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Ein Letztes Aufgebot
Blockierte Züge, von der KP mobilisierte Massen aus den sowjetisch besetzten Betrie- ben, Sturm aufs Bundes- kanzleramt - im Oktober 1950 wurde Österreichs Standfestigkeit getestet.
Blockierte Züge, von der KP mobilisierte Massen aus den sowjetisch besetzten Betrie- ben, Sturm aufs Bundes- kanzleramt - im Oktober 1950 wurde Österreichs Standfestigkeit getestet.
FURCHE: Was war eigentlich dieses Ereignis, von dem man sagen kann, daß es vor 40 Jahren Öster- reich erschüttert hat?
FRANZ OLAH: Sie wissen, darü- ber gibt es den ewigen Streit. Lohn- streik war es keiner, denn im Lohn- streik stellt man branchen- oder betriebsmäßig Lohnforderungen. Es war ein Versuch, das allgemeine Lohn- und Preisabkommen, das vierte, zu verhindern.
FURCHE: Also eine sprunghafte Erhöhung der Löhne und Preise?
OLAH: Wir mußten in jährlichen Etappen die österreichische Wirt- schaft, die Preise, Abgaben und vor allem die landwirtschaftlichen Preise ein bißchen an den Welt- markt heranführen, um die Defizi- te und Subventionen abbauen und das Budget halbwegs in Ordnung bringen zu können und unsere Wirtschaft ein bißchen wettbe- werbsfähig zu machen. Das war
War es ein Putschversuch? Der Versuch, auf einer Welle von Em- pörung zu reiten und etwas von dem Einfluß zu gewinnen, den die Wähler der KPÖ 1945 und 1949 versagt hatten? Oder ein Test der Standfestigkeit dieses Staates?
Darüber, was sich Ende Septem- ber und Anfang Oktober 1950 ab- spielte, sind die Zeitgeschichtler
nicht einig. Doch klar scheint, daß eine entscheidende Machtprobe angesagt war und für die KPÖ danach die Weiche aufs Abstell- gleis der Weltgeschichte unwider- ruflich gestellt war. Der Vorsitzen- de der Bau- und Holzarbeiterge- werkschaft, spätere SPÖ-Innenmi- nister und zuletzt ihr Buhmann, Franz Olah, stellte der Gewalt der kommunistisch geführten Arbeiter die Gegengewalt der sozialistischen Arbeiter entgegen und wurde zur Schlüsselfigur der Niederschlagung des Generalstreiks.
Am 25. Juni hatten nordkoreani- sche Truppen den 38. Breitengrad überschritten und 16 Stunden spä- ter Südkoreas Hauptstadt Seoul erreicht. Eine Million Tote sollte der Koreakrieg kosten. Er war nach dem Ende der Berlinblockade und des Bürgerkrieges in Griechenland eine noch gefährlichere Krise und hatte ein sofortiges Steigen der Weltmarktpreise zur Folge, vor allem für kriegswichtige Rohstoffe - zugleich die Rohstoffe der sich langsam erholenden Friedenswirt- schaft.
Österreich lebte unter vierfa- cher Besetzung und trug deren Ko- sten (die USA hatten verzichtet). Korea wurde sofort spürbar. Im sowjetisch besetzten Gisten arbei- tete ein Großteil der Industrie als „Deutsches Eigentum" unter so- wjetischer Leitung auf sowjetische Rechnung. Die Inflationsrate der Nachkriegsjahre betrug 30 bis 50 Prozent. Man bekam sie durch mehrmalige plötzliche Anhebung aller Löhne und Preise mehr schlecht als recht in den Griff.
Das Vierte Lohn- und Preisab- kommen wurde, wie alle anderen, knapp vor Inkrafttreten ohne Dis- kussion, ohne Vorwarnung, am 26. September 1950 beschlossen: Ab 1. Oktober Erhöhung der Löhne und Gehälter unter 1.000 Schilling monatlich (viele lagen darunter) um einen Fixbetrag von 100 Schilling, darüber um zehn Prozent. Rentner und Pensionisten bekamen viel weniger. Mindestens 20 bis 30 Pro- zent der Mehrbezüge fielen der Steuerprogression zum Opfer.
