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Ein Kaffeehausliterat?

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Schlag nach im Lexikon: „ALTENBERG Peter (eig. Richard Engländer), 9. 3.1859 Wien - 8.1.1919 ebda. Stud. Jura und Medizin ebda., Buchhändler, freier Schriftsteller, Kaffeehausliterat und Bohemien auf dem Semmering. -Ein Hauptvertreter des Wiener Impressionismus, Meister der sprachl. und ge- dankl. gedrängten, aphorist. Prosaskizze mit Augenblickseindrücken aus dem Alltagsleben,…” Kurzum, Gero von Wilpert, dessen „Lexikon der Weltliteratur” seit vielen Jahren in allen Preislagen aufliegt, hat nichts gegen Altenberg, respektiert ihn als „Hauptvertreter des Wiener Impressionismus”, Altenberg ist für ihn ein „Meister der sprachlich und gedanklich gedrängten, aphoristischen Prosaskizze” - und trotzdem „Kaffeehausliterat”, was auch die meisten Verfasser von Literaturgeschichten sagen, falls sie überhaupt etwas über diesen Dichter sagen.

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Schlag nach im Lexikon: „ALTENBERG Peter (eig. Richard Engländer), 9. 3.1859 Wien - 8.1.1919 ebda. Stud. Jura und Medizin ebda., Buchhändler, freier Schriftsteller, Kaffeehausliterat und Bohemien auf dem Semmering. -Ein Hauptvertreter des Wiener Impressionismus, Meister der sprachl. und ge- dankl. gedrängten, aphorist. Prosaskizze mit Augenblickseindrücken aus dem Alltagsleben,…” Kurzum, Gero von Wilpert, dessen „Lexikon der Weltliteratur” seit vielen Jahren in allen Preislagen aufliegt, hat nichts gegen Altenberg, respektiert ihn als „Hauptvertreter des Wiener Impressionismus”, Altenberg ist für ihn ein „Meister der sprachlich und gedanklich gedrängten, aphoristischen Prosaskizze” - und trotzdem „Kaffeehausliterat”, was auch die meisten Verfasser von Literaturgeschichten sagen, falls sie überhaupt etwas über diesen Dichter sagen.

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Doch weder im Duden, noch im „Wörterbuch der deutschen Alltagssprache” von Heinz Küpper, ja nicht einmal in der neuesten Ausgabe von „Meyers Enzyklopädischem Lexikon” scheint de(r „Kaffeehausliterat” auf, er kommt offenbar nur in den Fachwerken vor und wahrscheinlich nirgends sonst, schon gar nicht dort, wo man ihn suchen würde: im Kaffeehaus. Zugegeben, daß es Literatenkaffeehäuser gibt: Treffpunkt von Schriftstellern. Aber wodurch wird einer von ihnen zum „Kaffeehausliteraten”?

Altenberg hat zeitlebens Literatenkaffeehäuser frequentiert, gewiß, hat wohl manches dort geschrieben, aber bestimmt nicht alles, und er hat hie und da auch über das Kaffeehaus geschrieben. Doch die Frage, warum er deswegen - bei allen ihm zugestandenen Qualitäten als Autor - in die nebulöse Kategorie der Kaffeehausliteraten eingereiht wird, bleibt unbeantwortet. Eine geradezu vollkommen anmutende Charakteristik Altenbergs, zwei Buchspalten, findet sich freilich in „Kindlers Literaturlexikon”, Bd. VII, gezeichnet mit „H. Fl.” - Holger Fließ- bach, obwohl der Aufbau gerade dieses Werkes eigentlich nur We’rks-Cha- rakteristiken zuließe.

