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„Ein Kind ist uns geboren..

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Nahe den antiken Markthallen auf dem Esquilin zu Rom hatte Papst Liberius in den Jahren zwischen 358 und 366 eine Basilika errichten lassen, in deren einer Seitenkapelle die Krippe von Bethlehem verehrt werden sollte. Obwohl man genau wußte, daß diese Reliquie kaum echt sein kann, nahm bis heute kein Römer Anstoß daran, an dieser Krippe der Menschwerdung Christi zu gedenken und das Geschehen der Heiligen Nacht im Geiste nachzuvollziehen. Ja in den alten Zeiten des päpstlichen Roms zog in der Weihnachtsnacht der Pontifex Maximus selbst zu dieser Krippe, um hier die Messe zu zelebrieren.

Es war für diese Feier ein eigenes Zeremoniell ausgearbeitet worden, das schon am Vortag des Weihnachtsfestes begann. Bei seinem Eintritt in die Basilika wurde dem Heiligen Vater von einem Kleriker eine Kupferpfanne überreicht, durch deren Deckel ein wachsgetränktes Stück Werg wie ein Docht hervorsah. Der Docht wurde angezündet und gemessenen Schrittes zog der Papst von Säule zu Säule, um an allen vierzig Säulen der Basilika einen Ballen von Werg zu entzünden, der vom Kapitell an einem langen Faden herabhing. Zuletzt glich jede der vierzig Säulen einer lodernden Fackel, das Gold der Mosaiken in Apsis und Langhaus begann zu funkeln und zu strahlen, wurde zum Sinnbild für die Herrlichkeit des Jenseits, aus dem der Sohn Gottes auf Erden als neuer und wahrer Lichtgott, als Sonne der Gerechtigkeit erschienen war, um allen alten Sonnen und Lichtkulturen ein Ende zu setzen.

Dieser Gott des Lichtes aber, dem jetzt in der so feierlichen Lichtfeier gedacht wird, thront dominant in der Szenenfolge des mosaikbedeckten Triumphbogens, der sich am Ende des Weges durch die Säulenhalle über das Kirchenschiff wölbt, den Altarraum begrenzend. Christus erscheint hier in Sta. Maria Maggiore, nicht als das kleine, mitleidheischende Kind, es ist vielmehr der jugendliche, auf Erden erschienene Gott auf dem Throne, der die Weltherrschaft bedeutet.

Der Christusknabe ist an die Stelle des Kaisers getreten, er erscheint in kaiserlichen Gewändern und menschlicher Gestalt auf Erden, als Retter der Welt und als Friedensstifter. Er ist die Verbildlichung der Isaiasprophetie'„Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt; die Herrschaft ruht auf seinen Schultern, man nennt ihn Wunderrat, starker Gott, Friedensfürst“.,

Dieser heroische Gedanke des Christuskindes von St. Maria Maggiore aber blieb allein und unwiederholt. Jahrhunderte später erst, einem gewaltigen Bedeutungswandel unterliegend, taucht die Idee vom Christkind oder Jesuskind wieder auf. Zur Weihnacht des Jahres 1223 ließ der heilige Franziskus, der „seraphische“ Künder der Christenliebe, im Wald von Greccio im Rieti- Tale in Latium eine Krippe aufstellen, sie mit Heu füllen und auch Ochs und Esel ließ er dazustellen. Vor dieser Krippe predigte der Heilige mit solcher Inbrunst zu seinen Brüdern, bis ihnen allen das Erlebnis zuteil wurde, das göttliche Kind selbst in der Krippe zu erblicken. Durch das Nachvollziehen und die mystische Teilhabe am Geschehen der heiligen Nacht, durch eine bis zur letzten Konsequenz durchgeführte Jesus- mjnne war es möglich geworden, das Christkind, das lächelte und mit den Tieren spielte, zu schauen.

