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Ein Kraftprotz spielt Heinzelmännchen

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Seit die Deutschen nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch kräftig auf die Pauke hauen, wächst das Unbehagen bei den Nachbarn. Ist Deutschland wieder auf dem Weg zu einer Großmacht? fragen besorgt Politiker und Journalisten. Ein prominenter Berater Helmut Kohls versuchte kürzlich in Wien, die Angst vor Bonn zu nehmen.

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Seit die Deutschen nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch kräftig auf die Pauke hauen, wächst das Unbehagen bei den Nachbarn. Ist Deutschland wieder auf dem Weg zu einer Großmacht? fragen besorgt Politiker und Journalisten. Ein prominenter Berater Helmut Kohls versuchte kürzlich in Wien, die Angst vor Bonn zu nehmen.

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Große Aufmerksamkeit fand kürzlich Michael Stürmer, bekannter Berater Helmut Kohls und Direktor des Ebenhausener Forschungsinstitutes für Internationale Politik und Sicherheit, im Wiener „Haus der Industrie" mit interessanten Thesen zum Thema „Die deutsche Einheit -Folgen für Europa".

Mit dem Anschluß der ehemaligen DDR an die Bundesrepublik - so der Chef des wichtigsten außenpolitischen „Think Tanks" in Deutschland - hat sich nicht nur die Landkarte in Europa'geändert, sondern auch die Kräfteverteilung. 78 Millionen Deutsche sind eindeutig die stärkste Nation in der EG, sie tragen bereits 26 Prozent zum Sozialprodukt der Gemeinschaft bei, demnächst werden es 30 sein.

Der hochkarätige Berater der Bonner Regierung hatte keine Hemmungen das auszusprechen, was im Ausland ohnehin mehr oder weniger deutlich geäußert wird: Die Europäische Gemeinschaft droht aufgrund dieses enormen wirtschaftlichen Potentials unter den bestimmenden Einfluß Bonns zu geraten, sich geradezu zu einer „deutschen Holding" (Stürmer) zu entwickeln.

Damit war - und das ist bemerkenswert - nun auch von einem der „Ohrwürmer" des deutschen Kanzlers deutlich zu hören, was seit Wochen die internationalen Medien beschäftigt: Deutschland haut wirtschaftlich und politisch wieder fest auf die Pauke. Mißtrauen vor der neuen Potenz Deutschlands beginnt sich breitzumachen.

Die Deutschen werden anmaßend, heißt es bereits in den USA. Sie sind imperialistisch, fürchten die Reformländer des Ostens. Sie sehen sich schon - hilflos den begehrlichen Blicken der deutschen Wirtschaftskapitäne ausgesetzt - in der Rolle „deutscher Hinterhöfe".

Ist die jahrzehntelange „ängstliche Strategie der Konfliktvermeidung, die stets versucht, allen jenen Geld in die Taschen zu stopfen, die sich als Kritiker unserer Politik bemerkbar machen" (Arnulf Baring, Professor für Zeitgeschichte und Internationale Beziehungen in Berlin) wirklich vorbei? Ist Deutschland auf dem Weg zu einer Großmacht, vor der man wieder Angst haben muß?

Die Furcht vor deutscher Dominanz ist jedenfalls da und Bonn hat Mühe, seine Partner von ihrer Überflüssigkeit zu überzeugen. Kanzler Kohl bekräftigte kürzlich eindringlich: „Vor Deutschland braucht wirklich niemand Angst zu haben". Zur Bestätigung wies er jegliche Großmachtambitionen weit von sich. Man wolle keinen Anspruch auf einen „Ständigen Sitz im Sicherheitsrat", also auf eine Besiegelung des deutschen Großmachtstatus. Eine Möglichkeit, die in den letzten Monaten oft ins Spiel gebracht wurde.

Diese Angst vor Deutschland ist natürlich nicht neu. Michael Stürmer sagte im Rahmen des Wiener Symposions, wirksames Gegenmittel sei bis jetzt die Einschmelzung des deutschen Potentials in eine Integrationsgemeinschaft gewesen. Als EG-Mitglied konnte Bonn sein Wirtschaftspotential politisch keinesfalls autonom nutzen.

