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„Ein Krieg kann keine Probleme lösen"

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FURCHE: Waren - im Hinblick auf den Golfkrieg - die Wünsche nach einer neuen Weltordnung verfrüht?

JAN MARTENSON: Man kann sich einen Weltfrieden natürlich nie zu früh wünschen. Dies ist im Grunde ein Herzensanliegen aller Menschen. Aber leider waren bisher auch Krieg und Gewalt bestimmende Faktoren der menschlichen Geschichte. Wir sollten jedoch durch die dramatischen Geschehnisse am Golf nicht die grundlegende Tatsache verdunkeln lassen, daß in den letzten Jahren eine wichtige Veränderung auf der internationalen Bühne stattgefunden hat.

Die fundamentalen Konflikte, die das internationale Klima während der letzten 40 Jahre vergiftet haben, während der Periode des Kalten Krieges, scheinen doch weitgehend überwunden zu sein. Die Berliner Mauer ist gefallen, in Osteuropa gibt es neue Regime. Diese Entwicklung war äußerst produktiv und konstruktiv - besonders bezüglich der Aufwertung der Menschenrechte. Der Golfkrieg fällt natürlich wie ein Schatten in diese Entwicklung - aber sie wird sich langfristig nicht aufhalten lassen.

FURCHE: Es bestand die Hoffnung, daß sich die Ideen der UNO-Charta durchsetzen würden. Es bedurfte aber erneut einer Supermacht, der USA, um die neue Ordnung durchzusetzen. Damit machen die Vereinigten Staaten doch auch ihren Einfluß geltend.

MARTENSON: Dieser Ansicht kann ich nicht völlig zustimmen. Es ist der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, der allen Ländern, die gemeinsam für die Durchsetzung der UNO Resolutionen kämpfen, die Genehmigung gegeben hat. Es ist ja eine Koalition von 28 Staaten, die in der Golf region kooperieren.

Wie ich schon sagte, hoffe ich aber weiterhin, daß diese Ereignisse die fundamentalen Veränderungen einer neuen Weltordnung nicht zum Stillstand bringen werden. Wir sehen aber auch eine Rückkehr zu einem Multilateralismus in der Golfkrise. Mitgliedstaaten haben begriffen, daß die Herausforderungen der Menschheit von Schuldenlast der Entwicklungsländer, Bedrohung der Umwelt, bis hin zu Aids - um nur einige Beispiele zu nennen - zu schwerwiegend sind, als daß sie noch von einem einzelnen Land gemeistert werden könnten.

Daher müssen wir begreifen, daß wir Kooperationen und keine Konfrontationen brauchen. Eine Dimension der Golf krise besteht auch darin, daß zum ersten Mal seit sehr langer Zeit der Sicherheitsrat und die UNO im Sinne ihres Gründungsgedankens eingesetzt werden konnten. Besonders erfreulich empfinde ich die Unterlassung der stereotypen Übungen des Vetorechtes.

FURCHE: Könnte man die Beachtung der UN-Resolutionen auch ohne Waffen in gleicher Weise durchsetzen?

MARTENSON: Die Vereinten Nationen sind der kollektive Ausdruck des politischen Willens von 159 Staaten. Man kann natürlich die verschiedenen Entscheidungen, die von diesen Staaten getroffen werden, zur kritischen Diskussion stellen, aber sie werden demokratisch getroffen.

FURCHE: Welche Rolle kommt bei solchen Weltkonflikten den Neutralen - wie Österreich, Schweiz und Schweden - zu?

MARTENSON: Ohne die Ost-West-Konfrontation gibt es heute nichts mehr, wogegen man sich neutral verhalten könnte. Doch die neutralen Staaten haben auch in

der heutigen Welt eine wichtige Rolle zu spielen. Und das Konzept der Neutralität ist besonders auch im Kontext der Vereinten Nationen wichtig. Bis vor kurzem hing der Einfluß eines Landes auf die internationale Politik weitgehend von seiner wirtschaftlichen und militärischen Macht ab. Kleine Länder hatten kaum eine Stimme. Aber dies hat sich geändert und man hört auch in den Vereinten Nationen auf solche kleinen Staaten, und ihre Vorschläge werden oft in Betracht gezogen.

FURCHE: Wird der Golfkrieg der letzte große Konflikt dieser Art sein oder werden Waffen nach wie vor als Lösungsmöglichkeit bei Streitfällen eingesetzt werden?

MARTENSON: Das Hauptanliegen der Vereinten Nationen ist natürlich der Weltfrieden und dies bedeutet, Krieg ist ein Scheitern und wir müssen uns mehr um eine Kooperation bemühen. Ich kann die Entwicklungen der Geschichte nicht voraussagen, und es ist möglich, daß wir weiter Konflikte in der Zukunft erleben werden. Aber ich hoffe, daß es der letzte Konflikt dieser Art sein wird. Die positive Seite des Konfliktes sehe ich darin, daß der Sicherheitsrat bewiesen hat, daß er konsensfähig ist. Dies könnte möglicherweise zukünftigen Aggressoren eine Lehre sein.

FURCHE: Abrüstung war bisher die Hoffnung der Völker. Jetzt erleben wir einen imposanten Aufmarsch der modernsten Waffengattungen, den Anbruch des Zeitalters des elektronischen Krieges. Könnte das nicht Anreiz auch für kleinere Nationen sein, ihre Waffenarsenale stärker aufzufüllen?

MARTENSON: Man könnte ironischerweise sagen, daß diese Länder ohnehin niemals genug Waffen kaufen könnten, um sich gegen eine

solche Übermacht erfolgreich zur Wehr zu setzen. Doch sollte man den Fortschritt der letzten Jahre im Bereich der Abrüstung und der Menschenrechte mit dem völligen Stillstand während des Kalten Krieges vergleichen. Die Welt ist von spezifischen Kategorien nuklearer Waffen in Europa befreit worden. Die Sowjetunion und die USA verhandeln erfolgreich die Reduktion strategischer Nuklearwaffen. In Europa gab es eine wesentliche Reduzierung der konventionellen Waffen, sowjetische Truppen ziehen sich aus verschiedenen osteuropäischen Ländern zurück. Abgesehen von der Waffengewalt, die wir jetzt in der Golf region erleben, haben wir doch große Fort-

schritte bei der Abrüstung gemacht. Außerdem erfordert die ökonomische Lage von allen Ländern, Militärausgaben zu kürzen.

FURCHE: Glauben Sie, daß der Golfkrieg, wie immer er ausgehen mag, die anstehenden Probleme des Mittleren Ostens lösen kann, wird es nachher einen besseren Irak, eine stabilere Ordnung geben?

MARTENSON: Ich glaube nicht daran, daß der Krieg Probleme lösen kann. Dies kann nur auf friedliche Weise geschehen. Zu diesem Thema möchte ich mich aber nur sehr generell äußern.

Mit dem Generaldirektor der UNO Genf und Leiter des Menschenrechtszentrums, JAN MARTENSON, sprach FELIZITAS VON SCHÖNBORN.

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