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Ein Mann mit Augenmaß

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Marschall Tito, der charismatische Führer des Vielvölkerstaates Jugoslawien, hat erst nach langem Kampf vor seinem letzten, unbesiegbaren Gegner, dem Tod, die Waffen gestreckt.

„Ich habe mich von allen Anfang an als unabhängigen Führer betrachtet", sagte Josip Broz Tito rückblik-kend zu dem von ihm entfachten Aufstand gegen die Achsenmächte 1941 in der Bergwelt Jugoslawiens. Mit den Schüssen auf die deutsche Ortskommandantur im Provinznest Uzice schlug Tito die proletarische Brücke zum Sturm der Bolschewiki auf das zaristische Winterpalais in Petersburg.

Von Anfang an prägte seine Persönlichkeit die Revolution in Jugoslawien, die Tito mit einer Revolte gegen den allmächtigen Stalin 1948 vor aller Welt endgültig zu seiner Revolution machte. Ein beispielloser Weg führte Tito in die Weltpolitik. Mut zur Entscheidung, Selbstbewußtsein und das notwendige Glück haben Josip Broz Tito zu einer der großen Figuren unserer Zeitgeschichte werden lassen.

Dem 7. Kind der Bauersleute Broz prophezeite niemand, daß sein weißgetünchtes Elternhaus im kroatischen Dörfchen Kumrovec dereinst zum Wallfahrtsort des kommunistischen Jugoslawiens würde. Dem in Bronze gegossenen Tito in versonnener Feldherrnpose ist der Bauernbursche Josip Broz kaum anzusehen, der von hier, knapp 16jährig, in die Nachbardörfer der Lika zog, um das Schmiede- und Schlosserhandwerk zu lernen.

Während seiner Wanderjahre durch die Industriezentren der Doppelmonarchie und des deutschen Kaiserreiches durchlebte Josip Broz die Probleme der sozial benachteiligten Arbeiter.' Lebhaft nahm er an ihrem gesellschaftlichen und politischen Leben Anteil. Die Berührung mit dem panslawistisch orientierten Turnverein „Sokol" in seiner Heimat zeigt erstmals seine nationale Orientierung, die er als Politiker in den Zusammenhalt der Südslawen umsetzte.

Der junge Josip Broz hatte einen starken Hang zur Bildung, besuchte Theater, las alles, dessen er habhaft werden konnte - auch in deutscher Sprache, die er von Kind an gelernt hatte. Das harte Deutsch des Slawen verbesserte er in Wiener Neustadt, wo ihn sein Bruder Martin bei den Austro-Daimler-Werken unterbrachte. Der anpassungsfähige Josip Broz wurde schnell zum Werksfahrer. Diese Zeit und das lebhafte Treiben in der Kaiserstadt Wien bezeichnete Staatschef Tito fünf Jahrzehnte später während des offiziellen Besuches 1964 als seine unbeschwerteste.

Sichtlich genoß Tito in Marschalluniform mit dem rot-weiß-roten Ordensband die Ehrungen der roten Gemeinde Wien im Schönbrunner Schloß unter dem Bild Maria Theresias. Die Vergangenheit holte ihn in

Wien mit der nachträglichen Uber-reichung der Sübernen Tapferkeitsmedaille ein, die den Zugführer Josip Broz aus dem 25. Honved-Regiment für die Überwältigung russischer Soldaten an der galizischen Front nicht mehr erreichte, da er verwundet bereits 1915 in Gefangenschaft geraten war.

Seine Jahre als Kriegsgefangener im zaristischen Rußland, das Erlebnis der sowjetischen Oktoberrevolution und sein Beitritt zu den revolutionären Arbeitergarden in Omsk haben den Lebensweg Josip Broz Titos entschieden. In Omsk heiratete er seine erste Frau, eine Russin. Die geknüpften Bande zu den Bolschewiken pflegte Broz während seiner Tätigkeit in Gewerkschaften und der illegalen KP im Königreich Jugoslawien weiter.

1927 übernimmt er die Leitung der kommunistischen Organisation in Zagreb, dem industriellen Schwerpunkt Jugoslawiens. Hier war er 1910 bereits der sozialdemokratischen Partei beigetreten. Wegen staatsfeindlicher Tätigkeit angeklagt, hielt er seinen Richtern entgegen: „Ich fühle mich nur meiner Partei verantwortlich". Ein Ausspruch, den Parteichef Broz Tito auf dem Höhepunkt seiner beispiellosen Karriere auch den Machtansprüchen des roten Kreml entgegenhielt.