Fromme Frauen des Spätmittelalters begnügten sich in ihrer Jesus- liebe aber nicht mit dem geistigen Schauen des Christuskindes, sondern wollten, da sie sich als Nachfolgerinnen Mariens fühlten, die Sorge um das Jesuskind in durchaus realistischer Weise ausüben. Am 26. Dezember 1344 wurde der Mystikerin Margarete Ebner, einer Dominikanerin von Maria Medingen bei Donauwörth, aus Wien ein Bettchen oder eine Wiege mit einem hölzernen Christkind geschickt. Das Jesulein, dessen Beinchen so gearbeitet sind, daß man nicht recht weiß, ob es zum Liegen oder Stehen gedacht war, trägt einen Vogel in der Linken, mit der Rechten segnet es. Von dieser Zeit an, und es war das 14. Jahrhundert, die Zeit der meisten deutschen Andachtsbilder, entstanden Christ- kindeln in vielfacher Form, vorwiegend für Nonnenklöster gearbeitet. Das Jesulein - zumeist ist es als etwa einjähriger Knabe gedacht - kann nackt sein und stehen, es kann als kindlicher Heiland segnend erscheinen, oder es ist ein Wickel- und Wiegenkind. In allen Fällen ist es aber ein sakrales Spielzeug für Nonnen, eine Art von Puppe, die nur aus der mystischen Frauenfrömmigkeit der Zeit um 1300 und des frühen 14. Jahrhunderts verstanden werden kann.

Wurden solche Christkinder auf Altären aufgestellt, eine Übung, die bis heute lebendig geblieben ist, so wird das Kind in den Ideenkreis der Eucharistie miteinbezogen, das heißt, es wird sinnfällig gezeigt, daß das Christuskind bereits den Willen zum Kreuzopfer in sich trug, dessen unblutige Erneuerung im eucharistischen Opfer der hL Messe vollzogen wird. So kann im betrachtenden Erlebnis des Kindes, das am Altäre steht, die gläubige Seele seinen Tod erleben.

Die Nonnenliebe zum Christkind, die im frommen Spiel das realistische Geschehen nachvollziehen wollte - freilich übertragen in das Brauchtum ihrer Tage -, verlangte jedoch bald nach einer Wiege, um das Christkind, das nackt und bloß vor ihnen lag, zu bekleiden und in sein Bettchen zu legen, es zu wiegen und ihm Lieder zu singen. „Josef, lieber Josef mein, hilf mir wiegen mein Kindlein, Gott, der wird dein Löhner sein, im Himmelreich, der Jungfrau Sohn Maria“, wird seit dem 14. Jahrhundert zur Weihnacht dem Christkind gesungen.

Wann und wo genau die Sitte des Christkindleinwiegens aufkam ist ungewiß. Aus dem Jahre 1560 aber ist uns eine genaue Anweisung an den Mesner des Brixener Domes über das Kindleinwiegen erhalten. Es heißt hier, daß an allen Nachmittagsgottesdiensten des 25. Dezember und allen folgenden Sonn- und Festtagen, bis zum 2. Februar, dem Tage von Maria Lichtmeß, an dem das Fest Mariä Reinigung begangen wird und der Weihnachtsfestkreis mit einer Lichterprozession, in der noch einmal erwiesen werden soll, daß Christus das Licht ist und wir im Lichte des Herrn wandeln, daß also bis dahin großes Glockengeläute die besinnliche Feier einbegleiten solle. Endet das Geläute, hat der Mesner die Wiege mit dem Kind zum Altar der Kirche zu bringen, woraufhin zwei Schüler der Domschule das Kind zu wiegen beginnen, wiederum läuten die Glok- ken und die Domschüler singen „In dulci jubilo“, eine Weise aus dem frühen 15.Jahrhundert Am Schluß der Feier wird das Christkind den Schülern zum Küssen gereicht, aber auch Erwachsene dürfen es gläubig herzen. Unter dem Gesang „Puer natus in Bethleem“ ziehen schließlich Lehrer und schüler feierlich aus der Kirche, währenddem der Mesner die Wiege mit dem Kind in die Sakristei zurückbringt.

Zwar ist dieser uns erhaltene Bericht des liturgisch miteinbezogenen Kindleinwiegens aus späterer Zeit, bestärkt uns aber in der Annahme, daß es eine lange Tradition hat.

Dieses arme, nackte Kind, das bekleidet werden mußte, und noch dazu, da es der Gottessohn war, sehr kostbar, war also gnadenbringend und deshalb bald über die jeweüigen Nonnenklöster, die es beherbergten, hinaus, weit verehrt

Woher aber kam die Vorstellung des gnadenbringenden und wunderkräftigen Kindes?

