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Ein Land auf der Suche nach Hoffnung

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Als das „erste atheistische Land der Welt" sich vor fast zwei Jahren öffnete, konnte jedermann den „Segen" eines kommunistisch regierten Landes sehen: Verwüstung und Zerstörung, Ruin und Untergang, Leid und Tod. Was ist bis heute in Albanien geschehen?

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Als das „erste atheistische Land der Welt" sich vor fast zwei Jahren öffnete, konnte jedermann den „Segen" eines kommunistisch regierten Landes sehen: Verwüstung und Zerstörung, Ruin und Untergang, Leid und Tod. Was ist bis heute in Albanien geschehen?

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Als wir jetzt, nach einem Jahr, wieder nach Albanien fuhren, hatte sich dort kaum etwas verändert. Die Leute sind genauso arm, wie sie waren. Aus ihren Blicken strahlt noch immer keine Hoffnung. Unser Fahrer, ein ehemaliger Universitätsprofessor, sah unser Entsetzen über die allgegenwärtige Armut und sagte: „Die Wirtschaft haben wir vielleicht in zehn Jahren im Griff. Aber um neue Menschen für Albanien zu formen, brauchen wir mindestens zwei Generationen."

Albanien ist ökonomisch, politisch und sozial auf das Niveau eines Dritte- oder Vierte-Welt-Landes gesunken. Die meisten Fabriken sind stillgelegt, die politische Ordnung ist zusammengebrochen - die Armut ist für ein europäisches, fruchtbares Land unbeschreiblich. Man sieht kaum noch Bäume im Land, denn im vergangenen Winter wurde alles abgeholzt, was man abholzen konnte, um zu heizen. Im Winter, der jetzt anbricht, gibt es nichts mehr zu heizen, und das bei äußerst primitiven Wohnungen, ■ in denen der weitaus größte Teil der Bevölkerung wohnt, zum Teil fensterlose Hütten mit Lehmboden. Im Gebirge sinkt die Temperatur bis auf minus 20 Grad. An Kleidung besitzen die Menschen das, was sie tragen.

Bauarbeiter ernähren sich in der Mittagspause von trockenem Brot und

Wassermelonen. Fleisch kennt kaum jemand in der Bevölkerung, und Fisch wird an italienische Händler illegal verkauft. Der landwirtschaftliche Boden ist zwar schon zu 80 Prozent privatisiert, aber es fehlt völlig an Ackergeräten. Zudem ist Albanien von rund 630.000 kleinen Bunkern übersät, was die Bewirtschaftung der Felder zusätzlich behindert. Man liest in den Gesichtern der Menschen Erschöpfung, Leere und Resignation. Immer wieder erschrickt der auswärtige Beobachter über die rauhe Behandlung von Menschen durch die Ordnungskräfte.

Beim moralischen und sozialen Neuanfang, der hier nötig ist, kommt der Kirche eine besondere Rolle zu. Die Politiker und die Bevölkerung setzen große Erwartungen in sie. Der Nuntius erhielt sogar das Angebot, die staatliche Rundfunkanstalt und eine völlig verfallene Druckerei zu

übernehmen. Die Gefahr besteht, daß der Kirche Aufgaben aufgedrängt werden, die nicht die ihren sind. Noch gefährlicher ist es, wenn Menschen sich nur deshalb taufen lassen, weil die Kirche Lebensmittel, Kleidung und Medikamente verteilt. Glücklicherweise sehen die meisten Priester und Ordensleute diese Gefahren sehr genau. Sie setzen das vielleicht größte Zeichen der Hoffnung in Albanien.

Ähnlich den Abenteurern, die einst in den Wilden Westen zogen, strömen heute Ordensleute nach Albanien, zum Beispiel die Schwestern der Nächstenliebe. Inzwischen haben sie sieben Klösterchen eröffnet, planen schon das achte und erhalten täglich neue Bitten aus Städten und Dörfern. Mit ihren beiden „Eseln", zwei Geländewagen, die ihnen die Wohltäter von Kirche in Not/Ostpriesterhilfe schenkten, erreichen sie selbst die abgelegensten Bergdörfer. Wo immer sie hinkommen, entsteht nach kurzer Zeit eine Kirchengemeinschaft.

Neben ihnen haben 20 weitere Ordensgemeinschaften Missionare geschickt. Zwei Schwestern der Gemeinschaft von Charles de Fou-cauld sind gekommen und gehen in der Ruine einer ehemaligen Leprastation ihrer Berufung nach. Eine Gruppe von drei Jesuiten hat in Shkoder ein Seminar eröffnet. Salesianer-Pa-tres bauen in Tirana eine technische Schule und Salesianerinnen haben sich auf Katechese-Kurse spezialisiert.

Die Franziskaner sind die stärkste Gemeinschaft in Albanien. Die zehn einheimischen Franziskaner werden von zahlreichen Mitbrüdern aus verschiedenen Ländern unterstützt. Zusammen betreuen sie bereits 32 Pfarren. All diese Gemeinschaften, Missionare und vor allem auch die noch am Leben gebliebenen einheimischen Priester unterstützt Kirche in Not, wo es nur geht. Die Hilfe erstreckt sich von Kuraufenthalten für albanische Priester, die oft jahrzehntelang in kommunistischen Gefängnissen festgehalten wurden und jetzt unter schweren gesundheitlichen Schäden zu leiden haben, über Bauhilfen bis zum Druck und Versand von Bibeln und Katechismen, die seit 40 Jahren nun zum ersten Mal in albanischer Sprache aufgelegt und verbreitet werden können.

Die Gruppen und Gemeinschaften, die den Albanern aus dem Ausland zu Hilfe geeilt sind, sind zahlreich und vielfältig. Aber nicht jeder hält den Anforderungen stand, die ein solches Land nach Jahrzehnten marxistischer Unterdrückung stellt. Es besteht weder politisch noch rechtlich Sicherheit, sodaß Verträge und Abmachungen von den einzelnen Personen abhängen, mit denen sie getroffen werden. Mancher Enthusiast hat dabei auch schon Schiffbruch erleiden müssen. Viele merken bei dieser Arbeit auch erst, wie gut es ihnen im wohlhabenden Westen eigentlich gegangen ist. Nicht jeder schafft es, mit den Menschen auf dem gleichen primitiven Niveau zu leben, in Ställen zu übernachten, ohne richtiges Essen auszukommen und alle Sicherheiten hinter sich zu lassen. Für alle ist es ein weites, sozusagen unbeackertes Land, das jedem offensteht, Heiligen und Abenteurern gleichermaßen.

In diesem Land ist alles möglich, auch das Gute. Die Menschen sind enorm lernfähig - das Beste, was man über dieses Land berichten kann! Täglich kann man Wunder erleben. Auch im Fernsehen wird Unmögliches möglich. Jeden Sonntag gibt es jetzt eine Stunde religiöse Programme, jeweils 20 Minuten für jedes der drei Bekenntnisse des Landes. Vielleicht wird Albanien noch einmal als christliches Volk Vorbild für uns alle. Viele Missionare gehen mit dieser Vision in ihrem Herzen an die Arbeit, denn sie wissen, daß Gott dieses kleine Land liebt und seine Menschen nach der langen dunklen Nacht nun endlich segnen möchte.

Der Autor ist Lazarist und Projektkoordinafor bei „Kirche in Not/Ostpriesterhilfe".

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