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Ein Klassiker der modernen Musik

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Wer heute den Namen Bartök hört, denkt zunächst einmal an den Komponisten. Aber Bartök war auch ein bedeutender Musikologe, ein Volksmusikforscher, ein angesehener Pädagoge und ein virtuoser Pianist. Jetzt eben erschienen acht Langspielplatten, auf denen alles gesammelt ist, was Bartök seinerzeit in aller Welt gespielt hat, nachdem schon früher 39 Platten mit seinem gesamten kompositorischen Werk heraus gekommen waren, das selbst den Bartök-Kenner durch seinen Umfang überraschte…

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Wer heute den Namen Bartök hört, denkt zunächst einmal an den Komponisten. Aber Bartök war auch ein bedeutender Musikologe, ein Volksmusikforscher, ein angesehener Pädagoge und ein virtuoser Pianist. Jetzt eben erschienen acht Langspielplatten, auf denen alles gesammelt ist, was Bartök seinerzeit in aller Welt gespielt hat, nachdem schon früher 39 Platten mit seinem gesamten kompositorischen Werk heraus gekommen waren, das selbst den Bartök-Kenner durch seinen Umfang überraschte…

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Die wichtigste Entscheidung im Leben des Komponisten Bartök fiel, als der 18jährige, von seinem Freund Ernst von Dohnänyi beraten, nach Absolvierung des Pressburger Gymnasiums nicht nach Wien, sondern nach Budapest auf die Musikakademie ging, wo er von 1899-1903 studierte.

Kurz vorher hatten, anläßlich der Milleniumsfeiern, der Patriotismus und die Unabhängigkeitsbestrebungen des ungarischen Volkes ihren Höhepunkt erreicht. Vom Kommando in der Armee, von Hymne und Wappen bis zur Kleidung sollte alles „national“ sein oder werden.

Der junge Bartök ging und konzertierte jahrelang in Nationaltracht und war entschlossen, vor allem ein „ungarischer Musiker“ zu werden. Natürlich spielte er das gängige klassische Repertoire, in dem die Wiener Schule dominierte. Aber als Komponist hat er sich - bis in seine letzten Lebensjahre - dem Einfluß der Wiener Klassik und der deutschen Romantik konsequent entzogen - trotz vorübergehender Brahms- und Wagner-Schwärmerei und einer lebenslangen Bewunderung Beethovens.

Die einzigen tiefen und genau nachweisbaren Einflüße kamen von Bach und Debussy und von der ungarischen Folklore, dem eigentlichen Fundament, auf dem Bartöks Musikanten- tum ruht und aus dem es immer wieder gespeist wird.

Der in Nagyszentmiklös im Toronta- ler Komitat Geborene zeichnete bereits 1904 die erste ungarische Volksmelodie auf und studierte im Jahr darauf aufmerksam die von seinem späteren Freund und Kollegen Zöltan Kodäly veranstaltete Sammlung ungarischer Volksmelodien.

Frühzeitig erkannte Bartök auch den Unterschied zwischen dem, was damals (und auqh heute noch) als ungarische Musik galt und in Wirklichkeit sentimentale Zigeunermusik war, und der eigentlichen, echten, unverfälschten Bauernmusik - eine Unterscheidung, die weder von Liszt noch von Brahms gemacht worden war.

Hier - sowie in der rumänischen Volksmusik, die er fast ebenso schätzte - fand er eine musikalische Sprache voll neuen Reichtums, herb und klar, frei von Banalität, Schwulst und Sentimentalität. Der Erhaltung dieses Schatzes galt die Arbeit des Forschers und Gelehrten Bartök (von seiner Hand wurden etwa siebentausend Volksmelodien aufgezeichnet, auf seine Veranlassung weitere neuntausend).

Ihrer Einschmelzung in einen neuen Stil von höchstem geistigem Anspruch war das Lebenswerk des Komponisten Bartök gewidmet.

