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Ein kleines Lächeln unter Tränen

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Schon über acht Monate lebe ich in Österreich. Die Entscheidung, hierher zu kommen, faßte ich nach langer und reiflicher Überlegung. Ich kam ohne Gepäck. Und fast ohne Geld. Das einzige, was ich hatte, war der Wille, hier zu bleiben, und die Hoffnung, hier ein Zuhause zu finden.

Ganz am Anfang, fragte man mich sehr oft, warum ich meine Heimat verlassen habe. Es war und ist immer noch kaum möglich, dies zu beantworten. Die Wunde ist zu frisch und tut weh.

Jetzt fragt man mich eigentlich nur noch sehr selten, und nur diejenigen, die das komplizierte Polen-Problem nicht im Ganzen be-

:greifen. Und denen möchte ich :hier sagen, daß es in meinem Fall zusätzlich noch seelische Motive .gab.

Die ersten Tage des neuen Weges waren nicht leicht. Ich hatte damals so viel Zeit für ziellose Spaziergänge. Ich trabte also los, kreuz und quer durch Wien, immer der Nase nach. Eigenartig — ganz Wien hatte einen ganz bestimmten Geruch. Ich konnte ihn nicht definieren. Hatte ich ein zu fremdes Riechorgan? Es war eine mysteriöse Mischung aus den verrücktesten Duftkompositionen der Parfüm- und Waschmittel-Industrie. Mein Gott, alles ist so sauber, dachte ich. In wenigen Tagen kam ein Brief aus Polen: „Wir haben jetzt schon gar keine Seife hier, und auch keine Zahnpasta — bald werden wir wie alte Hunde stinken.“ Ich weinte. Das Gefühl der Ratlosigkeit bedrückte mich.

Die ersten Tage waren nicht leicht. Vielleicht auch, weil ich so unpraktisch bin. Dazu noch der eigentümliche Sinn für die Würde, die mich zwingt, den strengsten Weg zu wählen. Ich wollte niemanden mit meinen Problemen belasten.

Halsbrecherisch waren meine Bemühungen, ein möglichst billiges eigene Zimmer zu finden. Es ist mir aber doch gelungen.

Die Sommerwochen verbrachte ich in einer kleinen Kammer, die ich mit einem Vorhängeschloß abschließen mußte. Von innen abschließen konnte ich nur mit einem wackeligen Riegel. Es gab dort weder Tisch, noch Stuhl, auch keine Waschmöglichkeit. Mein Fenster hatte einen trüben Ausblick auf den Hausflur, wo mir die schmale Klotür als einzige Abwechslung diente. Der Luxus dieser Kammer bestand aus einer Couch und einer ärmlichen Glühbirne hoch oben an der Decke.

An der Wand hingen klägliche Reste eines Plakats; zwei gräßliche schwarze Fische gafften mich ohne eine Spur des Mitleids an. Der Zins machte 600 Schillinge pro Monat aus, aber, immerhin, es waren doch ein paar Schritte vorwärts. Übrigens: alles Mißliche an dieser Lage glichen die Menschen aus, die mich dort umgaben: Der

Hausherr, der mich ohne Zögern angemeldet hatte, und dann vor allem das gute hüfsbereite, alte Ehepaar; die beiden Pensionisten Maria und Franz P. Das war das erste Wunder in meinem neuen Leben.

Auf einfache, menschliche Weise betreuten sie mich wochenlang, damit die Einsamkeit keinen Zutritt zu mir fände. Sie überraschten mich beide. Eines Tages stand vor meiner Tür ein kleiner Korb mit Äpfeln und Müch. Es war auch ein Zettel dabei: „Nicht traurig sein, nicht traurig sein, es wird alles wieder gut.“ Ein anderes Mal hing eine Blume an meiner Klinke. Jeden Morgen klopften sie leise, um mir „Grüß Gott“ zu sagen, oder um einen sonnigen Tag anzukündigen.

Sie haben mir auch praktisch geholfen, aus alten Brettern Möbel für mich gebastelt: einen Tisch und einen Stuhl. Sie wußten, daß ich nicht gekommen bin, um mich zu bereichern oder auch durch die Ortsveränderung irgendeinen Nutzen zu ziehen. Sie fühlten, daß es für mich andere, innere Ziele und Werte gibt.

An diesem einfachen Tisch konnte ich schon zu schreiben beginnen. Ich habe ein Theaterstück übersetzt, Rezensionen geschrieben, und mein neues Buch auch um ein Stück weiter gebracht.

Herr Franz borgte mir ein dik- kes Lexikon und brachte viele bunte Bleistifte. „Es soll nicht mehr alles grau in grau sein“, sagte er. Frau Maria kümmerte sich inzwischen um das Gestell, an dem meine Wäsche hing — daß es richtig in der Sonne stand.

