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Ein Mittelweg

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Seit fünf Jahren arbeiten sie daran — nun soll es Wirklichkeit werden: 1967 legte Unterrichtsminister Piffl-Percevic den ersten Entwurf für ein Schulunterrichtsgesetz vor, das nach der Neuregelung der äußeren Struktur, wie sie 1962 geschaffen worden war, auch das innere Leben der Schule erfassen sollte. Nach heftigen Diskussionen in und zwischen allen beteiligten Gruppen steht nun der dritte Entwurf, den Minister Gratz im Vorjahr auf den Tisch legte, in Endredaktion.

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Seit fünf Jahren arbeiten sie daran — nun soll es Wirklichkeit werden: 1967 legte Unterrichtsminister Piffl-Percevic den ersten Entwurf für ein Schulunterrichtsgesetz vor, das nach der Neuregelung der äußeren Struktur, wie sie 1962 geschaffen worden war, auch das innere Leben der Schule erfassen sollte. Nach heftigen Diskussionen in und zwischen allen beteiligten Gruppen steht nun der dritte Entwurf, den Minister Gratz im Vorjahr auf den Tisch legte, in Endredaktion.

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Erst wenn er in sechs bis acht Wochen im Parlament eingelangt sein wird, kann festgestellt werden, wie stark die Auseinandersetzungen in Schulreformkommission und Schülerbeirat, in Elternbeirat und Lehrerorganisation und nicht zuletzt die Stimmen in der Öffentlichkeit ihren Niederschlag gefunden haben. Es wird für die Beamten nicht leicht sein, aus den bis zuletzt sehr kontroversen Meinungen einen vernünftigen, in die Zukunft weisenden Mittelweg herauszuarbeiten.

Unter den vielen Materien, die der Entwurf zu regeln hat, von der Aufnahme in die Schule über die Unterrichtsordnung, die Bestimmungen über Noten und Prüfungen, die Mitbeteiligung von Eltern und Schülern am schulischen Leben bis zur Nostrifizierung ausländischer Zeugnisse standen und stehen vor allem zwei Komplexe im Mittelpunkt der Debatten: die Frage der Qualifizierung und die der Schülermitbestimmung. Auch wenn die Fronten quer durch die Parteien, viel mehr bestimmt durch die Interessenvertretungen, gehen, so liegen doch gerade hier die gesellschaftspolitischen relevanten Bereiche.

Der Entwurf hält an der bisherigen Notenskala von „sehr gut“ bis „nicht genügend“ fest, obwohl, wie der sozialistische Abgeordnete und Wiener Stadtschulratspräsident

Schnell feststellte, die Experten einig seien, daß dieses System, vor allem das Damoklesschwert des „Pinsch“, große Schwächen habe. Besser wäre eine verbale Beurteilung, durch die die Eltern in bestimmten Zeitabständen über die Fortschritte ihrer Kinder informiert werden könnten. Aber hiezu gibt es noch keine befriedigenden Modelle. Die Verurteilung zum „Sitzenbleiben“ soll nicht mehr von einem Nichtgenügend (bei negativer Wiederholungsprüfung) abhängen können. Bei zwei „Fünfern“ soll noch der „Nachzipf“ gewährt werden — wobei Musik, Bildnerische Erziehung und Turnen außer Betracht bleiben sollen.

Daß schematische Einstufungen in nur fünf Kategorien, oft genug an Hand nur weniger Stichproben des Wissens, nicht über den Verlust eines Lebensjahres entscheiden dürfen, sollte wohl außer Diskussion stehen. In der Praxis haben sich gute Lehrer auch bisher mit (informellen) Zwischennoten, durch Absprachen mit den Kollegen, mit der Abwägung aller in Betracht kommenden Kriterien bemüht, ein möglichst gerechtes Urteil zu finden. Die hohen Repetentenraten wird man aber nicht dadurch drücken können, daß die Beurteilungskriterien gesenkt werden — jedenfalls nicht, ohne dadurch das Leistungsniveau' der ganzen Schule zu senken. Hier muß sehr frühzeitig mit der Schulbahnberatung eingesetzt werden, um die heute viel zu häufigen Fehlleitungen — die dann zum Repetieren führen — zu vermeiden. Hier wird durch moderne Lehr-und Lernmethoden geholfen werden müssen, zeitweilige Lernkrisen zu überwinden.

Auch zum Stichwort „Schülermitbestimmung“ wurde in vielen Schulen in engem Kontakt der Schulsprecher mit Vertrauenslehrern und Direktionen fruchtbare Vorarbeit geleistet. Junge Menschen mit Sechzehn und Siebzehn schrittweise in demokratische Umgangsformen einzuarbeiten, ist eine sehr zu begrüßende Absicht des Entwurfs. Bei welchen Materien diese Mitbestimmung — die Lehrersprecher plädieren mehr für den Terminus „Mitverwaltung“ — möglich und fruchtbar erscheint, wird sich wohl erst in der Erprobung zeigen. Daß die Elternvereinigungen nun gesetzlich fundiert werden, bestätigt nur einen tasächlich längst bestehenden Zustand. Wenn nun auch das Einspruchsrecht der Eltern gegen negative Entscheidungen des Lehrers verankert wird, so entspricht auch dies den Geboten des Rechtsstaates.

In allen diesen Bereichen aber wird man die Zusammenarbeit fruchtbarer machen, wenn man sie auf der Basis des Vertrauens und nicht auf rechtliche Formulierungen aufbaut. Man wird den Rechten des Schülers seine Pflichten, den Pflichten des Lehrers auch seine Rechte gegenüberstellen und die bloße Existenz des Elternvereins mit Leben versehen müssen.

Allen Beteiligten, in Schule und Schulverwaltung, wird bewußt sein müssen, daß dieser erste Versuch einer gesetzlichen Neuordnung noch nicht das Optimum erreichen kann, daß also wohl bald novelliert gehört, was sich nicht bewährt hat. Vor allem aber: daß viel mehr als alle Reformen — deren Notwendigkeit nicht bestritten werden soll — Klassen mit 20 oder 25 Schülern und gut ausgebildeten Lehrern die Garantie für eine erfolgreiche Schulzeit in sich tragen.

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