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Ein klares „Jein" zur Neutralität

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Kaum hat der Wahlkampf um die Hofburg begonnen - schon ist der Disput um unsere europäische Zukunftsrolle voll im Gang. Was allerdings bisher geboten wurde, trägt eher zur Verwirrung als zur Klärung bei.

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Kaum hat der Wahlkampf um die Hofburg begonnen - schon ist der Disput um unsere europäische Zukunftsrolle voll im Gang. Was allerdings bisher geboten wurde, trägt eher zur Verwirrung als zur Klärung bei.

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□ Rudolf Streicher, der SPÖ-Kandidat, möchte alles auf einmal: Die Neutralität sei ein Instrument der Friedenssicherung, ein „europäisches System der kollektiven Sicherheit" ebenso - folglich stünden beide Institutionen einander nicht im Weg. Das Argument des Verkehrsministers klingt so, als würde er sagen: Rechtsverkehr dient der Sicherheit. Linksverkehr ebenfalls - wie sicher werden Österreichs Straßenbenutzer erst sein, wenn beides gleichzeitig erlaubt wird...

Der Vergleich hinkt nicht so sehr, wie es scheint. „Neutralität" heißt: sich aus Auseinandersetzungen heraushalten. „Kollektive Sicherheit" heißt: sich zur Solidarität gegen jeden Friedensbrecher verpflichten, auch unter Einschluß militärischen Engagements. Wer beides ernst nimmt, weiß, daß sich da nicht ohne weiteres ein gemeinsamer Nenner ergibt.

□ ÖVP-Kandidat Thomas Klestil gab zunächst einmal Vollgas. Im Jänner 1992 meinte er, Österreich würde sich einem militärischen Sicherheitssystem nicht entziehen können, und dessen militärischer Teil sei und bleibe nun einmal die NATO. Dann nahm er den Fuß vom Gashebel, unsanft gedrängt von seinen Freunden. Auch innerhalb der EG müsse Österreich seine militärische Neutralität wahren; zur Westeuropäischen Union, dem militärischen Arm der EG, solle man nicht einmal Beobachter schicken, hieß es jetzt.

□ Robert Jungk, der Kandidat der Grünen, sagt „Nein" sowohl zur EG wie zur Neubestimmung der sicherheitspolitischen Position Österreichs.

□ Heide Schmidt schließlich, für die FPÖ im Rennen, sagt zu solchen Themen überhaupt nichts.

Daß es darüber hinaus noch manch andere Stimme gibt, macht die Diskussion nicht übersichtlicher:

Europa-Staatssekretär Peter Jankowitsch kann sich im Rahmen einer gesamteuropäischen kollektiven Sicherheitsaktion auch einen militärischen Beitrag Österreichs vorstellen; Berührungsängste gegenüber NATO und WEU hält er für falsch.

Kanzler Franz Vranitzky hingegen bekennt sich „klar und unmißverständlich" zur Neutralität - aber eben so eindeutig auch zur Solidarität.

Außenminister Alois Mock bejaht die künftige Gemeinsame Sicherheitspolitik der Europäischen Union; laut Vertrag von Maastricht soll dazu auch die Entwicklung einer „gemeinsamen Verteidigungspolitik" gehören. Mock sieht sie als „Element eines dauerhaften europäischen Sicherheitssystems", an dessen Aufbau und Funktionieren „im Rahmen der Gemeinschaft und über diese hinaus" Österreich „solidarisch mitwirken wolle". Aber zur WEU, die der Vertrag von Maastricht zum Hauptinstrument dafür und zum „integralen Bestandteil der Entwicklung" der Europäischen Union erklärt hat, soll Österreich derzeit nicht einmal eine Beobachterrolle anstreben: den Beitrift erst recht nicht.

Vizekanzler Erhard Busek wiederum ist dafür, über die Position Österreichs konstruktiv nachzudenken.