Jeden Sonntag eilten sie vom Besuch bei ihrer Tocher nach Hause, damit ich nicht zu lange einsam bliebe. Sie haben ihren Urlaub verschoben, um mich psychisch zu stärken, um mich zu trösten.

Mitte des Sommers erschienen in meinem Leben plötzlich Menschen aus meinem Berufskreis. Und das war das zweite Wunder, oder genauer gesagt, eine Kette von lauter Zufällen, die mich überzeugten, daß sich das Verhältnis zu den Polen mitunter in diskreter, uneigennütziger, und doch so wirksamer Hilfe äußern kann.

So viele schöne, menschliche Gesten gab es in dieser Zeit — und sie vertieften unsere Freundschaft. Ich erinnere mich an den ersten Brief von einer Wiener Autorin: „Sie sind nicht allein! Bitte mich besuchen. Ich erwarte Sie, Kopf hoch!“

Aber ich erinnere mich auch an die Hand, die meinen Kopf gestreichelt hat, „Danuta, sind Sie nicht hungrig?“ fragte eine Stimme. Ja, das war die tiefe, warme Stimme eines Menschen, der so eine nüchterne Frage stellen durfte — ohne mich zu verletzen — weil er

Ähnliches schon einmal, erlebt hatte. Im Laufe der Tage öffneten sich für mich immer mehr Herzen, und ich fühlte mich nicht mehr so fremd.

Ich bin nach Wien in einem Sommerkleid gekommen. Aber ich friere nicht. Weder im eigentlichen noch im übertragenen Sinn des Wortes. Heute brachte mir der Briefträger einige Zeitschriften. Absender? Ohne Namen. Einfach: „Freundeskreis“. Damit es mir nicht peinlich ist.

Es kam auch ein Paket mit Lebensmitteln. Absender? Unbekannt.

Niemand fragt mich, was ich hier eigentlich zu suchen habe. Als ob man fühlte, daß ich zu denjenigen gehöre, die das eigene Leid, und auch das Leid der anderen nicht als Geschäftsware behandeln. Gegenseitige Wertschätzung bildete von Anfang an den Grund unserer Freundschaft.

Wien hat mich auf seine eigenartige Weise betäubt. Es bedeutet aber keine Faszination des Überflusses. Nein. Jeden Überfluß kann ich nur fürchten, da er doch unsere menschliche Gier, unsere seelische Schwäche, unsere Verführbarkeit vor Augen führt.

Jeden Tag eigne ich mir Wien mehr und mehr an. Ich beobachte und vergleiche. Es freuen mich die zufriedenen Gesichter auf den Straßen, aber es drängt sich auch gleich die bittere Frage auf: Warum? Warum kann es in Polen nicht so sein?

Es freuen mich lustige Kinder, die den märchenhaften Christkindlmarkt vor dem Wiener Rathaus genießen. So gern würde ich unter diesem prächtigen Tannenbaum mich mitfreuen, auch mitsingen. Meine Gedanken aber versuchen unterdessen, hoffnungslos die Frage nach dem worum zu lösen.

Beunruhigt beobachte ich das Wachsen einer gewissen anti-polnischen Stimmung. Ich fürchte jedes „anti“- da ich zur Generation gehöre, die Abneigung und Haß leider nur allzu gut einzuschätzen weiß. Ich habe Angst davor, egal ob es anti-deutsch, anti-jüdisch, oder anti-polnisch ist. Es bedeutet dasselbe: Die Gefahr des Hasses. Das Polen-Thema wurde in Wien hie und da als ZeitungsSchlager behandelt; leider im schlechten Sinn dieses Wortes — und so wurden bei manchen Leuten böse Instinkte ausgelöst. Es gab manche, die an verschiedenen Stellen der Stadt Flugblätter aufklebten: Polen raus!

Aber auch viele Österreicher wurden dadurch beunruhigt. Nicht nur ich. Und dies war tröstend. Es konnte meine Vorstellungen (und auch Erfahrungen) von den Menschen dieses Landes bestätigen und noch stärken.

Die Ursachen des Flüchtlingsproblems sind doch auf so verschiedenen Ebenen zu suchen. Schon das Wort „Flüchtling“ selbst, in seiner phonetischen Form, enthält negative Beiklänge, die auch negative Reaktionen aus- lösen können. Nur selten denkt man an den rein menschlichen Sinn dieses Wortes.

Ich glaube, die Qualität der Zeit müßte sich endlich bedeutend ändern. Und auch die Menschen. Wir selbst. Es sind keine großen Worte dabei nötig. Es genügt das Einfachste, das wir in die Tat umset- zen. Und jedem müßte das Recht zustehen, seinen eigenen Weg zu seinen Gott wählen zu dürfen. Dies kann sich auf verschiedene Weisen äußern. Für das fast mittellose Ehepaar Maria und Franz P. bedeutet es ganz bestimmt: den anderen Menschen zu verstehen und ihm entgegenzukommen. Ich werde ihre lächelnden Gesichter nie vergessen.

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