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Ein Kind ist uns geboren

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Weihnachten ist ein Fest der Hoffnung. „Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf.“ Diese Worte des Propheten Jesaja sind keine romantische Idylle wie ein Adventskranz in der warmen Stube. Sie sind hineingesprochen in eine Situation der Unterdrückung und des Krieges. „Denn du zerbrichst das drückende Joch, das Tragholz auf unserer Schulter und den Stock des Treibers. Jeder Stiefel, der dröhnend daherstampft, jeder Mantel, der mit Blut befleckt ist, wird verbrannt, wird ein Fraß des Feuers.“

Der Prophet nennt dann auch den Grund für eine solche Hoffnung: „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt“ (Jes 9,5). Durch dieses Kind, durch diesen neuen Menschen, soll das drückende Joch zerbrochen werden und eine Zeit des Friedens anbrechen.

Jede Geburt ist Ursprung, Neubeginn, Anfang neuen Lebens. Darum verbinden sich mit der Geburt viele Hoffnungen. Aber in unserer zerrütteten und vielfältig zerbrochenen Welt verbinden sich mit der Geburt auch Sorgen und Ängste. Im neu geborenen Kind verbirgt sich auch das belastende Erbe vergangener Generationen.

Das Kind, von dem der Prophet Jesaja schreibt, und dessen Geburtstag wir zu Weihnachten feiern, ist anders. Es ist ein Neubeginn, unbelastet von der Vergangenheit, vergleichbar mit der Erschaffung des ersten Menschen. „Er ist geboren aus Maria der Jungfrau.“

Dieser oft umstrittene und mißverstandene Satz des Glaubens hat nichts mit einer Abwertung der Sexualität zu tun. Er soll zum Ausdruck bringen, daß mit Jesus etwas völlig Neues beginnt. Wie Gott dem ersten Menschen „Lebensatem“ — Geist von seinem Geist - „in die Nase einbläst“ und so „der Mensch zu einem lebendigen Wesen“ wurde (Gen 2,7), so entsteht auch Jesus durch die Kraft des Heiligen Geistes. „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten“ (Lk 1,35).

Das Kind in der Krippe ist eine neue Schöpfung, ein besonderes Geschenk Gottes an die Menschheit. Seine Geburt ist nicht Anlaß zur Sorge, sondern reiner Grund zur Hoffnung. Es wird nicht zerstören, sondern aufrichten. „Die Herrschaft liegt auf seiner Schulter; man nennt ihn: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens“ (Jes 9,5).

Die Menschheit wird nicht erneuert durch neue Programme und neue Erfindungen, sondern durch neue Menschen. Der neue Mensch schlechthin ist Jesus. Paulus sieht in Jesus den „neuen Adam“. Durch ihn soll die ganze Menschheit erneuert werden.

Die ersten Christen haben diese Zusammenhänge gesehen. Die Geburt Jesu führt zur Geburt des „neuen Menschen“. Dieser neue Mensch wird von vielen Religionen und Ideologien angestrebt. Nach christlicher Uberzeugung ist das Werden des neuen Menschen ein tiefgreifender Prozeß, vergleichbar mit einer neuen Geburt.

Zu dieser Erneuerung ist der Mensch^aus eigener Kraft nicht fähig: „Was aus Fleisch geboren ist, das ist Fleisch“ (Joh 3,6); er muß „aus dem Wasser und dem Heiligen Geist“, aus Gott, von neuem geboren werden.

Wie das geschehen soll, war schon Nikodemus unbegreiflich. Der Glaube daran gehört zum

Grundbestand des Christentums.

Wir feiern also zu Weihnachten nicht nur die Geburt Jesu, sondern auch die Geburt dieses neuen Menschen. Gott hat - so heißt es in einem Gebet der Weihnachtsliturgie —den Menschen wunderbar erschaffen und noch wunderbarer erneuert. Jede Weihnacht soll ein Impuls für diesen Wandel sein; aus Verzweifelten sollen Hoffende, aus Hartherzigen Liebende, aus Ungläubigen Gläubige werden.

Wo solcher Wandel geschieht, entsteht Friede, dort wird Gott die Ehre gegeben. Das gegenseitige Beschenken aus lauterem Herzen kann Zeichen für diesen Wandel sein.

Die Notwendigkeit einer geistigen Erneuerung wird im kommenden Jahr vielen neu bewußt werden. Wir erinnern uns in Osterreich der schrecklichen Jahre von 1938 bis 1945.

Es geschahen Dinge, die niemand rechtfertigen kann. Es herrschte Angst. Nachbarn haben Nachbarn denunziert und ins Gefängnis gebracht, einander verraten und ausgeliefert. Juden und Andersdenkende wurden auf öffentlichen Plätzen diskriminiert. Viele Österreicher waren nicht Opfer, sondern Täter oder Mitläufer. Es waren auch verhältnismäßig viele Österreicher unter jenen, die Mitmenschen in den Konzentrationslagern zu Tode quälten. Und Hunderttausende mußten in einem verbrecherischen Krieg mitwirken und viele ihr Leben opfern.

Heute sagt man: Die Vergangenheit hole Österreich ein. Die Österreicher hätten zu wenig für die Vergangenheitsbewältigung getan. Wie immer man zu dieser Frage steht: Die Geschehnisse zwischen 1938 und 1945 und in den ersten Nachkriegs jähren waren nicht nur Vernichtung und Zerstörung, sondern zugleich Geburtswehen für ein neues Österreich. Es war dies eine Zeit der Katharsis - der Läuterung und der Reinigung - für alle: für Schuldige und Unschuldige; für die Schwarzen, die Roten und die Braunen.

Diese Jahre wurden zu einem Prozeß der Läuterung - der „Vergangenheitsbewältigung“, wie sie kein Mensch sich selbst oder anderen auferlegen kann und auch nicht darf.

Damals wurde das Fundament für ein neues Österreich und eine erneuerte Kirche grundgelegt. Und geläuterte Menschen haben mitgebaut.

Inzwischen sind Jahrzehnte vergangen. Schlacken haben sich gebildet. Viele Österreicher sind unzufrieden mit ihrem Staat, den Parteien, mit der Kirche und sich selbst. Man spricht vom Verfall der Werte und der politischen Kultur.

Wir spüren: wir brauchen eine geistige Erneuerung; nicht nur durch Vergangenheitsbewältigung, sondern vor allem durch Bewältigung der Gegenwart.

Weihnachten macht uns Hoffnung. „Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht.“ Der lebensschaffende Geist, der an der Geburt Jesu beteiligt war, kann auch in unseren Tagen bewirken, daß Menschen wiedergeboren und zu neuen Menschen werden.

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