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Der moderne Planungsstaat braucht den „durchleuchteten Bürger“ - sagt er. Ob die Methode der Totalerhebung alle zehn Jahre überhaupt was nützt, ist heftig umstritten.

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Der moderne Planungsstaat braucht den „durchleuchteten Bürger“ - sagt er. Ob die Methode der Totalerhebung alle zehn Jahre überhaupt was nützt, ist heftig umstritten.

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Während die Volkszählung 1981 in Österreich ohne größeres Aufheben über die Bühne ging, führte sie in der Bundesrepublik Deutschland zu heftigen Kontroversen. Verzögerte sie sich anfangs wegen des Streits zwischen Bund und Ländern um die Verteilung der Kosten auf 1983, so scheiterte sie dann an der Boykott-Bewegung. Diese überschwemmte den Bundesverfassungsgerichtshof in Karlsruhe mit -1.223 Beschwerden, worauf dieser die Volkszählung aussetzte und die Revision des Volkszählungsgesetzes wegen datenschutzrechtlicher Bedenken forderte.

Nun befindet sich die deutsche Volkszählung im zweiten, ebenso heiß umkämpften Anlauf. Während Boykotteure den Zensus als Herr Schaftsinstrument und unnötigen Aufwand ablehnen, führt das Statistische Bundesamt eine große Werbekampagne — sie kostet umgerechnet etwa eine halbe Milliarde Schilling — durch mit dem Slogan „10 Minuten, die allen helfen“.

In Österreich soll die nächste Volkszählung bereits in vier Jahren stattfinden. Daher ist es durchaus sinnvoll, aus den Vorgängen im deutschen Lande zu lernen.

Die Kritik an der Erhebung in der Bundesrepublik läßt sich in zwei Bereiche einteilen: Durchführung der Erhebung — speziell hinsichtlich des Datenschutzes — und Verwendung der Daten besonders im Rahmen der Verwaltung.

Trotz verstärkter Bemühungen des Gesetzgebers in Deutschland schieden sich die Geister bereits beim Datenschutz. Dem gestiegenen Problembewußtsein nachkommend, werden Name und Adresse getrennt von den Fragebögen erhoben und so früh als möglich wieder vernichtet. Außerdem ist nunmehr im Gesetz die räumliche, personelle und organisatorische Trennung von der übrigen Verwaltung vorgesehen, um zu verhindern, daß die Zähler die Daten — das, was sich ein Mensch merkt, kann nicht kontrolliert werden — in einem anderen Bereich zum Nachteil der Befragten verwenden.

Diese Regelungen bleiben oft graue Theorie. Bedingt durch die geringe Zahl der sich freiwillig meldenden Zähler wird häufig ' Verwaltungspersonal verpflichtet. In kleinen Gemeinden, wo eine Trennung von der Verwaltung nicht möglich ist, wird die Bestimmung, daß dann der zugehörige Kreis zuständig ist, häufig umgangen.

In Österreich fehlen entsprechende gesetzliche Regeln überhaupt. In kleinen Gemeinden ist es sogar die Regel, daß die Gemeindeverwaltung die Datenerhebung durchführt und die Befragten auch auf das Gemeindeamt zum Ausfüllen zitiert werden können.

Die Gesetze, auf deren Grundlage in Österreich die Volkszählung durchgeführt wird, sind derart schwammig, daß sogar die Speicherung von Name und Anschrift auf Computer legal wäre. Dazu Benjamin Davi vom Institut für Rechtswissenschaften der Technischen Universität Wien: „Die gesetzliche Regelung der Abschottung wäre nicht ausreichend. Es müßten auch organisatorische Maßnahmen her, nur verlangt dies niemand in Österreich.“

Auch in bezug auf den Umfang, der Daten, der hierzulande wesentlich größer ist als in der benachbarten Bundesrepublik, zeigen sich die Österreicher nicht empfindlich: so wird bei uns auch die Stellung der einzelnen Haushaltsmitglieder zum Haushaltsvorstand abgefragt, also die „intimsten“ Beziehungen. In der Bundesrepublik ist die Einführung dieses Merkmales am Widerstand der Volkszählungskritiker gescheitert.

Begnügt man sich in Deutschland mit dem höchsten Schulabschluß, so will man in Österreich die genaue Schulbildung, von der

Volksschule an, wissen. Auch nach dem Datum der Eheschließung und nach den Geburtsdaten der Kinder wird im „Uberwa-chungsstaat Deutschland“ nicht gefragt.

