört ein Kapitel, das jüngst auch Österreichs Benediktiner auf den Plan rief.

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Zur „Lage der Kirchen in Osteuropa” (Seminar der Katholischen Medienakademie vorige Woche) gehört ein Kapitel, das jüngst auch Österreichs Benediktiner auf den Plan rief.

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Seit ihrer Gründung hat die tschechoslowakische Bürgerinitiative „Charta 77” permanent ihre Aufmerksamkeit dem Recht auf volle religiöse Freiheit gewidmet. Zahllose Fälle von verfolgten Christen werden seit Anfang seiner Aktivität auch vom „VONS” (Komitee zur Verteidigung der ungerecht Verfolgten, das auf der Basis von Charta 77 initiiert worden ist) dokumentiert. Ende 1984 veröffentlichten Charta-77-Spre-cher ein dickes Dokument, in dem Maßnahmen des atheistischen Staates zur totalen Zerstörung der kirchlichen Orden im Lande angeprangert werden.

Einerseits empfängt der Staatspräsident Husak im vollen Glanz die Repräsentanten der regimetreuen Priestervereinigung „Pa- \ cem in Terris”, die allerdings nur etwa ein Zehntel aller Seelsorger im Staat repräsentiert, um die heimische Öffentlichkeit zu überzeugen, daß kein Mangel an Religionsfreiheit im Lande besteht, andererseits setzt man in den Parteizeitschriften den Feldzug im Namen des militanten Atheismus und gegen die „Uberreste des Obskurantismus” gegen Kirche, Religion und Glauben fort. Die Heuchelei der Regimes ist besonders deutlich nach Konfrontation mit den Fakten über die jahrzehntelang verfolgten Orden.

Ende der vierziger Jahre gab es folgende Situation: 61 Orden (25 Männer, 36 Frauenorden). 393 Klöster (148 für Männer, 245 für Frauen) und insgesamt 15.200 Ordensangehörige (etwa 3.000 Männer und 12.200 Frauen).

Von März bis April 1950 wurden zehn der führende Köpfe der Männerorden in politischen Schauprozessen wegen „Spionage für den Vatikan” zu langen Haftstrafen verurteilt. Gleichzeitig, in der Nacht von 13. auf 14. April 1950 und in einer weiteren Etappe zwei Wochen später, umschlossen die Volksmiliz und die Polizei alle Männerklöster im Land. Die Ordensbrüder durften nur das Nötigste mitnehmen und wurden in Internierungslager gebracht. Die jüngeren Brüder wurden in militärische Straflager gebracht und zum verlängerten Dienst eingeteilt.

Uber die Liquidierung der Klöster entschied ausschließlich die Führung der kommunistischen Partei der Tschechoslowakei. Es war ein rein politischer Akt ohne rechtliche Grundlage. Die Lebensbedingungen der Ordensbrüder in den Internierungslagern waren meist schlimmer als die der Sträflinge in den Gefängnissen, und der politischen Führung ging es nicht gegen den Strich, wenn die Todesrate bei den Geistlichen rapide anstieg.

Das Charta-77-Dokument befand dies alles als charakteristische Zeichen der Sklaverei und der Straftat des Genozids laut Definition der UNO vom 11.12.1946, aber auch rechtswidrig laut dem CSSR-Strafgesetz.

Die Frauenklöster wurden auf ähnliche Weise von Juni bis August 1950 liquidiert und die Ordensschwestern aus dem gesamten Staat in kleinere Internierungslager in Böhmen und Mähren konzentriert. Sie arbeiteten in den Fabriken und auf staatlichen Bauernhöfen. In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre wurden die Internierungslager schrittweise abgeschafft. Es fanden sich nur sehr wenige, die sich entschlossen, ihren Orden zu verlassen.

Die dramatische Dimension des

Jahres 1968 wirkte sich auch auf die stille Arbeit der Orden aus. Die Vorsteher der einzelnen Orden bildeten ein Sekretariat der Ordensgemeinschaften und begannen mit dem Kulturministerium über gesetzwidrige Vorgangsweisen gegen die Orden zu verhandeln. Ein Schreiben mit 8264 Unterschriften der Ordensangehörigen für die Erneuerung der Klöster wurde an die Behörden übergeben. Man erwähnte, daß die Ordensangehörigen insgesamt 42.763 Jahre in Gefangenschaft verbrachten. Nach dem 21. August 1968 gab es keine Hoffnung mehr, und seither kam es ununterbrochen zu größeren oder kleineren Eingriffen gegen die Orden.

Wieder sind es Hausdurchsuchungen, Verhöre, Prozesse und Haftstrafen für „Widersetzung gegenüber der Aufsicht”. Anfang der achtziger Jahre kam es zweimal zu größeren Repressionen. Die Strafverfolgung eines Do-rninikanerpriesters wurde zum Vorwand für Razzien in zwei karitativen Heimen.

Der bisher größte Versuch zur Zerschlagung eines Ordens fand im März 1983 gegen die Franziskaner statt. Dutzende Personen wurden beschuldigt und in Untersuchungshaft genommen, Hunderte wurden verhört.

Kloster-Neugründung?

Die Orden zeigten eine bewundernswürdige Fähigkeit, dem Bemühen um ihre Liquidierung standzuhalten. Immer wieder treten von neuem einzelne auf, die eine engere Gemeinschaft zwischen Brüdern und Schwestern schaffen, um sich tätiger für den Nächsten engagieren zu können. Die letzten 35 Jahre stellen einen heroischen Abschnitt in der tausendjährigen Geschichte der Orden auf tschechischem und slowakischem Boden dar. Diese Epoche endet erst dann, wenn sich die Tore der Klöster von neuem öffnen.

Die Charta 77 macht darauf aufmerksam, daß sich die Nobelpreisträgerin Teresa von Kalkutta bei ihrem jüngsten Besuch in der CSSR, bei dem sie von Tausenden Gläubigen begrüßt wurde, die Einrichtung eines Klosters ihres Ordens gewünscht hat. Ein ähnliches Anliegen wurde in der DDR von den Behörden prompt erfüllt. Auch Österreichs Benediktiner haben jüngst ihre Bereitschaft bekundet, bei der Neugründung eines Benediktinerklosters in der CSSR behilflich zu sein — wenn man sie läßt.

Die Charta-77-Sprecher fordern die zuständigen tschechoslowakischen Stellen — das Parlament und die Behörde für Angelegenheiten der Kirchengemeinde — auf, die entscheidenden Schritte zu tun, um den Ordensangehörigen ihre Grundrechte zurückzugeben. Dabei bekräftigte man, daß eine derartige Entscheidung keinesfalls eine Änderung der tschechoslowakischen Rechtsordnung erfordert, sondern nur deren Einhaltung.

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