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„Ein Land, zwei Systeme“?

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Das Massaker unter den Studenten am Tiananmen-Platz in Peking hat die Bevölkerung von Hongkong zu Tode erschreckt. Die britische Kronkolonie fällt 1997 bei Auslaufen des britisch-chinesischen Pachtvertrages an Rotchina zurück, Peking hat einen „hohen Grad von Autonomie“, Freiheit und Demokratie zugesichert. Wie kann man aber der Zukunft unter einer Regierung, die ihre eigene Opposition niedermetzelt, vertrauensvoll entgegensehen?

Massendemonstrationen gegen die Niederwerfung demokratischer Regungen in China wurden nur zu bald durch Proteste gegen London abgelöst. Die Verbitterung der Hongkongchinesen ist verständlich: in Englands Kolonialgeschichte ist Hongkong das einzige Land, das einer fremden Macht über die Köpfe der Bewohner hinweg ausgehändigt wird. Obendrein erweist sich der britische Paß in den Händen von Hongkongern als wertloses Papier (FURCHE 21/1989). Britische Bürger zweiter Kategorie, die sie sind, haben kein Heimatrecht in Großbritannien - es sei denn sie wären Ex-Militärs, Beamte, Experten oder einfach Schwerreiche.

In London steht der Horror, eine der letzten Kolonien auf Gedeih und Verderb einem grausamen, unglaubwürdigen Regime zu überantworten, der Furcht vor einer Masseninvasion von 3,3 Millionen asiatischen Untertanen der Krone auf die Insel gegenüber. Das zweite wiegt wohl noch schwerer. Gouverneur David Wilson und populäre Politiker wie Lydia Dunn beziehungsweise Allen Lee holten sich auf ihrer Pilgerfahrt nach London nur fromme Batschläge für eine fortschreitende Demokratisierung vor 1997.

Erfolglos ist auch ihr Appell an Britanniens moralische Verpflichtung, den Hongkongchinesen ein „Sicherheitsnetz“ aufzuspannen, das auch im schlimmsten Fall nur von den wenigsten gebraucht würde.

Kaum verwunderlich, daß der vormalige Außenminister Geoffrey Howe Anfang Juli in Hongkong frostig empfangen wurde. Als Howe die Gastgeber über die Vorzüge des anglo-chinesischen Abkommens belehrte („Was in China geschehen ist, demonstriert klar den Wert des .ein Land, zwei Systeme'-Kon-

zepts ), verließ der Lokalpolitiker Lee Wang-Tat demonstrativ („Dieser Bockmist beleidigt die Intelligenz der Hong-kongchinesen“) die Tafel des Gouverneurs.

Dieser Tage verkauften britische Firmen mit Zustimmung White-halls trotz des Waffenembargos nach dem Tiananmen-Massaker Flugzeugteile an Hongkonger sehen darin nur bestätigt, was sie schon seit langem behaupten: die Briten haben uns früher verschaukelt, sie werden es auch künftig tun.

Howe hat 1984 jenes Abkommen ausgehandelt, das die Briten heute noch als günstig preisen-vorausgesetzt es wird dem Sinne und dem Buchstaben nach erfüllt. Es sollte zu denken geben, daß das Agreement mit demselben Mann geschlossen wurde, der am 4. Juni das Feuer auf Studenten eröffnen und später ihre Anführer hinrichten ließ: Deng Xiaoping.

Ausrufung des Ausnahmezustandes und Einsetzung des Kriegsrechtes sind Themen, die im Vertrag äußerst nebulos aufscheinen. Whi-tehall drängt Peking auf Klärung, fürchtet aber im Ernst kaum, daß Hhma in acht Jahren das „Fenster zum Westen“ schließt, die einträgliche Quelle von Kapital und Valuten abwürgt.

Mit der Hongkong-Formel „Ein Land, zwei Systeme“ umwirbt Peking auch den Erzfeind Taiwan. Doch für die Kuomintanregierung ist auch eine gemilderte Version: „Ein Land, zwei Regierungen“ reine Häresie. Vom Anspruch auf Gesamtchina geht die greise Führung Taipeis nie und nimmer ab. Theoretisch befinden sich beide Länder noch immer im Krieg. Gleichwohl reagierte Taiwan auffällig zurückhaltend auf das Blutbad in Peking. Präsident Lee Teng-Hui verurteilte wohl am 4. Juli die „Wahnsinnsaktion“ als Schande für die Chinesen in aller Welt.

Die Frontstellung der feindlichen Brüder ist schon lange nicht mehr so schroff. Der Handel - wenn auch über drei Ecken - floriert, taiwane-sische Geschäftsleute besitzen Fabriken in der chinesischen Fujijan-Provinz.

Im Mai besuchte die Finanzmini-sterin Shirley Kao Peking wenig später folgten Sportdelegationen -erste Kontakte seit 1949. Die ökonomische Überlegenheit Taiwans, 13.-größte Wirtschaftsnation der Erde, über das „Banditenregime“ ist eklatant: 20 Millionen Taiwane-sen verdienen im Durchschnitt das Zwanzigfache dessen, was 1,1 Milliarden Rotchinesen erarbeiten.

Taiwans Ideologie fußt auf den „Volksprinzipien“: Demokratie, soziales Wohl und Nationalismus. Peking brüstet sich, diese Prinzipien seien in Rotchina bereits verwirklicht. Wie, das hat die Welt am 4. Juni auf dem Tiananmen-Platz gesehen.

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