Eine Kindheitserzählung Jesu, eine Geschichte von Wundem, die der Jesusknabe im Alter zwischen fünf bis zwölf Jahren vollbracht hat ist hier wohl als Quelle zu nennen. Es ist dies das sogenannte apokryphe, also nicht den kanonischen Evangelien miteinbezogene Kindheitsevangelium des Apostels Thomas, früh entstanden, in vielen

Handschriften erhalten, von keinerlei theologischen Interessen belastet, stets und auch während des Hoch- und Spätmittelalters gerne gelesen oder gehört. Hier wird erzählt, wie das Jesuskind stets helfend, rettend, heilend, ja sogar vom Tode erwek- kend für seine Mitmenschen eintrat. Eine Erwartung, die auf das hölzerne, aber mit aller menschlicher Liebe umsorgte Christkindel, das doch das Abbild von Gottes Sohn war, übertragen wurde.

So kam es wohl auch, daß dieses Christkind zum reinen Glücksbringer wurde. In Deutschland vornehmlich findet es auf Neujahrsglück- wunschblättem seit dem 15. Jahrhundert seinen Platz. Zumeist wird der Jesusknabe auf einem Polster sitzend, von Spielzeug und Tieren umgeben dargestellt, etwa in Begleitung der Nachtigall, die wir immer noch in dem vertrauten Liede „Lieb' Nachti-

gall wach auf, wach auf du schönes Vöglein Sing dem Kindelein. Auserkoren, heut geboren, halb erfroren sing“ als liegbewonnene Tradition kennen. Oder er wird mit symbolträchtigen Tieren, etwa dem Hasen, dem alten ägyptischen Ewig- keitshieroglyph, der durch Willibald Pickheimers Hieroglophia zu neuer Bedeutung gelangt war, gezeigt.

Das Christkind kann aber auch mit der Kugel mit Kreuz und Auferstehungsfahne, weltliches Herrschaftssymbol und Vorwegnahme von Tod und Auferstehung zugleich erscheinen, oder mit den Passionswerkzeugen, oder das Christkind steht auf einem Schiff mit geblähten Segeln, entsprechend dem Liedtext des Mystikers Johannes Tauler aus dem 14. Jahrhundert. „Uns kommt ein Schiff gefahren, es bringt uns süße Last und hat ein' hohen Mast. Das Schiff kommt uns geladen, Gott Vater hat's gesandt; Es bringt uns hohe Gnaden, Christ, unsem Heiland“, so ist es der Vorstellung verhaftet, daß von weither das Heil der Menschheit auf uns zukommt, was auf solchen Holzschnitten in realistisch faßbarer Form bildlich gegenwärtig wird.

Daß es überhaupt zu diesen mit dem Christkind verbundenen Neu- jahrsblättem gekommen war, mag seinen Grund darin haben, daß im 15. Jahrhundert von Papst Eugen IV., ausdrücklich die heidnisch-antiken Nqujahrsbräuche, die immer noch lebendig waren, das Beschenken und Beschenktwerden mit Honiggebäck und süßen Früchten, der Brauch von vergoldeten und lichtertragenden Zweigen des geheiligten Baumes, von Neujahr auf Weihnacht verlegt wurde. Übrig blieb das einander Beglückwünschen und das Christkindel, das Glück und Segen für das kommende Jahr verteilt

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts kam es in allen Bereichen politischen, religiösen und menschlichen Denkens zur großen Wende in den nördlich der Alpen gelegenen Ländern. Aus Italien bezogenes humanistisches Geistesgut, Marthin Luthers Reformidee, eine Krise im Reich und aus dem allen re sultierende soziale Veränderungen brachten Neues - Neues auch für das Verständnis des Christkindes. Das Christkind wird mit ein Träger der Gegenreformation, es kann zum schlafenden Putto über Kreuz und Leidenswerkzeugen unter ästhetisch schaubarer Vorwegnehme des Leidens und Todes ebenso werden, wie faßbarer Ausdruck einer tiefempfundenen Volksfrömmigkeit, die in Liedern und Bildwerken des Barock ihren Höhepunkt fand, bis heute aber tradiert wird. Nördlich der Alpen ist es das wahrscheinlich auf 1628 zurückgehende Prager Christkindel, das weithin verehrt wird, in zahlreichen Repliken bis hin zu Porzellanfiguren und bäuerlichen Christkinddarstellungen wiederholt wird, ein kindlicher Heiland mit Weltkugel und Krone. Dieses Christkindel war inmitten des Dreißigjährigen Krieges und der Frage der Rekatholisierung Böhmens mit aller Hoffnung auf Konsolidierung des Reiches und des Glaubens, mit aller Bitte um Gnade für den einzelnen entstanden.

