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Ein Land bunter Geschichte und unsicherer Zukunft

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Extremismus, Nationalismus, Separatismus, Prager Zentrismus, Populismus: Sehr bald nach dem mit „sanfter Revolution" nur ungenau bezeichneten Umsturz in der CSFR 1989 wurden diese Begriffe zu einem dauerhaften Bestandteil des tschecho-slowaki-schen politischen Wörterbuchs. Für Mähren, das Land mit bunter Geschichte und unsicherer Zukunft, gilt das doppelt.

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Extremismus, Nationalismus, Separatismus, Prager Zentrismus, Populismus: Sehr bald nach dem mit „sanfter Revolution" nur ungenau bezeichneten Umsturz in der CSFR 1989 wurden diese Begriffe zu einem dauerhaften Bestandteil des tschecho-slowaki-schen politischen Wörterbuchs. Für Mähren, das Land mit bunter Geschichte und unsicherer Zukunft, gilt das doppelt.

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Im heutigen Europa stellt Mähren eher ein Randproblem dar, was das Interesse der Massenmedien betrifft. Der jugoslawischen Krise und dem Verhältnis von Tschechen und Slowaken wird hingegen größte Aufmerksamkeit gewidmet. Das mährische Problem wird im Westen kaum verstanden.

Eine kurzer historischer Rückblick: Ende des 12. Jahrhunderts entstand auf dem Gebiet der drei mährischen Teilfürstentümer eine staatliche Formation, die Markgrafschaft. Sie wurde später zu einem der Länder der Böhmischen Krone und in der Folge zu einem festen Bestandteil der Habsburgermonarchie. Im Laufe des 19. Jahrhunderts, zur Zeit der nationalen Wiedergeburt, wurden die tschechisch sprechenden Mährer mit der tschechischen Nationalität - ähnlich wie ihre deutschsprechenden Mitbewohner mit der deutschen - identifiziert.

Trotzdem überlebte in Mähren ein stark eingebürgertes Gefühl des Landespatriotismus, das es erlaubte, die Bezeichnung „der Mährer" für beide Nationalitäten anzuwenden.

Eine Wende brachte verständlicherweise die Entstehung der tschechoslowakischen Republik. Im Rahmen ihrer Verfassung entstand das mäh-risch-schlesische Land in seinen historischen Grenzen mit eigener Beamtenregierung -jedoch ohne eigene Parlamentsinstitution. In dieser Zeit wuchsen auch die Gegensätze zwischen dem Deutschtum und dem tschechischen Gepräge. Und diese spitzten sich in der Zwischen- und Nachkriegszeit des 20. Jahrhunderts zu. Nach dem Zweiten Weltkrieg

änderte sich die Struktur der Besiedlung Mährens wesentlich. Die deutsche Bevölkerung, die jahrhundertelang hier Heimatrecht hatte, wurde in ungeeigneter und oft schändlicher Weise aus Mähren ausgesiedelt.

Einen grundlegenden administrativen Eingriff nahm dann im Rahmen seiner zentralistischen Politik das kommunistische Regime vor. Im Jahre 1949 wurde das mährisch-schlesische Land aufgelöst, eine Landesreorganisation mit der Eingliederung mancher

Randgebiete in die böhmischen Bezirke durchgeführt. Während des Prager Frühlings 1968 wurden Bestrebungen lebendig, für Mähren seine ehemalige Stellung wieder zurückzugewinnen. Der Einmarsch der Roten Armee und die folgende „Normalisierung" machten diese Ansätze wieder zunichte.

Nach dem November 1989 erlebten die Mährereine neue Emanzipationsbestrebung. Es entstand neu die Gesellschaft für Mähren und Schlesien mit dem Dozenten Barta an der Spitze. Und es kam zur Bildung der MährischenBürgerbewegungmitdem seinerzeitigen Untergrundjuristen Miloslav Richter als Integrationsfi-

gur. Diese Bürgerbewegung setzt in verstärktem Maße auf die Tradition des seinerzeitigen Groß-Mährens und baut auf dem Nationalprinzip auf. Es entstanden auch andere Initiativen, allerdings nur mit kurzer Lebensdauer.

Beide genannten mährischen Bewegungen gewannen von Anfang an wenigstens optisch eine starke Unterstützung der mährischen Bevölkerung. Ihre Repräsentanten verhandelten vor den Parlamentswahlen im vergange-

nen Jahr mit der damaligen Führung der tschecho-slowakischen Volkspar-tei zwecks Eingliederung in den Koalitionsblock der Christdemokratischen Union. Die Mährische Bewegung trat dann auch dieser Union bei, die Gesellschaft für Mähren und Schlesien entschied sich damals dafür, eine eigene Kandidatenliste aufzustellen.

Aus den Wahlen ging ja dann bekanntlich die Christdemokratische Union - nach unfairen Angriffen auf den Volksparteivorsitzenden Barton-cik - eher besiegt hervor, während die Gesellschaft für Mähren und Schlesien einen Triumph feiern konnte. Die Bürger Mährens wählten in ihren

Kandidaten nämlich kein ideologisch unterlegenes Programm, sondern die Emanzipation ihres Landes.

Kurz nach den Wahlen zeigten sich schon die Schwächen dieser politischen Kraft: Eine schlechte Organisation, ein Mangel an Fachkräften und auch eine große Infiltration von ehemaligen Kommunisten. Die Mährische Bürgerbewegung zerfällt in der Zwischenzeit immer mehr, ein Teil ihrer Aktivisten gründete die national orientierte Mährische Nationalpartei.

Ein etwas anderes Ergebnis zeitigten die Kommunal wählen vom Herbst 1990. Die Gesellschaft für Mähren und Schlesien gewann noch ziemlich viele Stimmen hinzu, die Beliebtheit des Bürgerforums sank in Mähren noch weiter. Die Volkspartei konnte ebenfalls Erfolge erzielen, weil sie sich in der Frage Mährens mehr zu engagieren beginnt. Anfang 1991 trat die Volkspartei mit einem Programm zur Bundesordnung der Tschechoslowakei auf, die auf dem Gebiets-, nicht auf auf dem Nationalprinzip begründet ist. Das Bürgerforum stellt sich zunehmend gegen mährische Emanzipationstendenzen.

Staatspräsident Vaclav Havel ver-

hält sich in der mährischen Frage eher wachsam, das Bürgerforum hingegen verstärkt den Druck gegen „mährisch ortientierte Kräfte", deren stärkster Repräsentant eben die „Gesellschaft" ist. Ende März wurden zwei leitende Persönlichkeiten dieser Bewegung -die Abgeordneten zum Föderalparlament Barta und Tomis - beschuldigt, mit dem seinerzeitigen Staatssicherheitsdienst STB zusammengearbeitet zu haben.

Mähren am Scheideweg

Das mährische Problem wird langsam, aber sicher zum Problem der tschecho-slowakischen Föderation. Bisher setzte der geschaßte slowakische Premier Vladimir Meciar auf eine aufs Nationalprinzip gebaute Föderation: eine Republik für Tsche chen, eine für die Slowaken. Für Mähren gab es diesbezüglich bis jetzt keine eigene Überlegung. Der neue slowakische Premier - Jan Carnogurs-ky - hat ein gewisses Verständnis für die Emanzipationsbestrebungen Mährens und spricht von der Möglichkeit einer Bundesordnung, aber auf der Grundlage eines sogenannten Staatsvertrages von zwei - im Falle Mährens dann drei - Subjekten. Mähren hat aber keine gesetzgebende Körperschaft, die zu einem entsprechenden Partner des Tschechischen beziehungsweise Slowakischen Nationalrates werden könnte. Im Tschechischen Nationalrat ist die entscheiaen-de Mehrheit der Abgeordneten des Bürgerforums der Idee Mährens dicht zugetan.

Die ganze Angelegenheit ist heute in die Sphäre des politischen Machtkampfes in der Tschecho-Slowakei geraten. Außer um den Kampf zwischen Zentralmacht und Regionalinteressen geht es auch um die Fähigkeit, neue politische und ökonomische Programme zu entwickeln. Mähren steht wirklich an einem Scheideweg seiner Geschichte. Die jahrhundertelang bestehende Ausrichtung auf den Donauraum zeigt die Unhalt-barkeit des jetzigen Zustandes. Ins integrierte Europa sollte Mähren nicht als minderwertiger, sondern als gleichberechtigter Partnereintreten-jedoch im Rahmen des tschecho-slowakischen Staatsverbandes.

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