■ Daß die EG-Diskussion mit der Sicherheitsdebatte verknüpft ist, macht einen Teil der Problematik aus. EG-Befürworter kriegen es beim Gedanken an die Volksabstimmung über den Beitrittsvertrag mit der Angst zu-tun, wenn Umfragen präsentiert werden, denen zufolge die Österreicher lieber auf die EG als auf die Neutralität verzichten. Da ist man versucht, die Sache vor sich herzuschieben, sich und anderen einzureden, die Neutralitätsfrage werde sich von selbst erledigen. Umgekehrt spielen EG-Gegner die etwas illusionären Neutralitätsvorstellungen vieler Österreicher gegen die Integration aus. Woraufhin Kanzler Vranitzky versichert, die Neutralität werde „kein Tauschobjekt in den EG-Bei-trittsverhandlungen" sein - als ob irgendwer außerhalb Österreichs das Neutralitätsgesetz als ein Wertpapier betrachten würde, für das man einen Preis zahlen wollte...

Man sollte sich endlich der Realität stellen, sie hat viele Ausgangspunkte der österreichischen Diskussion längst hinter sich gelassen.

Ein europäischer Politiker nach dem anderen - übrigens vor allem aus kleineren Staaten innerhalb und außerhalb der EG -versucht den Österreichern klar zu machen, daß Neutralität eine Sache von gestern .ist. (und eben nicht das „modernste Sicherheitsinstrument", für das Johannes Voggenhuber sie ausgibt): vom portugiesischen zum luxemburgischen Premier, vom schwedischen bis zum schweizerischen Verteidigungsminister...

Auch wer meinte, die KSZE könne zu einer europäischen Sicherheitsarchitektur werden, muß erkennen, daß das eine überholte Idee ist. Die Erweiterung um die zentralasiatischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion bedeutet einen Schritt zur „Enteuropäisierung" des „Helsinki-Prozesses": In diesem neuen transatlantisch-eurasischen System ist Europa nur noch ein Teil des Ganzen; es muß sich künftig eigenständiger definieren (siehe FURCHE 7/1992, Seite 3).

Über dieses erweiterte KSZE-System legt sich nun aber ein neues, in dem die USA sich die Hauptrolle vorbehalten haben, und aus dem die Neutralen ausgeschlossen sind: Der „Nordatlantische Kooperationsrat"; dorthin will man künftig vieles verlagern, was bisher KSZE-Sache war. Was im Hintergrund steht, kann man in einer kürzlich veröffentlichten Pentagon-Denkschrift nachlesen: die USA müßten den Aufbau rein europäischer Sicherheitsordnungen verhindern, die die NATO, und damit die amerikanische Dominanz, in Frage stellen könnten. Konkurrenten um die Führungsrolle - sogar in einem nur regionalen Rahmen - müßte Washington die Schneid abkaufen; möglichst durch gutes Zureden, notfalls durch Abschreckung.

Ob sich das durchsetzen wird, ist offen. Bisher gab es eine andere Hauptstrategie: den eigenen Einfluß in einem System internationaler Interessenverflechtungen und zwischenstaatlicher Organisationen geltend zu machen. Vielleicht hält man solche Selbstbindungen nach dem „Sieg im Kalten Krieg" nicht mehr für nötig.

Angesichts dessen wird sich die EG noch mehr profilieren müssen. Sie steht vor der Herausforderung, die europäischen Interessen in die Hand zu nehmen und sich dafür zu stärken und zu erweitern. Ihre Anziehungskraft wächst. Viele Staaten im EFTA-Raum und im Osten sind gewillt, die Konsequenzen zu ziehen, ohne jenes „Wenn" und „Aber", über das die Österreicher sich streiten.

Spätestens nach den Präsidentenwahlen sollte jedenfalls auch in Österreich Klartext gesprochen werden.

Der Autor, Professor für Politikwissenschaft in Wien, hat soeben zusammen mit Herbert Krejci und Erich Reiter ein Buch zum Thema „Neutralität: Mythos und Wirklichkeit" (Signum Verlag) herausgegeben.

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