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Ein Land zwischen Terror und Erdbeben

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Managua, die 1972 von einem schweren Erdbeben heimgesuchte und von weiteren bedrohte Hauptstadt des mittelamerikanischen Staates Nikaragua, war vorige Woche Schauplatz einer der spektakulärsten Geiselnahmen der Zeitgeschichte: Terroristen brachten unter anderem Abgeordnete und Verwandte von Präsident Somoza in ihre Gewalt und erzwangen ein Ausfliegen mit 70 fr eigelassenen politischen Häftlingen.

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Managua, die 1972 von einem schweren Erdbeben heimgesuchte und von weiteren bedrohte Hauptstadt des mittelamerikanischen Staates Nikaragua, war vorige Woche Schauplatz einer der spektakulärsten Geiselnahmen der Zeitgeschichte: Terroristen brachten unter anderem Abgeordnete und Verwandte von Präsident Somoza in ihre Gewalt und erzwangen ein Ausfliegen mit 70 fr eigelassenen politischen Häftlingen.

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Der Anschlag geht auf das Konto der schärfsten Gegner des derzeitigen Regimes, der Guerilla-Bewegung „San- dinista“. Sie zählt etwa 1000 aktive Rebellen, die sich schon bisher durch Überfälle auf Militärlager und Warentransporte, durch Geiselnahmen und Erschießungen hervorgetan haben. Das Regime, dem die „Sandinistas“ einen Vorwand für Kriegsrecht und hartes Durchgreifen bieten, hat wegen der ständigen Menschenrechtsverletzungen bereits zwei wichtige Stützen verloren. Die katholische Kirche steht heute in Opposition, und US-Präsident Carter hat die amerikanische Militär- und Wirtschaftshilfe für Nikaragua eingestellt.

Seit fast fünfzig Jahren lebt Nikaragua mit einem politischen Ärgernis namens Somoza. 1932 war der Polizeichef des Landes, Anastasio Somoza, an die Macht gelangt. In den 24 Jahren seiner Herrschaft wurde er zu einem der schlimmsten Diktatoren Lateinamerikas. Die Machtpositionen besetze er mit Familienangehörigen und Freunden, das Büd seiner Tochter schmückte die Geldscheine.

Bald hieß es, Nikaragua gehöre ihm, er verwalte das Land wie einen Familienbesitz. Ąls er 1956 ermordet wurde, fuhren seine Söhne fort, den Besitz zu vermehren. Den Somozas gehören Gold- und Silberbergwerke, Landgüter und Ladenketten, sie haben Beteiligungen an der nationalen Fluggesellschaft und Versicherungsunternehmen, an Banken und Reedereien. Angeblich ist ein Sechstel des 139.000 Quadratkilometer großen Landes im Besitz des Somoza-Clans.

Der heutige Präsident, Anastasio Somoza junior, seit 1967 an der Macht und vom Volksmund „Tachito“ genannt, pflegt zu betonen, daß er verfassungsmäßig in das Präsidentenamt gewählt wurde. Freilich, seine Wiederwahl 1974 war nur durch eine Verfassungsänderung möglich gewesen; die frühere Verfassung Nikaraguas hatte eine Wiederwahl ausgeschlossen.

Der 53jährige, herzkranke Somoza beharrt darauf, bis 1980 Staatspräsi-

dent zu bleiben. Im „Congreso“, dem Parlament Nikaraguas, ist seine „National-Liberale Partei“ mit 60 und die „Traditionelle Konservative Partei“ mit 40 Sitzen vertreten. Alle anderen politischen Parteien sind verboten. Als entschiedener Antikommunist duldet Somoza keine östlichen Botschaften in Managua. Die Forderungen der Studenten und Arbeiter nach Reformen werden von ihm als „kommunistische Umtriebe“ abgestempelt. Somoza ist Oberbefehlshaber der Nationalgarde und der Militärpolizei.

Wie in vielen anderen Ländern Lateinamerikas wird auch in Nikaragua von Wahlmanipulationen gesprochen. Viele Liberale, heißt es, hätten 1974 mehrfach gewählt; viele Stimmen des Stadt- und Landproletariats seien erkauft worden. Schwere Anschuldigungen kamen von der Gefangenenhilfe-Organisation „Amnesty International“; In Nikaragua seien zahlreiche Personen ohne Gerichtsverfahren inhaftiert oder verschwunden, in mehreren Lagern werde auf abscheulichste Art gefoltert, und viele politische Gefangene seien hingerichtet worden.

Solche Anklagen werden auch gegen die Nachbarländer Honduras, El Salvador und Guatemala erhoben. Im sogenannten „Somozaland“ Nikaragua aber überrascht, daß Presse und Rundfunk über politische Mordfälle und das spurlose Verschwinden von Studenten und Arbeiterführern berichten. Freilich nicht die Somoza-Zeitung „Novedades“ und der Regierungssender, sondern die vielgelesene Zeitung „La Prensa“ und private Rundfunkstationen. In Wort und Bild werden nicht nur brutale Übergriffe der Nationalgarde dargestellt, sondern Nikaraguas Staatspräsident wird als „Lügner, Dieb, Mörder“ bezeichnet.

Aufsehen über die Grenzen Nikaraguas hinaus erregte Anfang 1978 die Ermordung des Besitzers und Chefredakteurs von „La Prensa“, Joaquin Chamarro. Seine Zeitung hatte dem Somoza-Regime unverblümt Menschenrechtsverletzungen vorgehalten und die Praktiken der Selbstbereicherung angeprangert. Chamarro war zu dem die treibende Kraft der Oppositionsbewegung UDEL, der „Demokratischen Union der Befreiung“. UDEL und „La Prensa“ forderten Somoza wiederholt zur Abdankung auf. Am 10. Jänner wurde Chamarro auf offener Straße erschossen. Die Täter, drei junge Männer, wurden verhaftet, doch bisher blieb dieser Mordfall so undurchsichtig wie viele andere Gewalttaten in Nikaragua.

Präsident Somoza beteuert, er habe nichts mit dem Mord zu tun. Er verwahrt sich auch gegen die Bezeichnung „Diktator“. Auf die Anschuldigungen in Presse und Rundfunk entgegnet er, in Nikaragua herrsche Presse- und Meinungsfreiheit. Er erklärte sich unlängst sogar bereit, eine Delegation der UNO-Menschenrechtskom- mission einreisen zu lassen, denn in Nikaragua, so meinte er, gäbe es nichts zu verstecken.

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