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Ein Mittelstand a la Schweden?

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Die Enttäuschten der „kleinen Steuerreform“ 1971 dürfen weiter hoffen: auf die „große Steuerreform“. Sie werden sich freilich gedulden müssen, denn diese soll erst nach Einführung der Mehrwertsteuer in Angriff genommen werden; bei der Mehrwertsteuer steht aber noch lange nicht fest, ob die Regierung die selbstgesetzten Fristen auch tatsächlich einhalten kann.

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Die Enttäuschten der „kleinen Steuerreform“ 1971 dürfen weiter hoffen: auf die „große Steuerreform“. Sie werden sich freilich gedulden müssen, denn diese soll erst nach Einführung der Mehrwertsteuer in Angriff genommen werden; bei der Mehrwertsteuer steht aber noch lange nicht fest, ob die Regierung die selbstgesetzten Fristen auch tatsächlich einhalten kann.

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Auch kann von der Hoffnung auf Verringerung der Gesamtsteuerlast nur dringend abgeraten werden. Nicht daran will die Größe der Reform gemessen sein, sondern an der Umverteilung der Last bei möglichst gleichbleibendem Gesamtaufkommen.

Gewiß ist nicht ausgeschlossen, daß der besseren Optik willen der Tarif für die unteren Einkommen nach dem Vorbild der kleinen Steuerreform geringfügig gesenkt wird. Die Mittel hiefür könnte die Mehrwertsteuer liefern, deren Höhe von 16 bis 18 Prozent dem Finanzminister ein in letzter Zeit häufig erwähntes „Körberlgeld“ bringen wird, sofern nicht zu viele Ausnahmebestimmungen daran zehren. Ob freilich die großen Ausgabenpläne auch nur die bescheidenste Einnahmenminderung zulassen werden, ist fraglich; auf jeden Fall wird die Tarifsenkung wieder nur in homöopath-’ hen Dosen verabreicht werden.

Der Grund dafür ist sehr einfach: auch die geringste Steuersenkung für die untersten, also die Masseneinkommen, kommt dem Staat teuer zu stehen; die kleine Steuerreform, die sogar die am stärksten begünstigten Kleinverdiener kaum bemerkten (sofern dem einzelnen nicht ein Progressionssprung in der Steuertabelle zugute kam), wird allein 1971 die Einnahmen um rund 1,2 Milliarden Schilling mindern. Hätte die Regierung Kreisky das Versprechen der Regierung Klaus gehalten und 1971 die Sondersteuem abgeschafft, statt ihre „Minireform“ durchzuführen, würde der Einnahmenentgang sogar das Doppelte betragen haben.

Was die große Steuerreform bringen soll, ist bisher erst ln groben Umrissen erkennbar; Schwerpunkte

Ex-Finanzminister Schmitz: Mehrbelastung für den Kinderlosen

Photo: Votava werden voraussichtlich die Sonderausgaben, die Investitionsbegünstigung und die Haushaltbesteuerung sein. Sinngemäß dazu gehört auch die möglicherweise getrennt reformierte Familienförderung.

Verletzter Gleichheitsgrundsatz?

Die größte Breitenwirkung wird wohl die Neuregelung der Sonderausgaben (Freibeträge für Kranken- und Lebensversicherung, Bausparkassen ,usw.) und der Familienförderung haben. In beiden Fällen geht es um das gleiche: Beseitigung der Steuerfreibeträge, Einführung beziehungsweise Erhöhung von Zuschüssen und Beihilfen.

Die Steuerfreibeträge verletzten nach Ansicht der Sozialisten den Gleichheitsgrundsatz: obwohl der jeweilige Fredbetrag für alle gleich groß ist, ersparen die Großverdiener infolge der Progression mehr als die Kleinverdiener, und zwar dadurch, daß jene einen größeren Prozentsatz ihres Einkommens dem Staate ab- führen müssen als diese; zahlt zum Beispiel jemand an Steuer 10 Prozent seines Einkommens und darf er einen Freibetrag von 6000 Schilling absetzen, so erspart er sich 600 Schilling; bei einem Steuersatz von 50 Prozent dagegen bedeutet der gleiche Freibetrag eine Ersparnis um 3000 Schüling.

Künftig, so will es der Finanzminister, soll der Reiche nicht mehr Steuer sparen können als der Arme; nicht nur das: er soll überhaupt nichts mehr sparen können. Die Freibeträge sollen ersatzlos gestrichen werden. Statt dessen sollen für Sonderausgaben Zuschüsse und für Kinder höhere Beihilfen als bisher gewährt werden, aber das alles nur bis zu einer gewissen Einkommensgrenze; wer mehr verdient, soll (im Gegensatz zur bisherigen Regelung etwa bei der Kinderbeihilfe) auch bei diesen leer ausgehen.

