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Ein moderner Seelsorger

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Wenn einmal, wie zu hoffen ist, eine Geschichte des deutschen Katholizismus in der ersten Hälfte des Jahrhunderts geschrieben werden sollte, wird deren Autor ohne die Lebenserinnerungan des Jesuitenpaters Friedrich Muckermann nicht auskommen können. Sie sind jetzt, bearbeitet und eingeleitet von Nikolaus Junk SJ, als ein monumentaler Band im Rahimen der Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte bei der Katholischen Akademie in Bayern erschienen. Ein enormes Erfahrungsmaterial ist hier zusammengetragen, und wenn das Bild der Epoche aus der Perspektive eines einzigen Zeitgenossen, trotz der Universalität seiner Interessen, auch nicht vollständig sein kann, so enthält es doch alle wesentlichen Züge.

Natürlich sind diese Lebenserinnerungen keine abschließende Biographie Friedrich Muckermanns; auch die muß noch geschrieben werden. Das wird keine leichte Aufgabe sein, denn die staunenerregende Vielseitigkeit dieses Mannes läßt daran zweifeln, was denn eigentlich der Einheitspunkt seines Denkens und Handelns gewesen ist. Uns scheint, daß die tiefe Motivation seines Wirkens die Seelsorge war.. Er hat sich eine, wie man heute sagen würde, „Zielgruppe“ gewählt, die nach seiner Meinung zeitbestimmend war: die Literaten, Journalisten, Künstler und verwandte „Multiplikatoren“. Das entsprach sowohl der Tradition seines Ordens, der sich ja immer gerade um die führenden Schichten bemüht hat, wie der eigenen Neigung: Friedrich Muckermann war ein musischer Typ, eine im weitesten Sinn künstlerische Persönlichkeit und kein messerscharf analysierender und kritisierender Intellektueller. Man muß ihn in vieler Hinsicht als Missionar verstehen.

Muckermann half bei der Aufgabe, die er sich selbst gestellt hatte, eine ungemein leicht produzierende literarische Begabung (manche Passagen der Lebenserinnerungen, besonders wenn es um die Charakterisierung zeitgeschichtlicher Persönlichkeiten geht, vermitteln einen ästhetischen Genuß) und vielleicht mehr noch sein außergewöhnliches rhetorisches Talent. Er konnte als Redner überzeugen, fesseln, begeistern, hinreißen — und vor allem kämpfen. In der Diskussion war ihm keiner gewachsen. Muckermann N besaß die Fähigkeit, sich psychologisch in jedes Publikum zu versetzen, sich mit seinen 2)uhörern zu identifizieren und danach seine Sprache zu wählen. Er hat sich stets bemüht, dem Beispiel des Apostels zu folgen und „allen alles zu werden“.

Durch sein Wirken hat P. Muckermann, zusammen mit gleichgerichteten Persönlichkeiten, die Kräfte des heute unterschätzten und zu Unrecht verachteten „Vereins- und Kultur-katholdzismus“ in der kritischen Situation der Weimarer Republik noch einmal aufgeboten. Er gehörte zu jenen Zeitgenossen, die, wie etwa Richard von Kralik oder Josef Eberle, daran glaubten, daß die kulturelle Fruchtbarkeit der „katholischen Idee“ auch ein Argument für die Wahrheit des christlichen Glaubens sei, und er vertraute, trotz aller Kritik, die er im einzelnen ausgiebig, ja provokant übte, auf die Institutionen, die der deutsche Katholizismus seit dem Kulturkampf aufgebaut hatte. Ihm das vorzuwerfen, ist so sinnlos, wie ihn dafür anzuklagen, daß er 1883 geboren ist.

Ein mächtiges Temperament, das Muckermann zu einem Element der Unruhe und der Störung ererbter Bequemlichkeiten machte, mußte immer Streit erregen. Muckermann forderte zur Stellungnahme heraus; er konnte niemanden gleichgültig lassen. Es ist bezeichnend für seine Position, daß ihm seine katholischen Kritiker Entgegengesetztes vorwarfen. Den einein war er zu madern, zu großzügig, zu neuerungssüchtig, zu traditionsfremd — den anderen, vor allem dem Kreis um die „katholische, aber, pazifistisch-linkssoziale“ „Rhein-Mainische Volkszedtung“, zu integralistisch, zu konservativ, zu deutsch und zu wenig sozial (was man mit sozialistisch übersetzen muß).

Sowohl rechts wie links anzustoßen, ist in aufgeregten Zeiten immer das Schicksal eines jeden, der die Mitte halten will. Weil er sde einnahm, kämpfte Friedrich Muckermann in gleicher Weise gegen den linken wie gegen den rechten Extremismus. Den Kommunismus kannte er aus den Jahren seiner Kriegsgefangenschaft, und den Nationalsozialismus hat er von Anfang an richtig beurteilt. Nur wenige Tage dauerte seine Überlegung, ob man nicht einen Versuch mit dem Nationalsozialismus machen sollte, nachdem Hitler der Kirche die Freiheit versprochen habe. Der Nationalsozialismus ist zu Friedrich Muckermanns Schicksal geworden. Sein ganzes Leben wäre anders verlaufen,wäre er der große Kultur-Seelsorger (wenn der Ausdruck gestattet ist) geblieben und hätte er nicht diese Herausforderung christlicher Humanität, Kultur und Gesittung erleben und annehmen müssen. Er wurde zu einem der wichtigsten und wortgewaltigsten Kämpfer gegen diese Heimsuchung der deutschen Nation und der Welt.

Jahrelang verwendete Friedrich Muckermann seine ganze Kraft auf diese Aufgabe. Er berichtet in seinen Lebenserinnerungen ausführlich darüber. Er hat Leib und Leben gewagt, die Gestapo hat ihn von Land zu Land gehetzt, die übermenschliche Anstrengung hat seine Gesundheit zerstört. Trotzdem hatte ein alter Muckermann-Feind aus der „pa-zifistisch-lmkssozialen“ Ecke die Stirn, zu Muckermanns Erinnerungen anzumerken, der Autor habe „die geistige Reaktion im Katholizismus gestärkt und damit, ohne es zu wollen, ein wenig auch dem Nationalsozialismus den Boden bereitet“. Indes, dieser absurde Verkleinerungsversuch, für den es keinerlei Belege gibt, wird der großen Leistung Muckermanns nichts anhaben können. Er hat Maßstäbe gesetzt; er hat, zielsicher, schon in frühen Jahren den wesentlichen Punkt gezeigt, auf den es 'bei der Auseinandersetzung christlichen Denkens mit jeglicher Art von Totalitarismus ankommt: die Verteidigung der Menschenrechte.

IM KAMPF ZWISCHEN ZWEI EPOCHEN. Von Friedrich Muck ermann SJ. Herausgegeben von Nikolaus Junk SJ. Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz. 665 Seiten, DM 88.80.

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