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Ein Kuckucksei

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Der „unabhängige Sozialist“ Rudolf BatteX ein Prager Soziologe, verbrachte in den vergangenen zwei Jahrzehnten insgesamt neun Jahre hinter Gittern. Sein Verbrechen: Kontakte zu einer fremden Macht. Diese „fremde Macht“ war die Sozialistische Internationale.

Battfek gegenüber erweist sich das Prager Regime auch heute noch hart: Der Sprecher der Bürgerrechtsbewegung von unabhängigen Sozialisten und Sozialdemokraten durfte in diesem Jahr weder am Kongreß der Sozialistischen Internationale in Stockholm noch an den Parteitagen der niederländischen und der österreichischen Sozialisten teilnehmen, obwohl er offiziell eingeladen war.

Dem Bundesparteitag der SPÖ in Graz (19. bis 21. Oktober) hatte Battök eine Grußbotschaft geschickt. Sie wurde von einem Vertreter der tschechischen Sozialdemokraten im Exil von der Parteitagstribüne verlesen - und fand großen Beifall und allgemeine Beachtung.

Den anwesenden Vertretern der CSSR-Botschaft in Wien mag das mißfallen haben, insbesondere angesichts der Tatsache, daß es ihnen so kurz vor dem Besuch einer hochrangigen CSSR-Delegation mit Ministerpräsident Ladislav Ada-mec an der Spitze in Wien (FURCHE 43/1989, Seite 4) sehr an gutem Wetter gelegen war. Die Drähte zwischen Graz, Wien und Prag kamen an diesem Donnerstag, 19. Oktober, zum Glühen.

Wer jedoch glaubte, man würde nun Battek doch noch nach Graz fahren lassen, der wurde schnell eines Besseren belehrt: Noch vor Abbruch der Nachmittagssitzungen konnte SPÖ-Klubobmann und -Vize Heinz Fischer eine „freudige Mitteilung aus Prag“ verkünden t zwar nicht Battek, aber immerhin Jifi Häjek wurde soeben die Ausreisebewilligung erteilt. Große Freude im Saal ob dieser noblen Geste der Genossen Jakes“, Husäk und Adamec!

Nur wenige Insider erkannten, daß Prag ein hinterlistiger Schachzug gelungen war. Denn für den aufrechten demokratischen Sozialisten Battek ist Jiri Häjek mitnichten ein Ersatz, sondern eher ein extremes Kontrastprogramm.

So war der Jubel, der am 21. Oktober in Graz dem Bürgerrechtler Hä j ek entgegenschlug, ein Jubel aus Unkenntnis, ja Naivität, Denn wer von den gutgläubigen Delegierten in der Grazer Messehalle wußte schon darüber Bescheid, welches Kuckucksei ihnen die gewieften Prager Taktiker ins Nest gelegt hatten?

., Nur wenige Eingeweihte wußten, wofür der Name Jifi Häjek in der tschechischen Nachkriegsgeschichte steht. Vergessen, zumindest jedoch verdrängt ist, daß er der Einpeitscher des Terrorgesetzes 231/48 Sb. war, des „Gesetzes zum Schutz der Republik“, das an die 180 Todesstrafen sowie Zehntausende von langjährigen Kerker-

strafen zur Folge hatte. Häjek, überführter KP-Agent E-21 innerhalb der Tschechoslowakischen Sozialdemokratie und nach dem Staatsstreich von 1948 KP-Funktionär und rasanter Aufsteiger bis zum Außenministerrang, war auch nach Stalins Tode noch der Chefideologe des „Kampfes gegen den Sozialdemokratismus“ in der Tschechoslowakei - unter anderem als Verfasser des Buches „Die verderbliche Rolle der Rechtssozialisten in der CSR“, einer niederträchtigen Denunziation seiner einstigen Genossen.

Ein Saulus, der zum Paulus geworden ist? Kaum. Auch heute noch vertritt Häjek die Auffassung, die Zwangsauflösung der Sozialdemokratie in Mittel- und Osteuropa sei rechtens gewesen und ihr heutiges Wiederaufleben „nur eine Sache der Nostalgie“. Ein Ausdruck des Bedauerns ob seiner einstigen Schreib-tischtaten, das leise Wörtchen „Pardon“ seinen sozialdemokratischen Opfern gegenüber, ist nie über seine Lippen gekommen.

•pol-

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