Alle 14 Altenberg-Bücher nachzudrucken, wäre längst nicht mehr zeitgemäß, wiewohl sie es wert wären. Von Zeit zu Zeit wurde also eine Auswahl versucht, und von jeder könnte man sagen, was Emst Randak wie ein Motto der seinen voranstellte („Peter Altenberg oder das Genie ohne Fähigkeiten”, Stiasny Verlag, Graz 1961): ‘„Dieses Buch kann von Peter Altenberg leider nicht all das enthalten, was mir gefällt; es enthält von ihm aber auch nichts, das mir nicht gefällt.” Auch „Das Glück der verlorenen Stunden”, eine „Auswahl aus dem Werk” (Kösel-Verlag, München) von Wolfgang Kraus wäre zu nennen, sowie das Reclam-Bändchen „Sonnenuntergang im Prater” (von Schäfer). Nach wie vor literarisch gültig: „Peter Altenberg/Auswahl aus seinen Büchern” von Karl Kraus (1931; Neuausgabe 1963 im Atlantis Verlag Zürich). Er hat ja, zum Unterschied von Schnitzler, Hofmannsthal, Salten, Beer-Hofmann und Bahr, die den Kaffeehaus-Bekannten druckreif fanden, Peter Altenberg sofort als buchreif erkannt. Darum „schickte er hinter meinem Rücken die in Nachtkästchen, Tischlade, Kleiderkiste etc. etc. verstreut liegenden Manuskripte meines ersten Buches ,Wie ich es sehe1 an den ersten Verleger Deutschlands in mo- dernibus, S. Fischer, Berlin.” So Altenberg in dem letzten noch zu seinen Lebzeiten erschienenen Buch „Vita ipsa” (1918).

„Das große Altenberg Buch”, soeben „Herausgegeben und mit seinem Nachwort versehen von Werner J. Schweiger”, hat für einen, der diesen Dichter seit einem halben Jahrhundert kennt und schätzt, vor allem einen Reiz: Schweiger ist Jahrgang 1949. Im „Nachwort” bekennt er: „Es war eine ganz seltsame Art von Entdeckung”, und: „Es war das erste Mal in meiner Leseerfahrung, daß ich ein Buch nicht einfach durch-lesen konnte: zu konzentriert waren die Skizzen,” ja, „Die Phantasie wurde in einem Maße angeregt, daß es manchmal Anstrengung bedeutete”.

Das verblüffend Aktuelle an Altenberg: „Und dann war etwas in den Skizzen, das auch meine Unzufriedenheit und die Unzufriedenheit unserer Zeit berührte, alles war Aufruhr, Widerstand und Opposition - die Opposition manifestierte sich nicht nur in der Wahl der Themen, sondern auch in der Art des Schreibens”.

Bücherliebhaber sind bekanntlich nicht eifersüchtig, im Gegenteil, sie wünschen sich möglichst viele Nebenbuhler. Es ist also ein höchst befriedigendes Erlebnis für einen alten Liebhaber der Schriften Peter Alten bergs, daß sie heute noch einen derart jungen Liebhaber gewinnen können. Vorf Karl Kraus schrieb Altenberg damals: „Er war für mich, weil ich ,echt’ bin.” Das war er, und so wirkt er offenbar noch in unserer Zeit. Echt war seine Revolte gegen alles bloß Übliche. Nie wirkte er kostümiert, wiewohl er in einer für damalige Zeiten sehr aparten Reformkleidung aufzutreten pflegte, in der zum Beispiel niemand außer ihm die Hofoper hätte betreten dürfen. Jede Auswahl ist auch Geschmacksache; müßig, darüber zu streiten. Werner J. Schweiger beginnt mit autobiographisch deutbaren Skizzen unter der Überschrift „So wurde ich” als Hauptabschnitt und setzt fort mit den Themenkreisen „Kleine Mädchen”, „Frauen”, „Dienstboten”, „Diätetik”, „Musik”, „Theater”, „Bücher”, „Reisen”, „Natur”. Erstaunlich, daß er kein einziges der wunderbaren „Gedichte an Ljuba” aufgenommen hat.

DAS GROSSE ALTENBERG BUCH. Von Werner J. Schweiger. Paul Zsol- nay Verlag, Wien 1977, 431

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