Frühzeitig erkannte Bartök auch, daß es mit der Übernahme und Verarbeitung von folkloristischen Originalthemen nicht getan sei. Es ging um ihren substantiellen Gehalt, vor allem um die in ihnen erhaltenen „Modi“, (die alten Kirchentonarten) - als Ergänzung und Erneuerung des schon ein wenig abgebrauchten Dur-Moll-Systems. Und es ging um das Problem der „großen Form“, worin Beethoven sein Lehrmeister war.

Von Bach lernte er den hohen Sinn des Kontrapunkts, von Debussy die Emanzipation der einzelnen Klänge und Akkorde, die freie Harmonik. Unerschöpflich aber waren die Anregungen, die Bartök von der vielfältigen und differenzierten Rhythmik der bal- kanischen Volksmusik empfing.

Seit Bartök 1905 in Paris gewesen war und den Einfluß Debussys erfahren

hatte, stand er in ununterbrochenem Kontakt mit der neuen westeuropäischen Musik und unterhielt zu deren wichtigsten Vertretern freundschaftliche Beziehungen. Er, der nationalbewußte Ungar, war als Künstler Weltbürger, stand allen echten Neuerungen offen gegenüber und hat seinersseits eine ganze Generation von Musikern in aller Welt beeinflußt.

Neben Inspiration und Phantasie besaß Bartök eine große Experimentierfreudigkeit. Immer neue Formen und Zusammenklänge verlangte es ihn zu erproben. So vermied er alles Schematische und jede Routine, wodurch jedes seiner Werke nicht nur Bartöks Handschrift, sondern auch den Stempel des Einmaligen und Originellen trägt.

Auf zwei Momente sei noch besonders hingewiesen: Auf die akribische Genauigkeit der Bartökschen Partituren, die der Kunst eines Feinmechanikers vergleichbar sind, und auf den brisanten, zuweilen barbarisch wilden Charakter seiner Musik, ihren glühenden emotionalen Kern, ihr zauberisches Wesen.

Doch damit rühren wir an letzte Geheimnisse des Menschen Bartök, den kaum jemand gekannt hat, auch die vergleichsweise Vertrauten unter seinen Schülern und Bekannten. Bartök wirkte auf Fremde unnahbar kühl und war gegen jedermann von zurückhaltender Höflichkeit. Etwas Sphinxhaftes ist um ihn und sein Werk.

So konnte es geschehen, daß beim Rätselraten um das Urbild des Adrian Leverkühn, den Helden von Thomas Manns Musikerroman „Doktor Faustus“, auch der Name Bartöks genannt, wurde.

Kein Wunder, daß ein mit solchen Qualitäten ausgestattetes Werk das Musikpublikum der ganzen Welt - seit nunmehr über 70 Jahren - interessiert, fesselt und begeistert. Von den „Klassikern der Moderne“ werden Bartöks Kompositionen, neben denen Strawins- kys, am häufigsten aufgeführt.

Um nur einige der wichtigsten Titel zu nennen: die „Tanzsuite“ von 1923, „Musik für Saiteninstrumente“ (1936), „Divertimento für Streichorchester“, drei Klavierkonzerte, zwei Violinkonzerte, die sechs Streichquartette, unzählige Klavierkompositionen, darunter das für seinen Sohn Peter geschriebene Wunderwerk „Mikrokosmos“, das aus 153 Stücken besteht und als das pianistisch-pädagogische Standardwerk dieser ersten Jahrhunderthälfte bezeichnet werden kann u.a.

Von den drei Bühnenwerken halten sich die Oper „Herzog Blaubarts Burg“ von 1911 und das Ballett „Der wunderbare Mandarin“ (1918/19) ständig auf dem Repertoire, während das Tanzspiel „Der holzgeschnitzte Prinz“ von 1914-16 seltener aufgeführt wird.

Kammermusik in verschiedenster Besetzung sowie zahlreiche Chorsätze, mit und ohne Instrumentalbegleitung,

ergänzen das Werkverzeichnis und führen zu Bartöks Anfängen als Volksmusikforscher zurück.