Vorerst verbüßte er fünf Jahre im Zuchthaus, in seiner „Parteihochschule", wie er in einem der 22 Bände umfassenden Memoiren feststellt, um unter dem Kampfnamen Tito sofort in der politischen Untergrund zurückzukehren. Unter gut einem Dutzend Tarnnamen verbarg er sich vor der königlichen Geheimpolizei und leitete die KP aus dem Ausland. Zuerst von Wien, dann Paris und Moskau, wo er im Balkanbüro der Komintern unter Dimitroff arbeitete.

Den Zustrom Freiwilliger zur internationalen Brigade in Spanien organisierte er unter dem Decknamen Walter. Tito überstand während seiner Moskauer Zeit alle stalinistischen Säuberungen und übernahm 1937 die Leitung der kommunistischen Partei Jugoslawiens, die er ein Leben lang behalten sollte. Im Alter von 49 Jahren, mit den Schüssen von Uzice und dem Kampf gegen die Achsenmächte, trat Tito in die Geschichte ein.

Von den 1,5 Millionen Kriegsopfern in Jugoslawien gehen über eine Million auf das Konto des gnadenlosen Bruderkampfes zwischen Serben, Kroaten, Slowenen, Muselmanen und Mazedoniern. Für Titos Parole von „Brüderlichkeit und Einheit" entrichteten die Völker Jugoslawiens einen hohen Blutzoll. Unter dieser Parole gingen der Aufbau und die sozialistische Umgestaltung des geschundenen Landes unter der Führung des Marschalls und Ministerpräsidenten Tito zügig voran.

Von seinem berühmten blauen Zug aus, von Schlössern, Gütern, von seiner Insel Brioni regierte der unruhige Tito den Vielvölkerstaat wie ein mittelalterlicher Kaiser. Ein historisches Foto zeigt Tito in Uniform hinter einem von Ochsen gezogenen Pflug schreitend, da er die Feldraine ackert und die totale Kollektivierung einleitet. Das war 1948 nach seinem Bruch mit Stalin und seiner Auflehnung gegen Beschlüsse'der Kominform, die Tito an die internationalistische Leine Moskaus legen sollte.

Der stolze Tito pochte auf seine Unabhängigkeit, seine Treue zum Marxismus-Leninismus demonstrierte er durch Radikalismus. Er war aber flexibel genug, sofort eine Reprivatisierung einzuleiten, um die Popularität seines Regimes zu heben. Daß der siegreiche Partisanenmarschall Tito durch seinen Bruch mit Stalin auch zum siegreichen Ketzer in der kommunistischen Weltbewegung werden sollte, bestätigte sich erst später.

Tito war zeitlebens ein Mann mit Augenmaß, der sich selbstbewußt neben Marx, Engels und Lenin stellte. Unter den großen kommunistischen Aposteln bewahrte sich Tito die menschlichen Züge, obwohl er zur Sicherung seiner Macht und seines persönlichen Ansehens rücksichtslos durchzugreifen verstand. Tito verstieß seine dritte, sehr geliebte Frau Jovanka, die sich in eine Generals-Fronde verwickeln ließ. Erst als vom Tode Gezeichneter ließ er sie an sein Krankenbett holen.

Auch seinem Sohn Zarko, Held der Sowjetunion, verzieh er die Eskapaden erst in hohem Alter. Sein ungewöhnliches Reaktionsvermögen stellte der 87jährige Tito noch einmal während der Konferenz der Staatschefs der Blockfreien im September 1979 in Havanna unter Beweis. Tito parierte die perfekte Regie des moskauhörigen Hausherrn Castro und erläuterte noch einmal die Idee der Politik der Blockfreiheit, die er 20 Jahre vorher in Belgrad mit Nehru und Nasser begründet hatte.

Für Tito stellte die Blockfreiheit die außenpolitische Komponente seines Selbstverwaltungssozialismus dar, der seinen nationalen Standpunkt zwischen den Ideologien des Westens und des Ostens behaupten konnte. Die Blockfreienkohferenz von Havanna wird als Titos letzte Schlacht bezeichnet.

Seinen letzten Triumph stellte der Abstimmungssieg der Blockfreien bei den Vereinten Nationen dar, als die Intervention der Sowjetunion in Afghanistan verurteilt wurde: Zwar nur ein moralischer Erfolg im Kampf gegen die Großmachtpolitik, aber politische Moral setzte Tito als stärkste Waffe der Blockfreien erfolgreich ein.

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