6834671-1975_07_11.jpg
Digital In Arbeit

Ein junger Geiger triumphierte zuletzt

Werbung
Werbung
Werbung

Die Begegnung mit dem „Mahler- Dirigenten“ Zubin Mehta war wohl für viele Wiener Musikfreunde neu und eine große Überraschung. Gewiß, kein einfaches Unterfangen, Mahlers „Zweite“, die Aüferste- hungssymphonie, im „Philharmonischen“ im Musikverein zu präsentieren, zumal den meisten Hörern Bernsteins vital-schwelgerische Mahler- Auffassung noch präsent ist und man Karajan, Boulez, Solti, Giulini nun als Mahler-Interpreten schätzt… Doch Mehta geht — und das war die Überraschung — seinen eigenen Weg: Er stellt das Werk weder ekstatisch dar, noch legt er sich aufs Analytische fest. Er dirigiert diesen Geniestreich Mahlers, diesen Hymnus auf .Tod und Auferstehung, mit einer perfekten Mischung aus tiefem Sentiment und kritischem Kalkül, elementarer Kraft und dem Willen, das Bekenntnis dieses Werkes voll auszuschöpfen. Dabei kann sich Mehta auf sein Gespür für Monumentalität, für exaltierte Dramatik wie für die Nuancen diskretester Lyrik absolut verlassen: rasende

Orchestersteigerungen wie sehn- suchstvolles Versinken in Diminuendofarben stellt er mit frappierendem Mut zum Kontrast nebeneinander. Und bei alledem spürt man bei Mehta immer noch einen Hauch jener kritischen Distanz, mit der Mahler selbst mancher Stelle gegenübergestanden haben mag. Aus die ser Distanz heraus bezieht Mehta die Kraft, innere Verflechtungen und Zusammenhänge dieser Symphonie so plastisch zu modellieren, daß die Riesensätze quasi von selbst sich zum geschlossenen Ganzen zusammenfügen.

Dennoch, es wäre halbe Arbeit gewesen, wäre nicht auch das Musizieren der Wiener Philharmoniker voll von so mitreißender Intensität und Schönheit gewesen. Seit Bernsteins harter Arbeit an Mahlers Werk dem Schaffen des Komponisten entscheidend nähergekommen, realisieren die Philharmoniker diese schwierige Partitur jetzt so sicher, mit soviel innerer Ruhe und Ausgeglichenheit, wie das nun einmal notwendig ist.

Besonders erfreulich übrigens Christa Ludwigs „Urlicht“-Gesang: tief und voll Wehmut, mit dem samtigen Timbre ihres schönen Mezzos singt sie vom Himmel… Ergreifend. Nur lleana Cotrubas wußte mit dem Text, Klopstocks „ Auferste- hungs“-Hymnus, spürbar wenig anzufangen. Hervorragend einstudiert klang der Wiener Staatsopernchor.

Eine musikalische Sensation bescherte allerdings auch der junge russische Geiger Gidon Kremer mit Prokofieffs 2. Violinkonzert (op. 63): Kremer, 27, Vollblutmusiker von hinreißendem Temperament und Geschmack, ist nicht nur ein phänome naler Techniker, der auf seiner „Guadanini“ einen fulminanten Seiltanz präsentiert. Kremer ist ein unerhört empfindsamer Künstler, der vor allem auch aus den unscheinbarsten Passagen etwas zu machen weiß. Der volle, satte Ton, die souveräne Phrasierung, die Leichtigkeit und Eleganz, mit der er Sprünge und Verzierungen ausführt, anderseits auch die Kraft, mit der er einen Variationensatz, wie das Andante assai, bindet, strafft, modelliert… das alles macht sein Spiel zum Ereignis.

Gemeinsam mit Carlo Maria Giulini und den Symphonikern bescherte er eine makellose Wiedergabe dieses 1935 für den Virtuosen Seutance komponierten Stücks, das — wie Streller schrieb — „erstmalig seit langem wieder russische Intonation spürbar“ werden läßt. Was Giulini auch im Orchester durchaus spürbar machte:

Giulinis . und der Symphoniker Bravourleistung war allerdings die Aufführung der zweiten „Daphnis- und-Chloe“-Suite von Maurice Ra- viel: Wir haben da die Symphoniker schon lange nicht so „französisch“ spielen gehört, mit soviel delikatem Flimmern in den Streichern und soviel Farbenreichtum in den Bläsern. Eine Aufführung, bei der man erneut deutlich merkte, wie wichtig für das Orchester die intensive Zusammenarbeit mit Giulini ist und daß es davon gar nicht genug „abbekommen“ kann. Beethovens „Sechste“ eröffnete das Konzert des Symphoniker-Zyklus im Musikverein: eine saubere, sachliche Wiedergabe. R. W.

Edita Gruberova, gefeierte Sopranistin der Staatsoper, gab, begleitet von Harald Goertz, für die „Jeunesses“ iim Brahmssaal ihren ersten Wiener Liederabend, und man muß gleich vorausschicken, daß er außerordentlich war. Was Frau Gruberova leistet, weist sie als technisches Genie aus; sie bewältigte mehr als zwei Dutzend teilweise immens schwerer Lieder und wirkte am Ende genauso spannkräftig und frisch wie am Anfang, die Stimme mit ihrer schlanken, ja geradezu spitzen Höhe hatte nichts an Kraft verloren. Die tschechische Nachtigall gestaltet von der Musik her, deshalb gelingt Expressionistisches (Webern, op. 25, teilweise auch die „Vier Lieder nach chinesischen Gedichten“ von Thomas Christian David), das vorwiegend vom Wort ausgehend zu gestalten ist, nicht so überzeugend im Ausdruck, aber auch hier ist die Treffsicherheit und mühelos ansprechende Höhe dieser Sängerin erstaunlich. Mozart stattete sie sehr intelligent mit einem Schuß Ironie aus („Veilchen“, „Zauberer“ und andere), bei Bellini und Verdi triumphierten Humor und Temperament, und die „Zigeunerflieder“ von Dvorak mit ihrer leicht zugänglichen Tonsymbolik ermöglichten ihr auch das Ausloten der Tiefe. Vier Brentano-Lieder von Richard Strauss rückten in ihrer artifiziellen Virtuosität nochmals das Technische gebührend in den Vordergrund: Man vermeinte bereits, Zerbinetta simsen zu hören!

Herbert Müller

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung