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EIN LAND FÜR PIONIERE
Die wirtschaftliche Kooperation zwischen österreichischen und ukrainischen Unternehmen ist noch mit deutlichen Unwägbarkeiten und Risken verbunden. Trotzdem wagen sie immer mehr.
Die wirtschaftliche Kooperation zwischen österreichischen und ukrainischen Unternehmen ist noch mit deutlichen Unwägbarkeiten und Risken verbunden. Trotzdem wagen sie immer mehr.
Der Schwarz-Taxler in Kiew deutet aufgeregt auf die rechte Straßenseite: „Maculan, Firma avstriski" weist er den österreichischen Besucher fast stolz auf die ersten Anzeichen westlicher Wirtschaft in der Ukraine hin.
Er meint den großen Gebäudekomplex im Herzen der ukrainischen Hauptstadt, der von einem Bauzaun in blauer Farbe umzingelt ist. Der Firmenschriftzug „Maculan" ist in regelmäßigen Abständen Dutzende Male in arabischen und kyrillischen Buchstaben aufgepinselt und weder von Bewohnern noch von Besuchern zu übersehen.
Die in Österreich börsennotierte Maculan Bauholding AG hat sich in Kiew darangemacht, einen Büro- und Wohnkomplex fertigzustellen. Sieben Jahre haben die staatlichen ukrainischen Baufirmen bereits an dem Bauwerk herumgewerkt, Materialmangel hatte immer wieder eine Fertigstellung verhindert.
Ukrainer werden dort allerdings nicht einziehen. Mehrere Dutzend Botschaften und ihre Angestellten sind seit der Selbständigwerdung der Ukraine mit 1. Jänner 1992 dringend auf der Suche nach Büros und Wohnungen - gegen harte Dollar. Maculan plant bereits eine Reihe weiterer Projekte.
An dem Beispiel werden aber auch die großen Probleme deutlich, die ausländische Firmen bei Investitionen in der Ukraine erwarten. So ist zum Beispiel der Erwerb von Grundstücken oder Gebäuden nicht möglich. In Kiew können sie auf 25, 50 oder 99 Jahre gepachtet werden.
Eine Privatisierung der Staatsunternehmen hat so gut wie nicht stattgefunden. So beklagte der ehemalige ukrainische Wirtschaftsminister Wladimir Lanowoj Ende April in
Wien, daß bisher erst 60 Staatsbetriebe - das ist ein Prozent - in Aktiengesellschaften umgewandelt wurden.
1.500 Betriebe wurden an Arbeiterkollektive verpachtet. Von den rund 100.000 Kleinunternehmen, die neu entstanden, ist nur etwas mehr als die Hälfte wirklich aktiv.
Ministerpräsident Leonid Kutschma versucht zwar, die Wirtschaftsreformen etwas stärker voranzutreiben. Im Kiewer Parlament haben die Reformkommunisten aber immer noch die Mehrheit. Hinter ihnen steht die Lobby der Kolchos- und Industriedirektoren.
Die Wirtschaftsdaten sind auch alles andere als rosig: 1992 schrumpfte die Wirtschaft um 14 Prozent, die Inflationsrate lag irgendwo zwischen unvorstellbaren 3.000 und 5.500 Prozent. Die Devisenkassen sind leer. Die Aussichten für dieses Jahr sind nicht viel besser. Ein „MarshalP'-Plan des Westens ist nicht in Sicht, auch Milliarden-Zusagen wie an Rußland sind es nicht. Österreich hat mit der Ukraine im Juli vergangenen Jahres ein bilaterales Abkommen unterzeichnet. Es räumt der Ukraine die Meistbegünstigung ein.
Dennoch gingen 1992 sowohl die Importe aus der wie die Exporte in die Ukraine zurück. Österreich führte Waren im Wert von rund 700 Millionen Schilling ein, die Ausfuhren lagen etwas niedriger.
Bei den gehandelten Produkten zeichnen sich neue Schwerpunkte ab: Es stieg vor allem die Einfuhr von mineralischen Rohstoffen, Kohle und Strom (die Verbundgesellschaft unterzeichnete ein 15jähriges Stromlieferabkommen, das wegen Tschernobyl umstritten ist).
Die Ukraine ihrerseits ist stark an Technologien für den Bergbau- und Energiesektor, Fahrzeugen, Produk-tionsanlagen für pharmazeutische Produkte sowie Lagerung, Verarbeitung und Verpackung landwirtschaftlicher Produkte interessiert.
Derzeit sind mehr als 50 österreichisch-ukrainische Joint Ventures bekannt. Banken, Personalvermittlungen und Unternehmensberater arbeiten bereits an der Eröffnung von Büros in Kiew oder auch Lemberg.
Die Ukraine ist ein Billigst-Pro-duktionsland: Die Monatslöhne liegen umgerechnet zwischen 200 und 300 Schilling. Die Probleme, die nach den Erfahrungen der österreichischen Firmen mit der Produktion dort verbunden sind, sind allerdings hoch. Fehlende Ersatzteile, desolate Infrastruktur, Rohstoffausfälle und die allgegenwärtige Korruption können zu beträchtlichen Verzögerungen führen.
Bei Exporten ist vor allem das Zahlungsrisiko hoch, besonders für kleinere Unternehmen. Handelsexperten sprechen davon, daß beinahe alle
Abschlüsse durch Gegengeschäfte und Vorauszahlungen besichert werden müssen, da es nur mehr in Einzelfällen Besicherungen der österreichischen Kontrollbank gibt.
Und noch etwas ist in die geschäftliche Kalkulation einzubeziehen: Mafia und Schutzgeldbanden haben in der Regel einen exzellenten Riecher, wo harte Devisen zu holen sind. Ebenso üben Behörden und Politiker wenig Zurückhaltung im Handaufhalten.
Anfang Mai besuchte eine ukrainische Regierungsdelegation Wien. Im Gespräch mit Bundeskanzler, Finanzminister und Verstaatlichtenminister wurde über ein Kreditabkommen, mit Vertretern der Verstaatlichten über Aufträge verhandelt. Auch Niederösterreichs Landeshauptmann-Vize Emst Höger versuchte, Aufträge an Land zu ziehen. Nicht zum ersten Mal kritisierten ÖVP und Opposition, daß die Verstaatlichte mit großzügigen Kreditlinien bedacht wird, nicht aber Privatunternehmen.
Fazit: Die Ukraine ist - wie viele Oststaaten - etwas für findige Optimisten, risikofreudige Pioniere und alle, die das „Abenteuer Wirtschaft" im osten einfach aufregender finden als im Westen.
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