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Ein Nachwort zum Waffenstillstand

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Vor drei Jahrzehnten ist da^s deutsch-europäische Konzept Adolf Hitlers formell in Stücke gerissen worden. Sein Krieg, in den er bei der Realisierung dieses Konzeptes voll Freude hineingerutscht war, hatte ihn selbst verschlungen und seine übriggebliebenen Gefolgsleute mußten nun das Ende mitgestalten helfen. Hiefür waren jene, die nicht zu seinem unmittelbaren Kameraden zählten, ins erste Glied getreten, nachdem die Extremisten handlungsfähig geworden waren. Nur Japan kämpfte noch allein weiter, bis in Hiroshima, und Nagasaki auch in Fernost der Krieg ein Ende fand. Für Europa aber wurden vor 30 Jahren — unmittelbar nach der deutschen Kapitulation — endgültig die Weichen gestellt.

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Vor drei Jahrzehnten ist da^s deutsch-europäische Konzept Adolf Hitlers formell in Stücke gerissen worden. Sein Krieg, in den er bei der Realisierung dieses Konzeptes voll Freude hineingerutscht war, hatte ihn selbst verschlungen und seine übriggebliebenen Gefolgsleute mußten nun das Ende mitgestalten helfen. Hiefür waren jene, die nicht zu seinem unmittelbaren Kameraden zählten, ins erste Glied getreten, nachdem die Extremisten handlungsfähig geworden waren. Nur Japan kämpfte noch allein weiter, bis in Hiroshima, und Nagasaki auch in Fernost der Krieg ein Ende fand. Für Europa aber wurden vor 30 Jahren — unmittelbar nach der deutschen Kapitulation — endgültig die Weichen gestellt.

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Während die Kämpfe in Europa um die Mitte des Mai 1945 nach und nach erloschen, war der fernöstliche Achsenpartner noch ganz auf Heldentod eingestellt. Siegeshoffnungen gab es für ihn nicht mehr, wohl aber die Absicht, das japanische Kernland derart erbittert zu verteidigen, daß den schon etwas kriegsmüden Amerikanern die Lust auf. eine neue Invasion vergehen würde und sie Verhandlungen vorzögen. Die Schlüsselposition hiefür kam den Riukiu-In-seln zu, deren Haupteiland Okinawa von den Alliierten seit März 1945 berannt wurde. Die Japaner kämpften dort um jeden Zentimeter und verstärkten ihre Besatzung durch Truppen aus China, der Mandschurei und Japan selbst. Durch einen Erfolg bei den Riukiu-Inseln hofften die Strategen in Tokio, die Sowjetunion vom Eintritt in den Fernostkrieg abzuhalten, zumindest jedoch die US-Invasion in Japan zu verzögern. Denn der Besetzung Okinawas sollte die Landung auf der südlichsten Insel Japans folgen und schließlich der Endschlag gegen die japanische Hauptinsel („Operation Coronet“). Für Ende 1945 rechnete man in alliierten Kreisen mit der bedingungslosen Kapitulation des Kaiserreiches. Der Abwurf von Atombomben auf japanische Städte stand zum Zeitpunkt, als die Invasionspläne ausgearbeitet wurden, noch nicht zur Diskussion.

Angesichts der japanischen Abwehr mußten die Amerikaner die Eroberung Okinawas in einzelne Teiloffensiven verlegen. Am 11. Mai 1945 griffen sie erneut an. 150 Kami-kazes stürzten sich, aus allen Richtungen kommend, auf die US-Flotte vor Okinawa. Fast alle wurden abgeschossen, doch gelang es immerhin, die beiden großen Flugzeugträger „Bunkers Hill“ und „Enterprise“ zu treffen. Auf dem Lande war der japanische Widerstand härter als jemals zuvor. Erst am 29. Mai fiel die Schuri-Festung, doch verhinderten sintflutartige Regenfälle weitere Operationen. Anfang Juni waren die Verteidiger soweit in den Südteil der Insel abgedrängt, daß die strategischen Luftstreitkräfte der US-Armee und die Luftwaffe der 3. amerikanischen Paziflkflotte für den Einsatz gegen das feindliche Mutterland freigemacht werden konnten. Vier Wochen lang steigerte sich die Intensität der Bombenangriffe, dann brach die 3. US-Flotte unter Admiral Halsey aus dem Leyte Golf auf, um zum entscheidenden Schlag auszuholen. Am 10. Juli erreichte die Armada den Operationsraum etwa 170 Seemeilen südöstlich von Tokio und vereinigte sich etwas später mit Teilen der britischen Pazifikflotte. Nahezu pausenlos werden nun die Maschinen der Flugzeugträger über Japan zum Einsatz kommen, während die Schlachtschiffe und Kreuzer die Küsten unter Beschuß nehmen. Der Abwurf der beiden Atombomben durch amerikanische Apparate, die von einem Inselstützpunkt starten, wird daher nur einen Teil des Gesamtunternehmens darstellen, das infolge des Kriegsendes in Europa beschleunigt werden konnte. Am 15. August wird Admiral Nimitz auf Grund der am Vortag angebotenen Kapitulation die Feuereinstellung befehlen, ohne damit die erste Angriffswelle dieses Tages auf Tokio zurückpfeifen zu können.