Zugleich mit diesem Prager Christkindel kommt es in Rom zur Verehrung des Santo Bambino in Aracoeli, jener Kirche, die aufgrund von Überlieferungen im mittelalterlichen „Speculum humanae salva-

tionis“ und der Legenda Aurea des Jacobus de Vöragine auf eines der angeblich geschehenen 15 Wunder der Weihnachtsnacht zurückgeht. Zufällig soll nämlich, vielleicht auch von Ängsten gequält, Kaiser Augustus am Tage von Christi Geburt die tiburtinische Sibylle befragt haben, ob außer ihm auf Erden noch ein Mensch geboren werden könne, der zu größerem Ruhme käme als er. Da erschien um des Tages Mitte ein goldener Kreis um die Sonne und mitten in dem Kreis die allerschönste Jungfrau, über einem Altäre stehend, und ein Kind auf ihrem Schoße. Da erkannte der Kaiser, daß dieses Kind größer würde und bedeutender als er, und er beugte das Knie, währenddem er eine übernatürliche Stimme vernahm, die ihm sagte, „Sie ist derĄltar des Himmels“, das heißt „ara coeli“. Die Stelle, wo er niedergekniet war, soll Augustus der heiligen Jungfrau Maria geweiht haben und später wurde darüber die Kirche Aracoeli errichtet, in der der Santo Bambino seine Heimstadt fand.

Angeblich ist der Santo Bambino aus dem Holz der Ölbäume von Gethsemane geschnitzt und tatsächlich ist er ein pausbäckiges, geschnürtes Figürchen, eine juwelengeschmückte Krone tragend, sein Gewand unter Uhren und Uhrketten, Brillanthals- bändem, Perlen, Edelsteinringen und Ordensketten kaum mehr er- kennbar.Juwelen überdecken ihn und geben dem Kind das Gewand, ein Gewand, das Ausdruck der Dankbarkeit von Jahrhunderten ist für alles, was er durch sein wunderbares Eingreifen in zutiefst menschliche Schicksale zum-Guten wandte.

So tief ist die Wunderwirksamkeit dieses Christkindes im römischen Glauben verhaftet, daß man ihn zu Epiphanie, also am Fest der heiligen drei Könige, am 6. Januar in feierlicher Prozession aus der Kirche herausträgt, anhält auf der Estrade über der Freitreppe der Kirche, von der aus nicht nur schaubar und fühlbar, sondern wirklich ganz Rom mit seinen Kirchenkuppeln und Türmen bis hin zur alles überragenden Kuppel von St. Peter liegt Seit jeher und bis heute warten dort Hirten aus der Campagnia und setzen beim Anblick des Jesuskindleins an, ihre lieblichsten Weisen zu blasen. Schließlich hebt ein Kardinal den Santo Bambino hoch empor und zeichnet mit ihm das segnende Kreuz über die Ewige Stadt, um sie vor allen Widerwärtigkeiten des kommenden Jahres zu schützen. Christus, der Knabe, wird erhoben als Heil- und (Segenbringer.

Was Wunder, daß hier, bei uns in Österreich, der vielbesuchte Wallfahrtsort Christkindl bei Steyr eine weltweit gesuchte Poststation geworden ist?

Das im späten 17. Jahrhundert von einem Steyrer Türmer und Organisten in einer Waldeinsamkeit in der Höhlung eines Baumes aufgestellte Christkind ist in der heutigen Kirche, obwohl es den Kem einer Monstranz bildet, die auf einer Weltkugel steht, kaum mehr erkennbar. Was aber bedeuten nun letztlich all diese Christkinder? Jene, die Gnadenbilder sind, jene, die auf den Altären der weihnachtlich festlich geschmückten Kirchen stehen und auch die, die in Nußschalen gebettet, in Schiffchen aus Hobelscharten liegend oder auch als hölzerne, mit Goldborten gewik- kelte ebenso wie in Wachs gegossene Figürchen an unseren Christbäumen hängen?

Sie alle sind Ausdruck des Bewußtseins, daß wir zur Weihnacht der Tatsache gedenken, daß Gottes Sohn auf die Erde kam, um die Menschheit zu erlösen, ihr das Heil und das Licht der Ewigkeit zu bringen und um im Glauben an die Gottesgegenwärtigkeit jedem einzelnen, wie immer er darüber denken mag, als „Christkind“, „Heiland der Welt“, oder bloß als Symbol den Weg zu zeigen, mit Gott, mit dem Unendlichen vereint zu werden.

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