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Ein Kleinkrie gegen die Opfer

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In Deutschland wurde die Wiedergutmachung an den NS-Opfern theoretisch verankert und praktisch sabotiert. Für Österreichs Nach-kriegspolitiker war sie kein Thema.

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In Deutschland wurde die Wiedergutmachung an den NS-Opfern theoretisch verankert und praktisch sabotiert. Für Österreichs Nach-kriegspolitiker war sie kein Thema.

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Frau B. war von der Geburt bis zum vierten Lebensjahr in den Zigeunerlagern Krychow und Siedice und im Warschauer Ghetto. Ihr Vater wurde ermordet, sie von ihrer Mutter getrennt. Ein Minimum von Wissen über die Neurose genügt, um in den Erlebnissen der Frau B. die Grundlage lebenslanger Störungen zu erkennen.

Nicht so ein deutscher Professor, der über Versorgungsansprüche von Naziopf em befindet. Er sieht es so: Da die Störungen erst im 13. Lebensjahr aufzutretenbegannen und Frau B. sich an die Ereignisse ihrer Frühkindheit nicht erinnert, können weder Angstzustände noch Herz-und Nervenleiden darauf zurückzuführen sein.' Der Fall ist nur einer von vielen, die Christian Pross in seinem Buch „Wiedergutmachimg -Der Kleinkrieg gegen die Opfer“ schildert.

„Da insistieren die Gutachter bei einem Mann, dem in fünf Jahren KZ-Haft beide Beine verstümmelt wurden, auf der Trennung der angeblich völlig unabhängig voneinander erkrankten arteriellen und venösen Beingefäße in verfolgungsbedingt und nicht Verfolgungsbedingtgeschädigte... Auch bei einem von der SS halb totgeprügelten Greis will sich die deutsche Behörde nicht von einem Schweizer Professor hineinreden lassen, sondern einen 6chon über zehn Jahre dauernden Prozeß bis zum bitteren Ende durchfechten, angeblich, um eine medizinische Grundsatzfrage zu klären.

Tatsächlich wird es wohl nicht um medizinische Fragen gegangen sein, sondern um etwas ganz anderes: .Schluß zu machen' mit den Ansprüchen und den .üblichen Übertreibungen*. Den Antragstellern könne es nicht schlechter gegangen sein als denen ,an der Front'.“

Das Buch über den Kleinkrieg gegen die Opfer ist für die Bundesrepublik Deutschland beschämend, österreichische Leser seien abervor Selbstgerechtigkeit gewarnt. In der Bundesrepublik hat es Wiedergutmachung doch immerhin gegeben. Österreich mit seinen rund 100.000 illegalen NS-Parteimitgliedern hat sich zum Hitler-Opfer erklärt und die Wiedergutmachung auf ein juristisches Problem zwischen Ariseu-ren und „redlichen Erwerbern“ auf der einen Seite und Geschädigten auf der anderen Seite reduziert.

Allerdings entzieht Pross auch einer spezifischen Form deutscher Selbstgerechtigkeit den Boden, nämlich der Ansicht, die relative Großzügigkeit der deutschen Regelungen über Wiedergutmachung sei freiwillig erfolgt, sei letztlich der moralischen Integrität und Staatsklugheit des deutschen Gründungskanzlers Konrad Adenauer zuzuschreiben.

Pross schreibt die Geschichte etwas anders: Wiedergutmachimg sei etwas gewesen, was zunächst auf Druck der alliierten Besatzungsmächte zustandekam und dem die deutschen Behörden Widerstand entgegensetzten, wo sie konnten. Und dem später hoher Stellenwert bei der Integration der Bundesrepublik in das westliche Bündnis zukam. Sozusagen als Preis der' politischen Reinwaschung Nach-kriegs-Deutschlands von Hitlerdeutschlands Blutschuld.

Die antisemitischen Ausfälle und Ausrutscher im Kabinett, deren österreichische Spielart vor kurzem gegenüber wenigstens anerkennen bekannt wurde, gab es auch in der müsse, daß ihnen Eingliederungs-Bundesrepublik: „Am 5. April 1952 kosten in Höhe von drei Milliarden versuchten Böhm und Küster Ade- DM entstanden seien... Adenauer nauer in einer dramatisch verlau- fällt Böhm ins Wort, die Juden be-f enden Kabinettssitzung... davonzu trögen uns ja doch... Dem war eine überzeugen, daß man den Israelis Intervention des amerikanischen Hochkommissars John McCloy vorausgegangen, der am Vortage dem Kanzler bedeutet hatte, er möge für einen befriedigenden Abschluß der Verhandlungen sorgen.“

William G. Niederland von der New Yorker State University, „Altmeister“ der Erforschung von Spätschäden bei Naziopfern, in seinem Vorwort: „Die Feststellung, daß es eine solche intensive Ablehnung der Wiedergutmachung gegeben hat, machte mir... zum ersten Male wenigstens teilweise verständlich, wie die große Zahl ärztlicher Fehlbegutachtungen von Verfolgungsschäden zu erklären sei. Die leider nicht seltene Unmenschlichkeit von gutachterlich und .dienstlich' (das heißt für Ämter und Gerichte) tätigen Ärzten ist schon vor Jahren von Alexander Mi tscherlich beschrieben worden. Zusammen mit dem Mangel an Menschlichkeit seitens bürokratischer, nicht selten auch gerichtlicher Amtsstellen hat sie, wie wir seit langem wissen, manches den ehemals Verfolgten und gesundheitlich Geschädigten geschehene Unrecht fortgesetzt und verschärft.“

Viele der von Pross zitierten Gutachten klingen nicht wie eine seriöse Auseinandersetzung mit einer medizinischen Fragestellung, sondern wie eine Verspottung der Opfer. Die in dem Buch abgedruckten Biographien solcher Gutachter liefern die Erklärung: Viele haben ihre Karriere nicht nur in der NS-Zeit begonnen, sondern auch gemacht und mancher ist wahrscheinlich Nazi gebheben. Sie sind die Tretminen im Kleinkrieg gegen die Opfer.

Aber auch die engagierten juristischen und medizinischen Helfer der Opfer und Vorkämpfer einer echten Wiedergutmachung werden ausführlich gewürdigt. Auch mit ihnen mußte gerechnet werden. Dank ihnen wurde in der Bundesrepublik nicht nur ein Kleinkrieg gegen die Opfer, sondern auch ein Kleinkrieg um Gerechtigkeit geführt. Immerhin gab es in der Bundesrepublik für Holokaust-Opf er den prinzipiellen Rechtsanspruch auf Wiedergutmachung, aber sie „war verzahnt nicht nur mit der Rückkehr ehemaliger Nationalsozialisten in Amt und Würden, sondern auch damit, daß den Verfolgten und ihren Fürsprechern jeglicher E influß auf das politische Geschehen in der Bundesrepublik genommen wurde.“

An die Methoden, mit denen dies geschah, werden deutsche Politiker nicht gern erinnert. Pross tut es. Der Leiter des bayerischen Landesentschädigungsamtes, Philipp Auerbach, war ein Auschwitz-Überlebenderund wurde vom bayerischen Justizminister Josef Müller, einem ehemaligen SD-Mann, in einer Aktion, die an Straußens späteren „Spiegel“-Handstreich gemahnt, unter Anschuldigungen verhaftet, die sich in Luft auflösten. Auerbach beging Selbstmord, Müller trat zurück.

WIEDERGUTMACHUNG - DER KLEINKRIEG GEGEN* DIE OPFER Von Christian Pro. Athenäum Verlag, Frankfurt am Main 1988.386 Seiten, öS 310,40.

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