Aber Stürmer deutete auch an, daß dieses Rezept nicht mehr so verläßlich sei wie früher. Die Wirtschaftsund Währungsunion werde nach deutschem Schnittmuster gestaltet. Sie werde kein Instrument zur Einbindung der Deutschen sein. Im Gegenteil: das System werde zu einem Instrument der Deutschen. Mit der Politischen Union - gedacht als Ausgleich - sei man auch nicht so weit vorangekommen, wie man erhofft hatte.

Aber eigentlich sei das nicht so schlimm, beruhigte Stürmer seine aufmerksamen Zuhörer. Die westlichen Partnerstaaten müßten sich vor einer Schwäche der Deutschen mehr fürchten als vor ihrer Stärke und überhaupt würde Deutschland seine Potenz nicht im Dienste nationaler Großmannsucht einsetzen, sondern vor allem zur Sanierung der maroden Wirtschaft im Osten.

Ein anderer Referent des Symposions der „Gesellschaft für politischstrategische Studien", Konsul Wilhelm Hendricks vom Donaueuropäischen Institut in Wien, sekundierte an dieser Stelle mit Zahlenangaben: Schon bisher seien in die fünf neuen Bundesländer über 87 Milliarden D-Mark geflossen. Heuer würden es laut Bundesbankpräsident Helmut Schlesinger nochmals 117 Milliarden sein. Das sind allerdings nur die innerdeutschen Transferleistungen. Dazu kommt das Engagement in Osteuropa und in den „GUS"-Staaten (das sind die Mitglieder der Ende vorigen Jahres von Boris Jelzin initiierten Nachfolgeorganisation der Sowjetunion), wo die Deutschen ja auch immer wieder darauf verweisen, daß sie bereits mehr Hilfszusagen auf den osteuropäischen Gabentisch gelegt hätten als alle anderen westlichen Staaten zusammen.

Der Gast aus Deutschland führt diese Tatsache drastisch vor Augen: Die Übernahme der Kreditbürgschaften und andere Zusagen hätten - zusammen mit der Finanzierung des innerdeutschen „Aufschwungs Ost" -zu einem Ausmaß an „deficit spen-ding" geführt, wie es das in Deutschland in Friedenszeiten (abgesehen von der Kriegskosten verschuldung) überhaupt noch nie gegeben hätte.

Sind die Deutschen also barmherzige Samariter, die dem armen Osten nur helfen, um damit ihre politischmoralische Verbindlichkeit unter Beweis zu stellen?

Ganz so ist das auch wieder nicht.

□ Die Sanierung der fünf neuen Bundesländer ist ein unbedingtes Muß. Man hat es den Bürgern versprochen und kann sich auch eine innenpolitische Destabilisierung nicht leisten.

Auch die Osthilfe fließt nicht aus purer Solidarität:

□ Leistungen in die ehemalige Sowjetunion (wie zum Beispiel die Wohnungsbauten für die aus Deutschland abziehenden Sowjettruppen) gehören mit zum Preis für die deutsche Einheit.

□ Eine Absicherung der Ostexporte der ostdeutschen Unternehmen ist für die Wirtschaft im ehemaligen DDR-Gebiet lebensnotwendig, denn für den Westen si nd die dort hergestellten Produkte nicht konkurrenzfähig. Von der Weiterführung dieser Exporte hängen aber Hunderttausende Arbeitsplätze in Brandenburg, Thüringen und anderen Ländern ab.

□ Und da die GUS-Staaten keine Devisen mehr haben und andere osteuropäische Staaten ebenfalls reichlich verschuldet sind, müssen die Deutschen auch diese Exporte in der Größenordnung von -zig Milliarden D-Mark zum Teil selbst finanzieren.

Das sprach der Referent aus Deutschland aber nicht so deutlich aus. Er malte die deutsche Position in weitaus positiveren Farben aus.

Ob die anderen das auch so sehen können, wird sich zeigen.

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