Geradezu symbolhaft für den Untergang des damaligen Imperiums

der aufgehenden Sonne war das Ende auf Okinawa. Als die Situation für die Japaner aussichtslos wurde, begingen die meisten Selbstmord. Sie sprengten sich in die Luft, erschossen sich oder begingen Harakiri. Relativ wenige fielen in amerikanische Gefangenschaft.

Generalleutnant Mitsuru Uschld-schima konnte trotz enormer Verluste

den äußersten Süden noch drei Wochen lang halten. Dann begann die japanische Verteidigung, zermürbt durch 80 Tage Ausharren, zusammenzubrechen. Am 18. Juni 1945 erließ er den letzten Tagesbefehl. Uschidschima bereitete sich am Abend des 21. Juni 1945 auf den Tod vor. Er beauftragte seinen Koch, noch einmal ein großes Mahl zu bereiten. Nach dem Essen verabschiedete er sich von seinen Offizieren mit einigen Toasts. Nicht Sake, sondern Scotch Whisky wurde serviert. Um vier Uhr morgens beging Uschidschima zeremoniell Harakiri. Sein Adjutant erfüllte auch den letzten Befehl: Er schlug Uschidschima mit seinem Offiziersschwert den Kopf vom zuckenden Rumpf.

„Was uns erspart blieb“, schrieb im August 1945 eine Zeitung namens „Neues Österreich“ über ihren Bericht bezüglich der Katastrophe von Hiroshima. Aber Europa hatte in den letzten Monaten genug gelitten, die Wunden waren noch allzu frisch. Vor etwa acht Wochen hatten die alliierten Vorhuten nach längerem Zögern angesichts scharfen deutschen Widerstandes die italienisch-österreichische Grenze passiert. Die Armee des Generals Clark reicht von dort aus den das Eisacktal abwärts vorfühlenden Einheiten der 7. amerikanischen Armee die Hand, während britische Verbände der einst so berühmten 8. Wüstenarmee in Osttirol auf deutschfreundliche Kosaken und andere fremdblütige Teile der Hitlermacht stoßen, die sich sofort ergeben, ohne dadurch dem schrecklichen Schicksal der Auslieferung an die Sowjets entgehen zu können. Vorsichtig rücken die Engländer in Kärnten ein, immer darauf bedacht, wieweit sie und die Amerikaner die Verhältnisse rund um Triest bereits unter Kontrolle bekommen haben. Denn hier, wie im Raum um Klagenfurt, beziehen bereits jugoslawische Partisanen Stellung, die vor allem unter den italienischen Ansiedlern

Istriens wüten und denen man mühselig klarmachen muß, daß die Besatzungszonen in Österreich schon genau festgelegt sind und bis an die Karawanken reichen werden. Das gleiche gilt auch für die Zonen des Triestiner Gebietes, wo die Jugoslawen westlich von Görz vergebens nach dauerndem Geländegewinn Ausschau halten. Jedenfalls führen die Engländer, um nur ja keine neuen Unannehmlichkeiten heraufzubeschwören, in Unterkärnten eigene Sperrzonen ein und liefern mehrere tausend Ustaschis aus. Die Amerikaner des Generals Clark sind in ihrem Vorgehen unbekümmerter und daher den Jugoslawen gegenüber ziemlich grob. Dazwischen eingeklemmt, bewegen sich immer noch kleine deutsche Gruppen, die über Gebirgswege entkommen wollen und sich dabei allerlei Übergriffe zuschulden kommen lassen. Die Engländer durchziehen anschließend das obere Kärntner Bergland und suchen über den

Katschberg hinweg Kontakt mit den im Norden stehenden Amerikanern der 7. Armee zu finden. Sie bemerken in fast allen Dörfern Flüchtlinge unbestimmbarer Herkunft und vermuten mit Recht viele — höhere — NS-Funktionäre und verkleidete SS-Leute unter ihnen.

