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Ein Moralist

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„Gewiß einer der gelehrtesten Menschen, denen ich je begegnet bin. Er hat die Psychoanalyse, den Marxismus, die Kabbala und den Talmud hinter sich. Er wäre ein großer Rabbi gewesen.“ So urteilt Eugene Ionesco über Manes Sperber, der am 12. Dezember 1905 im alten Österreich, in östgalizien, geboren wurde und jener mitteleuropäischen Generation angehörte, die - wie er selbst schreibt - „halbwüchsig in die Weltgeschichte geschleudert und in sie gefallen ist wie ein kranker Vogel aus dem Nest“. Aus ärmlichen Verhältnissen kommend, mußte er als zweiter von drei Söhnen sehr früh erfahren, daß gerade er für die schwere Arbeit zu Hause „sozusagen im besten Alter war“. In seinen über tausend Seiten umfassenden Erinnerungen „All das Vergangene“ heißt es dann auch: „Beim Fußbodenwischen habe ich gelernt, die Menschen nicht mehr, niemals mehr zu unterschätzen.“

Seine Jugend verbrachte er in Wien, wo er auch Schüler und Mitarbeiter Alfred Adlers wurde. Seine spätere psychologische Arbeit war ein ununterbrochenes In-fragestellen. Auch seine Roman-Trilogie „Wie eine Träne im Ozean“ (1961) hatte keine Gewißheit zu bieten, sondern wollte „Fragen spruchreif“ machen. Er ist im hohen Sinne des Wortes ein Moralist.

Daß Sperber mit seiner Trilogie ein politisches und philosophisches Werk und ein Zeitporträt ohnegleichen schuf, ist unumstritten. So urteilt auch Andre Malraux: Das Buch ist ein großes Zeugnis europäischer Romanliteratur.

Das dritte Buch der Trilogie beinhaltet Sperbers zentrale Botschaft. Es heißt da: „Nicht nach Art der Wiederkäuer schreiben. Nur für jene, denen das Wesentliche genügt.“ In einem Gespräch in Wien, das ich mit ihm 1981 führen konnte, sagte er: Der Leser darf sich in meinen Romanen nicht heimisch fühlen. „Ich will ja etwas bewirken, auch beim Leser.“

1927 bis 1933 war Sperber Lehrer für Individualpsychologie in Berlin. 1934 emigrierte er nach Paris, wo er bis zu seinem Tod am 5. Februar 1984 lebte.

Das Kranksein zog sich länger hin als er es wünschte. Seine Frau Jenka, die ihn bis zu seinem Tode liebevoll begleitete, schreibt darüber: „Wenn man mich fragte, wie es geht, antwortete ich wahrheitsgemäß: Wir pflegen einen Kranken, der keiner sein will.“

Seine Person wird im Gedächtnis vieler, sein Werk in der Weltliteratur weiterleben.

Der Autor ist Bildungsreferent desKath.Bildungswerkes Kärnten.

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