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Ein Husarenritt in Osteuropa
In Osteuropa hat die Arbeitslosigkeit schwindelnde Höhen erreicht. Besonders schwer greifen die Reformen in der ehemaligen Sowjetunion.
In Osteuropa hat die Arbeitslosigkeit schwindelnde Höhen erreicht. Besonders schwer greifen die Reformen in der ehemaligen Sowjetunion.
Die schwierigste Folge der eingeleiteten Systemwende in Osteuropa ist vor allem die hohe und ständig steigende Arbeitslosigkeit, die ein Ausmaß von 6,5 Millionen erreicht hat: Beinahe drei Millionen in Polen, 750.000 in Ungarn, 580.000 in Bulgarien und 750.000 in Rumänien. In diesen postkommunistischen Ländern, in denen Vollbeschäftigung in der Verfassung verankert war, erreicht die Arbeitslosenrate mit 13 bis 15 Prozent ein höheres Niveau als in den Industriestaaten des Westens.
Verhältnismäßig niedrig ist sie noch immer in Tschechien (2,9 Prozent) und in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion (0,8 Prozent): In Tschechien deshalb, weil die Systemwende vorsichtig und graduell vollzogen wird. Der Anteil des Privatsektors am BIP betrug per Ende 1992 nicht mehr als 20 Prozent, in Polen aber 45 Prozent oder in Ungarn 35 Prozent.
■Die horrende Diskrepanz im Lohnniveau wirkt sich negativ auf den Arbeitsmarkt der Weststaaten aus: Die monatlichen Arbeitskosten je Arbeitnehmer, betragen im teuersten Land Mitteleuropas, in Ungarn, nicht mehr als 662 DM, in Polen 367 DM, in Bulgarien 173 DM, in Rußland lediglich 95 DM - ein Bruchteil im Vergleich zu den Arbeitskosten der Bundesländer Westdeutschlands: 6.575'DM. Die in Osteuropa auf Kosten des Westens geschaffenen Arbeitsplätze werden aber kaum imstande sein, die prekäre Beschäftigungslage zu entschärfen. Denn die Reform, die noch immer die Arbeiter aus dem Produktionsprozeß verdrängt, ist von der Vollendung weit entfernt.
Ihr Verlauf bestätigt durchaus die These des berühmten Politologen Sir Ralph Dahrendorf, wonach der Organisationsrahmen für eine pluralistische Demokratie in sechs Monaten und für einen wettbewerblichen Markt in sechs Jahren geschaffen können wird, aber die Etablierung einer funktionierenden Demokratie und einer neuzeitlichen Marktwirtschaft sechs Dekaden in Anspruch nehmen wird müssen.
Regeistert vom unerwartet leichten Sieg über das morsche kommunistische Regime haben die Reformarchitekten kaum wahrgenommen, daß eine moderne Marktwirtschaft nicht nur einen technischorganisatorischen Rahmen benötigt, sondern dem Zeitgeist entsprechende Wirtschaftsstrukturen, ein qualifiziertes Management, einen reifen Mittelstand, weit gefächerte Eigentumsverhältnisse und vor allem eine marktwirtschaftliche Mentalität. Dank der Freigabe der Preise, der Einführung der internen Konvertibilität des Geldes, der Eindämmung der galoppierenden Inflation und vor allem dank der Privatisierung des Detailhandels und Kleingewerbes ist es den Staaten Mitteleuropas in erstaunlich kurzer Zeit gelungen, die Kommando- in eine Marktwirtschaft umzustrukturieren. Binnen kurzer Zeit ist es auch gelungen, freie Wahlen in den Parlamenten durchzuführen.
Komplizierter ist die Lage in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion. Die Freigabe der Prei-
_, se Anfang 1992 hat die
Kaufkraft der Bevölkerung und die Produktionstätigkeit noch stärker reduziert als es in Mitteleuropa der Fall war, von einer Marktwirtschaft kann aber nicht die Rede sein. Und im Unterschied zu den Reformländern Mitteleuropas, wo der weitere Niedergang der Wirtschaft aufgehalten worden ist, und ein -wenn auch geringes -Wachstum der inzwischen stark gesunkenen Industrieproduktion sich abzeichnet, wird das Nationalprodukt Rußlands und der Ukraine 1993 um weitere 15 Prozent zurückfallen, nach dem Rückfall im Vorjahr um 18 Prozent. Ähnlich prekär ist die Lage auch in Bulgarien und Rumänien.
Von einer modernen Marktwirtschaft und einer funktionierenden Demokratie kann aber auch in Mitteleuropa nicht die Rede sein. Der sich rasch entwickelnde Kapitalismus trägt noch immer untrügliche Züge des Frühkapitalismus, den es im Westen nicht mehr gibt.
Der Obmann des Industriellenverbandes Ungarns, Peter Zwack, meinte in einem Zeitungsinterview: „Hier tobt sich eine Art Kapitalismus aus, den es im Westen schon lange nicht mehr gibt. Die eben ausgebrochene und an sich gesunde Hast der Selbstbereicherung artet zu einem regelrechten Goldrausch aus, drängt geschäftliche Fairneß ebenso wie soziale Sensibilität in den Hintergrund."
Die Führung der Reformländer ist sich der Gefahren bewußt: Hanna Suchocka, Premierministerin Polens, appellierte Ende Juli an die Industriellen des Landes, ihre Konsumgier nicht zur Schau zu tragen und wies darauf hin, daß in einem nicht reichen Land wie Polen die Diskrepanz zwischen dem Gehalt eines Managers und eines Arbeiters nicht unbedingt das zwanzigfache betragen müsse. Weit entfernt ist man hier von einer funktionierenden, pluralistischen Demokratie. Sehr rasch ist diese zu einer argen Parteienherrschaft ausgeartet, aber im Unterschied zum Westen verfügen die politischen Parteien über keine Massenbasis.
Viel schlimmer ist die Lage in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion. In Rußland tobt ein bitterer Kampf zwischen dem Präsidenten und dem noch zu Sowjetzeiten gewählten Parlament. Boris Jelzin verfügt nicht über eine eigene Partei, und es ist zweifelhaft, ob Neuwahlen grundsätzlich neue politische Konstellationen schaffen werden können.
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