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Ein Jahr Thatcherismus

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Ein A usspruch des heiligen Franz von Assisi stand am Beginn der Ära Thatcher, als die erste Frau in Englands Geschichte in die Downing Street Nr. 10 einzog. „Laßt uns Harmonie bringen, wo Zwietracht herrscht, ßlauben, wo Zweifel und Hoffnung, wo Enttäuschung.” Heute, ein Jahr später, ist dieses Versprechen nicht eingelöst - noch nicht, wenn man den ständigen Aufruf zu Geduldjn Rechnung zieht. Glaube und Hoffnung haben sich noch nicht durchgesetzt, von Harmonie im politischen und wirtschaftlichen Leben des Inselreiches ist nichts zu bemerken.

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Ein A usspruch des heiligen Franz von Assisi stand am Beginn der Ära Thatcher, als die erste Frau in Englands Geschichte in die Downing Street Nr. 10 einzog. „Laßt uns Harmonie bringen, wo Zwietracht herrscht, ßlauben, wo Zweifel und Hoffnung, wo Enttäuschung.” Heute, ein Jahr später, ist dieses Versprechen nicht eingelöst - noch nicht, wenn man den ständigen Aufruf zu Geduldjn Rechnung zieht. Glaube und Hoffnung haben sich noch nicht durchgesetzt, von Harmonie im politischen und wirtschaftlichen Leben des Inselreiches ist nichts zu bemerken.

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Im Gegenteil, eine triste Wirtschaftsbilanz nach einem Jahr Thatcher liefert den Enttäuschten Argurnente: England mitten in der Rezession. Die Inflation auf Rekordhöhe von zwanzig Prozent, das Doppelte dessen, was die Konservativen von Labour geerbt haben. Erst für das kommende Jahr sagt die Regierungschefin eine Umkehr des Negativtrends voraus, dessen Bekämpfung ihr erstes Ziel ist.

Das gestiegene Lohnniveau könnte dieser Rechnung allerdings zuwiderlaufen. Eineinhalb Millionen sind arbeitslos, in absehbarer Zeit könnten es zwei, ja drei Millionen sein. Die Gewerkschaftsanarchie dauert ungebrochen an: Erst vor kurzem wurde ein dreimonatiger Streik der Stahlarbeiter beigelegt, der sich zeitweise auf die Privatindustrie ausgedehnt hat.

Zinssätze sind über Gebühr hoch und lähmen jede Investitionstätigkeit, ziehen die Hypothekarzinsen mit. Exporte fallen und Einfuhren steigen; der Engländer hat kein sonderliches Vertrauen in die Produktion seines Landes.

Entziehungstherapie

Die Konservativen behaupten, sie hätten eine zerrüttelte Wirtschaft von den vorangegangenen Regierungen übernommen. Ein Gutteil Schuld trifft allerdings auch die einschneidende Strategie der Konservativen. Thatcher stellt die Talfahrt als den Preis Für neuen Aufstieg hin. So müssen die Erfolge der Heilungskur von der englischen Krankheit auf sich warten lassen.

Nobelpreisträger Milton Friedman, geistiger Vater von Thatchers monetärer Kur, das heißt der Gleichung: verringerte Geldmenge ist gleich Schwinden der Inflation, vergleicht die Heilung mit der Entziehungstherapie für einen Alkoholiker: der Griff zur Flasche, wie die Inbetriebnahme der Geld-Druk-kerpresse zeigt zuerst die guten, dann die erschreckenden Wirkungen.

Thatchers Kur geht den umgekehrten Weg, den steinigen, den zunächst erfolglosen, Opfer fordernden. Darüber hinaus fehlt die hundertprozentige Garantie: Ist nun die Baisse der englischen Wirtschaft schon Zeichen der Rekonvaleszenz oder Inkubationszeit zu noch Schlimmerem?