Nun kostete das Kilo Brot 2,40 statt 1,90, die Semmel 0,27 statt 0,17, Mehl 2,98 statt 1,82, Zucker 5,50 statt 4,10, der Vorverkaufs- fahrschein 0,95 statt 0,77 Schilling.
Die „Arbeiter-Zeitung" rechnete ihren Lesern zwar vor, daß der
Aufwand für die Grundbedürfnis- se abgegolten wurde, aber den Rückgang des ohnehin niedrigen Lebensstandards verursachten die Steigerungen der amtlich nicht geregelten Preise. Für eine Bevöl- kerung, die seit dem Krieg „neben den Schuhen ging", wurden im fünften Friedensjahr Schuhe uner- schwinglich. Das Paar kostete nun ein halbes Monatseinkommen.
Dafür wurde die Landwirtschaft durch höhere Abnahmepreise mo- tiviert, nicht nur für den Schwarz- markt zu produzieren, und der Handel, die Waren nicht unterm, sondern über den Ladentisch zu verkaufen. Damit war die Rück- kehr zur Marktwirtschaft program- miert. Wie heute in der DDR und anderen Oststaaten zahlten die Schwachen den höheren Preis.
Die KPÖ organisierte Massen- kundgebungen, die eine erkleckli- che „unorganisierte Verstärkung" erhielten und rief zum General- streik. Getragen wurde er von den Arbeitern der unter sowjetischer Verwaltung stehenden „USIA"- Betriebe, die mit Gewalt gegen Nicht-Streikende in anderen Be- trieben vorgingen. Die Sowjetkom- mandantur verbot der österreichi- schen Exekutive jedes Einschrei- ten. Polizisten standen hilflos ne- ben KP-Trupps, die in den sowje- tisch besetzten Bezirken Straßen- sperren errichteten und stellenwei-
se Schienen mit Beton ausgössen.
Die KP-Minimalforderung klang verführerisch: Rücknahme der Preiserhöhungen oder steuerfreie Verdoppelung des Lohnausgleiches - keine Preiserhöhungen, gesetzli- cher Preisstopp - keine weitere Schillingabwertung. Daß so Schwarzer und Grauer Markt und Mangel Wirtschaft prolongiert wor- den wären, beweisen spätestens die heutigen osteuropäischen Wirt- schaftsprobleme. Doch die Versu- che, dies den Menschen zu erklä- ren, blieben mehr als dürftig.
Mitverantwortlich dafür, daß mit den Zielen des Generalstreiks nicht nur Kommunisten sympathisierten, war wohl auch der Regierungsstil der Großen Koalition der Nach- kriegszeit, der weit über das durch Besatzung und Not Gebotene hin- aus kameralistisch und autoritär war, Information und Diskussion scheute und das Volk als unmün- dig behandelte.
Doch eine Forderung, die von der KPÖ kam, war dank der antikom- munistischen Grundstimmung der
Nachkriegsjahre automatisch dis- qualifiziert. Die Vorgangsweise der sowjetischen Besatzungsmacht in ganz Osteuropa, die Systematische Vernichtung der Mehrparteiensy- steme, die Einkerkerung und Hin- richtung echter und potentieller Gegner, die neue „Sippenhaft", die Weiterverwendung der Konzentra- tionslager in Ostdeutschland und vieles andere machen sie nur zu begreiflich.
Olahs Bau- und Holzarbeiter wußten sich daher trotz aller Kritik am Lohn-Preis-Abkommen breite- ster Zustimmung sicher. Sie räum- ten die Barrikaden weg, stürmten ihrerseits die von KP-Arbeitern gestürmten Betriebe und setzten die Straßenbahnen in Gang. Der Gene- ralstreik wurde abgeblasen, vorbei wie ein Spuk, die Verteuerung der Lebenshaltung ging im Jubel über die Rettung der Freiheit unter und der langsame Aufstieg des Landes setzte sich fort.
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