Gegen eine solche Reform wird eingewandt, daß wer A sagt auch B sagen müsse, und wer die Progression bejahe, es auch in Kauf nehmen müsse, daß jener, der einen größeren Teil seines Einkommens dem Staat gibt, aus Freibeträgen größeren Nutzen ziehe; wenn der Gleichheitsgrundsatz nicht durch die Progression beim Steuerzahlen verletzt werde, so auch nicht durch eine progressive Steuererspamis bei Freibeträgen.

Das ist ;ii auch die Ansicht der deutschen Steuerreformkommdssion zu ähnlichen Plänen der Bonner Regierung; in ihrem kürzlich veröffentlichten Gutachten heißt es: „Nach ihrer (der Kommission) Meinung ist der Abzug von der Bemessungsgrundlage eine Konsequenz aus der Progression des Steuertarifes, die wiederum auf dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit beruht.“

Abgesehen von der Frage der Steuergerechtigkeit bedeutet die von der Regierung Kredsky beabsichtigte Änderung eine völlige Abkehr von der bisherigen Steuer-„Philosophie“: Die derzeitige Regelung etwa bei der Familienförderung zielt, einem Wort des ehemaligen Finanzministers Dr. Schmitz zufolge, auf den Ausgleich der schichtenspezifischen Belastungsunterschiede hin; dem Kindererhalter soll die Mehrbelastung gegenüber dem Kinderlosen gleichen Einkommens vergütet werden. Der sozialistische Plan fragt hingegen nicht nach der vergleichsweisen Einkommensminderung, sondern nach der absoluten Fähigkeit einer Familie, Kinder zu erhalten; der Bedürftige soll instand gesetzt werden, sich unter möglichst gleichen Voraussetzungen Kinder zu „leisten“ wie der mehr oder minder groß gefaßte Kreis der „Reichen“.

Die wahrhaft Leidtragenden werden aber nicht die echten Reichen sein (bei denen es auf so „kleine Fische“ eigentlich nicht ankommt), sondern der Mittelstand, der nicht arm genug ist, um unterstützt zu werden, aber auch nicht reich genug, um durch die Kosten der Kindererhaltung nicht in seinem Lebensstandard fühlbar eingeschränkt sein. Wie so oft bei solchen Maßnahmen, wird auf die Reichen gezielt, der Mittelstand aber getroffen.

Dagegen können aufgebesserte Kinderbeihilfen für die unteren Einkommensschichten häufig ein „Geschäft“ sein. Somit werden die Kleinverdiener zur Kinderfreudigkeit ermuntert, der Mittelstand hingegen davon entmutigt; die Reform dient also offenbar nicht nur einkommens-, sondern auch bevölkerungspolitischen Zwek- ken: nach der Einkommensverteilung kommt die Nachkommenumverteilung.

Auch hier folgt die Regierung Kreisky offenbar dem vielbeschworenen Vorbild Schwedens. Dort wird im Namen der Gleichheit ganz besonders auf die Einebnung des Mittelstandes Bedacht genommen; der geschickte Taktiker Kreisky geht das gleiche Ziel freilich etwas umwegiger und unauffälliger an als sein forscher Amtskollege Palme.

Dafür eignen sich steuerliche Kunstgriffe besonders: Man beläßt dem Mittelstand sein höheres Bruttoeinkommen, entwertet es aber durch die scharfe Progression und durch den weitgehenden Ausschluß von allen Steuervorteilen; das wirkt sich gerade deshalb besonders fühlbar aus, weil die großen Progressionssprünge in der österreichischen Steuertabelle schon sehr weit unten beginnen.

Die stärkste Entlastung wird die große Steuerreform zweifellos den bisher gemeinsam veranlagten Ehepaaren bringen. Die Zusammenveranlagung stammt noch aus einer Zeit, die der Frau die volle Rechtsmündigkeit versagte und den Gatten zu ihrem Vormund bzw. zum Verwalter ihres Vermögens (soweit vorhanden) machte; aus einer Zeit, in der überdies der Mann in der Regel der Alleinverdiener war.

Trotz Frauenemanzipatrion wurde auch in der Zwischenkriegszeit an diesem System nicht gerüttelt, weil angesichts der herrschenden Arbeitslosigkeit berufstätige Ehefrauen nicht gerne gesehen waren. Die voll- beschäftigte Wirtschaft der letzten Jahrzehnte braucht hingegen die Berufstätigkeit der Ehefrau, so daß nunmehr auch wirtschaftliche Gründe neben solchen der Steuergerechtigkeit gegen die gemeinsame Veranlagung sprachen.