Wie immer die Gewaltkur Thatchers beurteilt werden mag, eines steht doch fest: England hat die radikalste und zielstrebigste Regierung der letzten Jahrzehnte, den ungestümtesten und zielstrebigsten politischen Führer seit Winston Churchill.

Thatchers Stil unterscheidet sich grundlegend von dem ihrer Vorgänger: Sie allein hat das Heft fest in der Hand, sie personifiziert sich mit dem radikalen Flügel der Partei, sie dirigiert praktisch allein. Wie ein Mann degradiert sie ihr Gefolge zu Statisten, kann Minister bis zu deren Tränen drangsalieren. Nach „Supermac” (Mc Millan) hat Großbritannien seine „Supermaggie”, anerkannt von ausländischen Politikern und mit dem Epitheton „Eiserne Lady” geschmückt.

Auch die Verbündeten der Europäischen Gemeinschaft haben in Dublin (November 79) und jüngst in Luxemburg diese schulmeisterliche Art der Britin zu spüren bekommen. Als ihrer hartnäckigen Forderung nach Tilgung der britischen Verlustrechnung mit der Gemeinschaft nicht ausreichend und zu kurzfristig entsprochen wurde, zögerte sie nicht, die EG in eine schwere Krise zu stürzen.

Sie spekuliert darauf, daß die anderen acht letztlich doch nachgeben, sie rechnet mit Konzessionen von Deutschen und Franzosen vor deren Wahlkampf im Herbst. Beim französischen Präsident Giscard d'Estaing könnte sie sich allerdings verschätzt haben.

In der Außenpolitik verdankt sie den größten Erfolg ihrem Außenminister: die Lösung der Rhodesienfrage. Lord Carrington hat mit besonderem Geschick die Konferenz durchgezogen, die Wahlen vorbereitet und Simbabwe schließlich in die Unabhängigkeit entlassen. Die Entwicklung erwies sich als das Glück des Tüchtigen: der Terrorist Mugabe im Busch kampf erwies sich als gemäßigter Führer, einmal die Macht in Händen.

Das eigentliche Exerzierfeld bleibt aber die Innenpolitik: Bekämpfung der Inflation, Beseitigung der Gewerkschaftsmacht im Ubermaß und Erziehung des Engländers zu mehr Selbständigkeit im Geiste dessen, was unter dem Motto „Loslösung Britanniens vom Sozialismus” steht. Uber die Wirksamkeit des Rezeptes besteht selbst im Kabinett nicht einmal Einigkeit. Risse haben sich gezeigt, Falken streiten mit Tauben um Positionen.

Die Tories haben den ersten Streikwinter unbeschadet überstanden, weil sie Härte und Festigkeit gezeigt haben. Die Gewerkschaften rüsten weiter zum Kampf: Am 14. Mai ist der eintägige die gesamte Wirtschaft erfassende Proteststreik ausgerufen, ohne die Arbeiter zu fragen.

Faszination des Mutigen

Die Regierung läßt sich jedoch nicht von dem Konzept abbringen, sich nicht in Tarifverhandlungen einzumischen; staatliche Subventionen sind zweckgebunden, dürfen also nicht dazu verbraucht werden, um die Lohnforderungen der Verbände zu befriedigen.

Im letzten Budget Schatzkanzler Howes wurden die Gewerkschaften an einer empfindlichen Stelle getroffen: Sie sollten zum Teil für die Unterstützung der Familien von Streikenden aufkommen, deren Unterhalt bisher der Staat bestritten hat.

Thatchers Kur ist eingestandenermaßen ein Trapezakt, von dem allerdings die Faszination des Mutigen, Energischen ausgeht. Der beste Beweis für die Wirksamkeit wäre allerdings die positive Wirkung. Doch sie läßt auf sich warten. Gelange das bestechende Experiment der „Eisernen Lady”, dann wäre auch das Rezept Für andere gefunden, die unter ähnlichen Schwierigkeiten ihrer Wirtschaft zu leiden haben. Dem Briten käme es zugute und die kranke Weltwirtschaft könnte dadurch genesen.

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