In Deutschland entwickelte die Informatik-Studentin Simone Fischer-Hübner ein Programm für einen Personalcomputer, mit dem sie aus 100.000 gespeicherten, bereits vereinfachten Datensätzen die Identität jeder beliebigen Person anhand von maximal zehn Merkmalen herausfinden kann.

Johann Ladstätter, Leiter der Volkszählung im Statistischen Zentralamt, hält solchen Mißbrauch bei uns für ausgeschlos--sen. Das Volkszählungsgesetz lasse nur die Verwendung der Daten zu statistischen Zwecken zu, und nicht einmal Politiker würden an die einzelnen personenbezogenen Datensätze herankommen.

Als Zweck der Volkszählung in Österreich gibt das Volkszählungsgesetz die „Ermittlung der Zahl und des Aufbaus der Wohnbevölkerung im ganzen Bundesgebiet“ an. Dort ist auch festgeschrieben, daß die Volkszählung als Grundlage für die Ermittlung der Zahl der Abgeordneten pro Wahlkreis und die Zahl der von den Ländern in den Bundesrat zu entsendenden Mitglieder dient. Zudem muß der Zensus als Berechnungsgrundlage für den Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden herhalten.

Für diese Zwecke allein würden jedoch auch weit weniger Merkmale ausreichen.

Die weitere Verwendung der Daten ist im Volkszählungsgesetz nicht angeführt. Die Daten werden, um die wichtigsten Ergebnisse möglichst rasch zu erhalten, in zwei Phasen verarbeitet?und veröffentlicht. Die Serie der Länderhefte der Phase 1 beinhaltet die demographischen Daten der Per-sonenbögen, die Hefte der Phase 2 dokumentieren die beruflichen, Bildungs- und Pendlerdaten. Diese Druckwerke sind im Buchhandel oder beim Verlag der Staatsdruckerei für jedermann erhältlich und somit einer breiteren Bevölkerung zugänglich.

Uber die Datenbank ISIS kann auf die gespeicherten Tabellen, die tiefer gegliedert sind als die Druckwerke, zugegriffen werden. Für Auszüge sind jedoch die Unaus können Sonderauswertungen, die Erzeugung neuer Merkmalskombinationen aus den Basisdatenbeständen, angefertigt werden. So können räumliche Gebiete bis auf Häuser genau selbst definiert werden, um genaue Daten über „Problemgebiete“ zu gewinnen.

Datenbankauszüge und insbesondere Sonderauswertungen sind wesentlich teurer als die Tabellenbücher. Sie können daher nur von potenten „Konsumenten“, vor allem Behörden, Interessenvertretungen und wissenschaftlichen Institutionen, erworben werden. Von diesen Möglichkeiten wird aber, laut Johann Ladstätter vom Statistischen Zentralamt, zwar in steigendem, aber noch eher bescheidenem Maße Gebrauch gemacht.

Wozu also die vielen auf Vorrat angelegten Daten? In der Bundesrepublik legitimieren Politiker ihr Interesse an mehr Daten dadurch, daß der moderne Versorgungsstaat sonst nicht mehr planbar sei.

Das geänderte deutsche Volkszählungsgesetz geht daher bei der Zweckbestimmung weiter als das österreichische: „Die Ergebnisse der Zählung bilden Grundlagen kosten zu bezahlen. Darüber hinfür politische Entscheidungen in Bund, Ländern und Gemeinden auf den Gebieten Wirtschaft, Soziales, Wohnwirtschaft, Raumordnung, Verkehr, Umwelt sowie Arbeitsmarkt und Bildungswesen.“

Das immer komplizierter werdende Regel- und Steuerungssystem der modernen Leistungsgesellschaft mit ihren vielfältigen Anforderungen an den Staat verstärkt den „Datendurst“ und—auf Grund der durch EDV gestiegenen Möglichkeiten - das Planungsbedürfnis der Behörden.

Damit einher geht die Versuchung, anstatt mit dem Bürger lieber für oder auch gegen ihn zu planen. Die Volkszählung, die im großflächigen Rahmen die Voraussetzungen dafür mitschafft, kann leicht als Instrument gegen alle vom Sollmaß der Gesellschaft abweichenden Gruppen verwendet werden.

Es geht also nicht bloß um die Volkszählung — sie ist lediglich ein kleiner Bestandteil viel umfassenderer Datensammlungen -, sondern um die Frage, ob durch die .Jnformatisierung des Bürgers“, durch eine immer komplexer werdende Verwaltung der Handlungsspielraum des einzelnen nicht insgesamt eingeschränkt wird.

Doch gerade auf diesem Gebiet ist das Problembewußtsein der österreichischen Bevölkerung noch unterentwickelt.

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