Das Steuerunrecht auf diesem Gebiet entstand durch die Einführung der Progression. Solange es eine Proportionalsteuer gegeben hat, war es gleichgültig, ob Ehegatten gemeinsam oder getrennt veranlagt wurden; erst durch die Progression zahlten sie infolge der Zusammenrechnung beider Einkünfte mehr Steuer als zwei Junggesellen mit gleichem Einkommen. Heiraten wurde somit steuerlich bestraft.

Riesengeschäft für Notare?

Dieses Mißverhältnis wurde schon zu Zeiten der Koalition und der ÖVP- Alleinregierung schrittweise abgebaut, vor allem für Lohnempfänger, zum Teil auch für Einkommensteuerpflichtige. Die Beseitigung des letzten Restes der Zusammenveranlagung war von der ÖVP für die laufende Legislaturperiode vorgesehen; grundsätzlich bringen also die sozialistischen Pläne nichts Neues, sie wollen nur ein anderes System. Die ÖVP neigt dem im westlichen Ausland fast allgemein üblichen Splitting-Verfahren zu, die SPÖ möchte hingegen die Individualbesteuerung.

Beim Splitting werden weiterhin die Einkommen der Gatten zusammengezogen, dann aber nicht gleich veranlagt, sondern halbiert und die beiden Hälften getrennt versteuert. Bei der Individualbesteuerung sollen die beiden Gatten von vornherein gesondert besteuert werden.

Im Falle ziemlich gleich hoher Einkommen der Gatten ändert sich nicht viel. Hat aber z. B. der Gatte ein sehr hohes, die Gattin hingegen ein sehr niedriges Einkommen und wird durch das Splitting der Durchschnitt aus beiden zur steuerlichen Bemessungsgrundlage, so bringt das infolge der Progression eine beträchtliche Steuererspamis.

Das schließt die Individualbesteuerung aus, aber nur, wenn die Quellen der Einkünfte bei den beiden Gatten streng getrennt sind. Stammen diese aus gemeinsamem Unternehmeroder Kapitaleinkommen, dann ist eine Gütertrennung Voraussetzung für die Individualbesteuerung; gerade bei Spitzeneinkommen werden dann erst recht steuerliche Manipulationen möglich.

Nach Ansicht von Skeptikern wird die Individualbesteuerung nur ein Riesengeschäft für Notare sein, dem

Staat aber herzlich wenig Mehreinnahmen im Vergleich zum Splitting bringen. Auch in Deutschland hat sich übrigens die Steuerreformkom- mission für die Beibehaltung des (dort schon längst eingeführten) Splittings ausgesprochen. Wir müssen uns eben damit abfinden, daß es hier wie anderswo kein vollkommenes System gibt.

Bei der Investitionsbegünstigung ist den Sozialisten vor allem die Bewertungsfreiheit ein Dom im Auge. Ohne sie müssen Aufwendungen für Betriebsmittel entweder gänzlich im

Jahr der Anschaffung oder zu gleichen Teilen im Laufe von zehn Jahren abgesetzt werden. Die Bewertungsfreiheit bietet die dritte und für die meisten Betriebe steuerlich günstigste Möglichkeit: sie können einen größeren Prozentsatz im Jahr der Anschaffung absetzen und nur den Rest auf die weiteren neun Jahre verteilen (analoge Bestimmungen nur mit längeren Fristen gibt es auch für bauliche Anschaffungen).

Die Sozialisten sehen in der Bewertungsfreiheit (die übrigens auch von der verstaatlichten Industrie weidlich ausgenützt wird) ein Steuergeschenk, die Unternehmer hingegen nur eine Steuerstundung: die Steuererspamis im Jahre der Anschaffung werde durch geringere spätere Abschreibemöglichkeiten abgegolten.

Aber das sind Formfragen; in Wirklichkeit geht es darum, die Investitionen stärker als bisher aus öffentlichen Mitteln zu bestreiten, damit der Staat die Wirtschaft noch fester in seinen Griff bekomme. Der eigentlich Leidtragende wird dabei der Steuerzahler sein, weil geringfügige Steuermehreinnahmen aus den Unternehmen bed weitem nicht die Finanzierungsverpflichtungen aufwiegen werden, die dem Staat auf solche Art erwachsen.

Daß unser Steuersystem reformbedürftig ist, bestreitet kaum jemand; es fragt sich nur, wo reformiert werden soll. Sind denn die geplanten Reformen wirklich so wichtig oder wäre es nicht z. B. viel dringlicher, das ganze Steuersystem zu vereinfachen? Zugegeben ein heißes Eisen, aber eine „große“ Steuerreform, die allen heißen Eisen ausweicht und nur solche, oft fragwürdige Neuerungen bringt, die sich propagandistisch vermeintlich gut verkaufen lassen, verdient diesen Namen kaum.

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