In krassem Gegensatz zum weltberühmten Komponisten steht das private Leben Bartöks, der von 1907 bis 1934 an der Budapester Akademie lehrte, bezeichnenderweise nicht Komposition (die er für unlehrbar hielt), sondern ausschließlich das Fach „Klavier“. Daß Bartök ein so reiches, überreiches pia- nistisches Werk hinterlassen hat, danken wir nicht nur diesem Umstand, sondern auch seiner Frau, der schönen Pianistin Ditta Päsztory, mit der Bartök häufig an zwei Flügeln musizierte und für die er eine seiner berühmtesten Kompositionen, die „Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug“ von 1937 geschrieben hat.

Der kleine, zierlich-schlanke Mann mit dem wie in Bronze gemeißelten Gesicht und dem frühergrauten, später silberweißen Haar wurde überall, wo er auftauchte, mit Respekt empfangen. Sogar bei seinem Verleger.

„Bartök lebte“, so berichtet Hans Heinsheimer, der als Angestellter der Wiener Universal-Edition viel mit dem „Herrn Professor“ zu tun hatte, „in einer schweigsamen Welt, die selten ein Lächeln kannte, in der wenig Raum für unsere menschlichen Schwachheiten war und keine Verzeihung für unsere

Sünden. Seine engelhafte Rechtschaffenheit machte ihn untauglich für eine Welt, in der alles auf Geben und Nehmen beruht, in der jede Hand die andere wäscht, und in der jedes Ding seinen Haken hat.“

Der große Haken aber war die Politik und eine durch sie vergiftete Atmosphäre. Darunter hat Bartök sehr gelitten. Aber auch hier blieb er der „vir justus“, der nie mit seiner Meinung hinter dem Berge gehalten hat, wenn auch immer zu seinem Schaden. Das war so bereits 1920, nach 1933 und 1938 und blieb so bis zu seinem Tod.

Nach der „roten“ drohte die „braune“ Gefahr: Als 1936 in Düsseldorf die Ausstellung „Entartete Musik“ veranstaltet wurde, protestierte Bartök in einem Brief an das deutsche Außenministerium, daß neben den Werken von Schönberg, Strawinsky, Mil- haud und anderen nicht auch die seinen an den Pranger gestellt worden seien. Damit waren für ihn die deutschen und einige anderen Konzertpodien bis auf weiteres gesperrt.

Und am 13. April schreibt er aus Budapest: „Es besteht nämlich die eminente Gefahr, daß sich auch Ungarn diesem Räuber- und Mördersystem ergibt. Die Frage ist nur wann und wie. Wie ich dann in einem solchen Lande weiterleben oder, was dasselbe bedeutet, weiter arbeiten kann, ist gar nicht

vorstellbar. Ich hätte eigentlich die Pflicht, auszuwandern, so lange es noch Zeit ist.“

Aber erst 1940 entschloß sich Bartök zur Emigration - und schweren Herzens, denn er mußte auf vieles verzichten, Kostbarstes aufgeben, seine großen Sammlungen, seine Pension als aktives Mitglied der Ungarischen Akademie, Haus, Hof und Garten …

T-J ber Bartöks letzte Jahre in Amerika ist viel geschrieben und erzählt worden. Zwar war er „drüben" nicht ganz unbekannt, aber er fühlte sich tiefunglücklich in New York, das ihn zermalmte. Er konnte ab und zu konzertieren und erhielt sogar auch Kompositionsaufträge. Aber all das reichte gerade zum Leben - in einer Kleinstadtwohnung in der 57. Straße West.

Im Westside-Hospital, wohin er mit Notenpapier und Notizblättern zu seinem letzten Klavierkonzert, übersiedeln mußte, starb er am 26. September 1945, von seinem Volk und Vaterland getrennt, der vir iustus, vielleicht der iu- stissimus seines Standes, und wurde auf dem „Ferncliff’-Friedhof „Hartsdale“ beigesetzt. Die Begräbniskosten und der provisorische Stein wurden der AS- CAP, der Amerikanischen Gesellschaft für Autorenrechte, bezahlt.

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