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Ein Homme de lettres

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Otto Basil, der die erste österreichische literarische Zeitschrift nach dem Krieg mit dem Titel„Plan" herausgegeben hatte, veranstaltete einmal im Monat öffentliche Redaktipnssitzun-gen, an der Gäste teilnahmen - junge Mitarbeiter, sowie reifere Autoren, die aus der Emigration heimgekehrt waren. In diesem Kreis lernte ich im Sommer 1946 Franz Theodor Csokor kennen, der in einer Uniform als englischer Kriegskorrespondent aus Italien kam, und beinahe gleichzeitig Hans Weigel, der, aus Zürich eingereist, einen schlichten grauen Anzug trug. Im Unterschied zu seinem unauffälligen Äußeren war seine Sprache sehr scharf und präzis.

Hans Weigel gehörte, wie sein auch 1908 geborener Kollege Friedrich Torberg, und die etwas jüngere Hilde Spiel zu den letzten Vertretern des liberalen Bürgertums Österreichs jüdischer Herkunft, das einst eine Reihe von hervorragenden Gelehrten, Ärzten, Rechtsanwälten, Journalisten und Schriftsteilem hervorgebracht hatte. Wären sie, die gewaltsam Vertriebenen, nach dem Krieg nicht in das vierfach besetzte Wien zurückgekehrt, dann wäre unser Kulturleben im Morast eines tiefen Provinzialismus steckengeblieben. Sie brachten nach Wien den kosmopolitischen Geist wieder, der 1938 von den braunen Horden vertrieben worden war.

Da Hans Weigel ungeheuer fleißig und vielseitig war, kann man seine Tätigkeit im Rahmen eines Zeitungsartikels überhaupt nicht gebührend würdigen. Er schrieb Romane, Theaterstücke, Sketchs und Songs für das legendäre Kabarett in der Liliengasse, bearbeitete Nestroy und andere Klassiker, übersetzte Stücke aus dem Französischen, darunter den ganzen Mo-liere in deutschen Alexandrinern, Hunderte Theaterkritiken und Polemiken, Bücher über gescheiterte Österreicher, früh verstorbene Freunde und über die Sprache, der er sich seit früher Jugend verschrieben hatte.

Er hatte in den zahlreichen Auseinandersetzungen nicht immer recht -wer kann das schon für sich behaupten -, aber er machte Fehler durch gute Formulierungen wett und durch eine Sprache, die nicht nur für mich als vorbildlich galt, so daß es immer ein reines Vergnügen war, selbst scheinbar belanglose Glossen zu lesen.

Hans Weigel war vor allem ein Freund. Von Anfang an. Kein Kumpan, mit dem man trinken, Karten spielen oder den Mädchen nachlaufen konnte, sondern ein Mitstreiter gegen die selbstzufriedene Borniertheit und Ignoranz einer Gesellschaft, die in der Kunst jeglicher Art nur eine kurzweilige Unterhaltung oder eine gefällige Zierde sieht. Er war ein Freund der jungen Menschen, die sich anschickten, zu schreiben, zu malen, zu musizieren oder Theater zu spielen.

Er war einer der wenigen älteren Kollegen, die sich wirklich dafür interessierten, was wir jungen Menschen während des Krieges erlebt hatten und wie wir darauf reagierten, das heißt, was wir dachten und schrieben. Wenn er einen von uns für talentiert hielt, stand er ihm mit Rat und Tat zur Seite. Er suchte Verleger für uns, organisierte Leseabende und rührte die Werbetrommel für uns als Generation oder für die einzelnen Publikationen. Dieses wache Interesse behielt er auch für die nachfolgenden Generationen. Es war gut zu wissen, daß er da war. Es war gut zu wissen, daß er bereit war zu helfen, wenn man ihn brauchte.

Da er ein echter Freund war, kehrte er nie den Älteren oder Erfahrenen heraus. Ganz unauffällig brachte er uns durch sein Beispiel Fleiß und Liebe zur Sprache bei, und als leidenschaftlicher Österreicher die Liebe zu Österreich, das für ihn größer war, als die Grenzen unseres Landes es erfassen können. Durch seine Herkunft war er ein Mitteleuropäer und durch seine Erziehung ein Europäer. Österreich verliert in ihm einen Homme de lettres par excellence, und ich einen Freund, wie es nur wenige im Lauf eines Lebens gibt.

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