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Ein Mythos ist zerstört

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Der Angolakrieg ist Ende und Anfang einer Epoche afrikanischer Politik mit weitreichenden weltpolitischen Folgen: Die Epoche der Entkolonialisierung ist zu Ende — heuer werden auch die. letzten Kolonien, die Seychellen und Djibuti, unabhängig — und die „Afrikanisierung“ des südlichen Afrika tritt in die entscheidende Phase.

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Der Angolakrieg ist Ende und Anfang einer Epoche afrikanischer Politik mit weitreichenden weltpolitischen Folgen: Die Epoche der Entkolonialisierung ist zu Ende — heuer werden auch die. letzten Kolonien, die Seychellen und Djibuti, unabhängig — und die „Afrikanisierung“ des südlichen Afrika tritt in die entscheidende Phase.

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Die erste Runde im Endkampf gegen die weißen Afrikaner hat bereits begonnen. Er trägt Züge des globalen Nord-Süd-Konflikts, des Antagonismus zwischen Entwicklungsländern und Industrieländern, der seit dem ölembargo immer deutlicher Konturen angenommen hat.

Die Entwicklung, die nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzte, in den sechziger Jahren mit der Unabhängigkeit der Mehrzahl der afrikanischen Staaten seinen ersten Höhepunkt erreichte und nun in die Endrunde eintritt, ging wesentlich rascher vor sich, als man in den sechziger Jahren annehmen konnte: Der Wind des Wandels hat sich zum Sturm gesteigert.

Der rasche Sieg der MPLA über die beiden prowestlichen, von Südafrika und weißen Söldnern unterstützten Bewegungen, hat auch einen wichtigen psychologischen Effekt: der Mythos von der Überlegenheit des weißen Mannes ist endgültig zerstört. Dieser psychologische Effekt beschränkt sich nicht nur auf die Afrikaner, sondern wirkt auf die Bevölkerung der Entwicklungsländer im allgemeinen. Er ist vergleichbar mit den psychologischen Folgen der amerikanischen Niederlage in Vietnam. Er hat ein enormes Anwachsen des afrikanischen Selbstbewußtseins und des Nationalismus in den Ländern der Dritten Welt zur Folge.

Das Smith-Regime Rhodesiens

wird dem erstarkten schwarzen Nationalismus über kurz oder lang weichen müssen. Als nächstes wird sich das Namibiaproblem stellen. Auch das südafrikanische Apartheidregime, an dessen Unverletzbarkeit noch bis vor kurzem kaum Zweifel gehegt wurden, hat diesen Nimbus der Unverwundbarkeit verloren: Sollte der Funke der nationalen Emotion auf die Bantustans überspringen, könnte dies eine „lebensgefährliche“ Lage für Pretoria schaffen.

Daß sich das schwarze National-und Selbstgefühl unter kommunistischer Regie so stark entfalten konnte, ist gewiß als Schlappe des Westens zu verbuchen. Das, allem Anschein nach, völlige Fehlen einer amerikanischen Afrikapolitik hat sich nun bitter gerächt. Die Eskalation der Gegensätze in Afrika aber nur im Lichte des Kalten Krieges zu sehen, ist sicher falsch. Man sollte vielmehr versuchen, die Dinge mit afrikanischen Augen zu sehen, denn nur so kommt man der Objektivität am nächsten.

Die pragmatische Haltung Europas in der Angolafrage, von vielen für „charakterlos“ gehalten, ist wahrscheinlich die einzig richtige. Wie überhaupt die Rolle Europas, insbesondere Westeuropas, in Afrika nach wie vor wesentlich bedeutender ist, als jene der USA, der Sowjetunion oder Chinas. Die Verbundenheit mit

dem ehemaligen Kolonialherrn durch Sprache, Struktur der Verwaltung, der Wirtschaft, der Erziehung, des Kommunikationswesens usw. erweist sich als tiefer verwurzelt, als man mancherorts gerne wahrhaben möchte.

In einem Kontinent, der als seine größten Feinde Armut, Unwissenheit und Krankheit bezeichnet, ist es klar, daß sozialistische, ja auch radikal marxistische Ideologien auf fruchtbaren Boden fallen. Eines steht jedoch fest: Afrika will seinen eigenen afrikanischen Weg gehen und lehnt jede Art ausländischer Bevormundung und Einflußnahme ab, auch die der Sowjetunion.

Die Afrikaner sind den USA und vor allem den Sowjets gegenüber von tiefem Mißtrauen erfüllt: Man braucht Hilfe, um dem Teufelskreis von Armut, Unwissenheit und Krankheit zu entrinnen, aber man will Hilfe ohne ideologische Bindungen. Falls sie nicht ohne Bindungen zu bekommen ist, bemüht man sich, diese so bald wie möglich wieder abzuschütteln.

Der Europäer wird mit dem geringsten Mißtrauen betrachtet. Man kennt ihn und verhält sich nach dem Grundsatz „the devil we know is better than the devil we don't know“. Die rasche Anerkennung des marxistischen Regimes in Angola durch die europäischen Staaten bedeutet somit auch die Chance für Angola, die Russen bald wieder los zu werden.

Der Wandel, der sich nun im südlichen Afrika unabwendbar vollzieht, kann sicher als Machtverschiebung zugunsten des Ostens gesehen werden. Demzufolge werden Befürchtungen geäußert, daß diese Machtverschiebung den Verlust der letzten afrikanischen Rohstoffquellen in verbündeter Hand bedeuten könnte. Es wäre denkbar, heißt es weiter, daß die Erdölwaffe auch für andere Rohstoffe Schule machen könnte. Ein Rohstoffkartell gegen die industrialisierten Staaten, insbesondere Westeuropa, würde damit möglich.

Das Gefährlichste an der gegenwärtigen Situation in Afrika scheint aber der Umstand zu sein, daß Vernunft und Maß durch Emotion verdrängt werden. Diese Emotionen führen zu gesteigerter Aggression, in dem einen Fall als Folge eines übersteigerten Selbstbewußtseins, im anderen Fall als Folge zunehmender Verunsicherung und wachsender Angst. Die Lage der Gemäßigten, sowohl im Weißen wie im Schwarzen Afrika, wurde dadurch keineswegs erleichtert. Insbesondere die Position Präsident Kaundas von Sambia wurde in den letzten Wochen immer prekärer.

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