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Ein Kind in einer toten Mutter

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In der Erlanger Universitätsklinik liegt eine „hirntote" 18jähri-ge Mutter, im vierten Monat schwanger. Ihr Organismus soll künstlich so lange „funktionstüchtig" erhalten werden, bis das Kind allein lebensfähig ist. Eine Diskussion über Zulässigkeit und Sinnhaftigkeit ist mit aller Emotion entbrannt. Die Einwände gegen dieses Unterfangen konzentrieren sich auf Fragen der Pietät gegenüber der toten Mutter und der gesundheitlichen und seelischen Folgen einer solchen Schwangerschaft für das Kind.

Bei einer Umfrage waren etwa zwei Drittel zum Teil vehement gegen die Fortführung der Schwangerschaft. Die tote Frau werde zu einem künstlichen „Brutkasten", einer „Gebärmaschine" degradiert. Es ginge um die Profilierungssucht einiger Ärzte. Ein „Schuß Frankenstein" hafte der ganzen Geschichte an.

Aber ist das allein schon Grund für so viel Aufregung?

Daß der Leih der toten Mutter in „Funktion" gehalten wird, um dem Kind das Leben zu wahren, verstoße gegen die Pietät. Immer mehr Menschen warten heute auf ein „neues Herz", eine gesunde Niere, die schließlich auch von Hirntoten transplantiert werden. Das schockiert niemanden mehr. Das wird voll Lebenshunger angenommen und gilt als Zeichen einer Solidarität über den Tod hinaus. Wie übrigens schon früher, wenn einer seinen Leib der Anatomie vermachte.

Eine Schwangerschaft im toten Mutterleib könnte schwere seelische Folgen haben. Die Sorge ist ernst. Nur: Stellen dieselben Kritiker auch ähnliche Überlegungen im Hinblick auf eine Zeugung im Reagenzglas an?

Warum dann dennoch so helle Aufregung? Vielleicht, weil hier auf einmal deutlich wird, was man sonst so gern verschweigt, daß dieses Leben in der toten Mutter ein Mensch ist. In der so emotionell geführten Diskussion redet man wie selbstverständlich nur noch vom „Kind", ganz selten, viel unpersönlicher, von einem Embryo. Nie aber mehr frivol, wie früher in der Abtreibungsdebatte, von einem „erdbeerfarbenen Zellhaufen".

Ist damit etwa unversehens ins Bewußtsein gedrungen, was bisher verdrängt worden war, daß eine Schwangere ein Kind trägt und nicht ein „Gewächs"? Soll das Abschalten der medizinischen Geräte etwa auch dieses so lebende, mahnende Zeichen verlöschen lassen?

Der Fall in Erlangen ist extrem und läßt trotz gewissenhafter Überlegung eine Entscheidung nach beiden Richtungen zu, wie Experten sagen. Dieses Kind und seine tote Mutter liefern aber einen unerwartet neuen Beitrag zur Abtreibungsdebatte.

Vielleicht leisten die Ärzte in Erlangen mit diesem Experiment und ihrer Kunst mehr Kindern als nur diesem „Geburtshilfe". Vielleicht hilft diese tote Mutter, daß nun auch wieder mehr andere Kinder, im gesunden Mutterschoß, überleben können.

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