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Ein Kulturland ohne Wohlstand

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Regionale Probleme (FURCHE 22/1982) werden in den nächsten Jahren noch an Brisanz gewinnen. Der Erfolg der bisherigen Politik ist zweifelhaft: etwa im Waldviertel.

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Regionale Probleme (FURCHE 22/1982) werden in den nächsten Jahren noch an Brisanz gewinnen. Der Erfolg der bisherigen Politik ist zweifelhaft: etwa im Waldviertel.

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1980 lag das landwirtschaftliche Einkommen je Familienarbeitskraft im Wald- und Mühlviertel real bei 33.729 Schilling im Jahr. Das sind 2.811 Schilling monatlich; bei 14 Monatsbezügen, wie sie für unselbständig Erwerbstätige selbstverständlich sind: karge 2.400 Schilling.

Natürlich gibt es auch öffentliche Zuschüsse. Rechnet man sie ein, erhöht sich im Vergleichsjahr das reale Einkommen in dieser Region auf 39.635 Schilling jährlich, also 3.303 Schilling pro Monat. Sogar im Hochalpengebiet sind es um 100 Schilling monatlich mehr.

Ob man damit leben kann?

Franz Schartmüller, 34jähriger Landwirt in Unter Rabenthan nahe Zwettl kämpft mit seiner 23-jährigen Frau Maria ums Uberleben.

Vor sechs Jahren hat er zuversichtlich von seinen Eltern den Betrieb übernommen. Er mußte modernisieren und investieren.

Jetzt hat der Waldviertler Bauer einen neuen Rinder stall, in dem neben zehn Milchkühen sieben Mast- und 20 Jungrinder stehen, einen neuen Schweinestall mit drei Zuchten und zehn Mastschweinen, eine neue Scheune — und, obwohl das gesamte Heiratsgut hineingesteckt wurde, 140.000 Schilling Schulden.

Der 26 Hektar große Betrieb, zu dem weitere elf Hektar dazuge-pachtet sind, kann nur mit Müh* und Not die Familie Schartmüller ernähren.

Das alte, desolate Wohnhaus müßte dringend saniert werden. Doch dafür fehlt das Geld.

„Wenn's net besser wird, dann muaß i in Nebenerwerb”, sieht Franz Schartmüller seine selbständige Existenz gefährdet. Er teilt damit das Schicksal von rund 40.000 österreichischen Bauern, die allein mit der Landwirtschaft fast nicht mehr ihr Auslangen finden können.

Nur für 9.396 Liter Milch jährlich erhält er den vollen Preis, das ist das Kontingent, das man ihm zubilligt. Doch um wirtschaftlich überleben zu können, liefert er rund die dreifache Menge. Zur „Strafe” dafür muß er einen zusätzlichen Absatzförderungsbeitrag zahlen: allein 30.000 Schilling im letzten Wirtschaftsjahr.

Dabei brauchte er, auf die Milchlieferung angewiesen, ein Kontingent von 25.000 bis 30.000 Liter jährlich. Dann wäre seine Existenz gesichert: sein Arbeitsplatz.

Bauernbunddirektor Josef Riegler, der kürzlich gemeinsam mit OVP-Wirtschaftsbundgeneralsekretär Wolfgang Schüssel, ÖAAB-Generalsekretär Walter Heinzinger und Journalisten einen Lokalaugenschein im Waldviertel machte, unterstreicht daher die Bedeutung der Landwirtschaft als direkter Arbeitsplatzsicherer. Es geht um zwei Arbeitsplätze: einer, der am Hof verlorengeht, einer, der im Nebenerwerb gesucht wird. Dabei fehlen Arbeitsplätze auch schon so.

Dazu kommt noch die Rolle der Landwirtschaft als Auftraggeber für Gewerbe, Handel und Industrie. Kein Wunder, daher, daß die unterdurchschnittliche Einkommenssituation bei den Waldviertler Bauern gesamtwirtschaftlich negative Folgen hat.

Denn daß sich Franz Lugauer bei Oberhof in Zwettl vor drei Jahren ein neues Wohnhaus bauen und einrichten konnte, ist nicht nur darauf zurückzuführen, daß er selbst und seine Familie kräftig Hand angelegt haben: vielmehr arbeitet der heute 45jährige Lugauer seit elf Jahren als Verkaufsfahrer in der Molkerei Zwettl, wo er sich auch als Betriebsrat engagiert.

Mit den 8.000 Schilling, die der Nebenerwerbslandwirt dort mit Uberstunden netto im Monat verdient, kann” er auch seinen landwirtschaftlichen Betrieb weiterführen. Dafür opfert er jede freie Minute, trotzdem trägt die Hauptlast der Arbeit seine Frau Leopoldine.

Wäre ein Tischlereibetrieb in dieser Gegend darauf angewiesen, daß die Bauern im Umland so wie früher für Haus und Stube Anschaffungen machen, müßte er zusperren: denn da rangiert die notwendige Unkrautfeldspritze vor der neuen Kücheneinrichtung, die überdies noch von Möbelhäusern angeboten wird.

Daher hat sich Margarethe Zwettler, Tischlermeisterin am Zwettler Hauptplatz, auf die Erzeugung und Restaurierung von Stilmöbeln spezialisiert. Fünf Gesellen und drei Lehrlinge finden hier Arbeit.

Geschäftsfrau Zwettler ist ebenso wie der Friedersbacher

Gastwirt Karl Schweighofer der beste Beweis, daß die Waldviertler nicht resignieren, sondern ohnehin jede sich bietende Chance für die Region nützen.

Den Impuls für den Fremdenverkehr, den 1981 die niederösterreichische Landesausstellung „Die Kuenringer” Zwettl und dem Umland gebracht hat, nützte der Wirt, um Gäste auch künftig ins Waldviertel zu bringen.

Nicht ohne Risiko: zehn Millionen Schilling investierte er jetzt in seinen Betrieb.

Aber Schweighofer mußte das Risiko eingehen: denn mit komfortlosen Unterkünften kann man im Fremdenverkehr auch inner-österreichisch nicht bestehen.

Dieses Beispiel zeigt ebenso wie der Holzbetrieb Wenzl Hartl in Echsenbach (nahe dem Truppenübungsplatz Allentsteig), der sich auf den Bau von Holzfertighäusern spezialisiert hat, daß eingesessene Betriebe besser als so manche Zweigniederlassung eines rasch angesiedelten Großbetriebes, die schon nach kurzer Zeit aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen wieder schließt, Arbeitsplätze sichern und schaffen.

Aber noch immer ist es ein Abwehrkampf gegen Armut; und Abwanderung mit dem Rücken an der Wand des Eisernen Vorhanges im Norden (FURCHE 22/1982), ein Abwehrkampf, in dem sich die Waldviertler von der großen Politik im Stich gelassen fühlen.

Darf dieses alte Kulturland an der Grenze ein Niemandsland werden? Das würde der Sicherheit Österreichs weit mehr schaden, als ihr je ein Konferenzzentrum für Ärztekongresse in der Bundeshauptstadt nützen könnte.

Aber es geht um mehr als um Sicherheit: Es geht schlicht um soziale Gerechtigkeit.

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