Inzwischen nahte der 8. März 1945 und damit die Gesamtkapitulation, die Dönitz immer wieder hinausgezögert hatte, weil er sich den Russen nicht gleichermaßen bedingungslos ergeben wollte.

Die Rote Armee, die nach der Einnahme St. Pöltens ihren Druck gegen Norden intensiviert hatte und über Brünn in Mähren vorstieß, war mit ihrem Südflügel vor Graz längere Zeit aufgehalten worden. Deutsche und abtrünnige russische Verbände, die sogenannte Wlassow-armee, wehrten sich erbittert und führten sogar begrenzte Gegenangriffe durch. Gegen den 8. Mai hin erlahmten auch diese Aktionen und die Russen besetzten die steirische Landeshauptstadt. Dort hatten Vertreter der alten politischen Parteien Österreichs bereits die Verwaltung von den Nationalsozialisten ohne Blutvergießen übernommen. Nur der Gauleiter selbst war für dieses Abgeben der Kompetenzen nicht zu haben, begnügte sich aber mit einem Telegramm an Dönitz, in dem verlangt wurde, der Großadmiral möge bei kommenden Verhandlungen den Verbleib der Steiermark und der anderen Donau- und Alpengaue beim Großdeutschen Reich fordern.

Dieses Ansinnen konnte Dönitz lediglich zu den Akten legen, während die Repräsentanten der .aus dem steirischen Untergrund hervortretenden alten Parteirichtungen sofort auf die Moskauer Deklaration von 1943 über die Wiedererrichtung eines selbständigen Staates zurückgriffen. Die Rote Armee drang dessenungeachtet muraufwärts vor, erreichte

mit schwächeren Kräften die Industriegebiete am Erzberg und suchte das Ennstal und den Neumarkter Sattel einzunehmen. Letzteres gelang nicht mehr, da die Engländer von Kärnten eher herankamen. Jene Straßensperren, die lokale Volkssturmeinheiten gegen den russischen Vormarsch bei Scheifling und Ramingstein errichtet hatten, traten daher nicht in Funktion. Die amerikanischen Armeen im oberösterreichisch-böhmischen Raum durchdrangen das Mühlviertel, trafen jedoch erst gegen den 10. Mai bei Zwettl und Gmünd mit den Soldaten der 2. und 3. Ukrainischen Front zusammen. Damit war das Protektorat völlig isoliert, während die Alpenfestung schon etliche Tage zuvor zu bestehen aufgehört hatte.

Der deutsche Generalfeldmarschall Kesselring, der noch etwas früher gegen die Kapitulation in Italien opponiert hatte, sah jetzt klarer und redete Renduliö die Verteidigung der

Alpenfestung aus. Freilich fanden weder die Anglo-Amerikaner noch die Franzosen Muße, alle Gräben und Höhen unverzüglich durchzukämmen und so hielten sich in versteckten Gehöften immer noch bewaffnete Gruppen höherer Gefolgsmänner Hitlers aus verschiedenen europäischen Ländern, die später untertauchten oder nach Ubersee entkommen wollten.

Am 8. Mai erschien die von Feldmarschall Keitel geführte deutsche Militärdelegation in Reims und unterschrieb vor .Eisenhower sowie britischen, französischen und sowjetrussischen Offiziersdelegationen die Kapitulationsurkunde. Die Regierung Dönitz, die in Flensburg ihren Sitz hatte, amtierte noch weiter und bemühte sich, als Vertretung des deutschen Volkes anerkannt zu werden. Die westlichen Alliierten beobachteten einige Zeit, ob dieses Kabinett noch etwas bei der Durchführung der Waffenstillstandsmodalitäten tun könne. Sobald dies nicht mehr der Fall war, drangen britische Soldaten in die Amtsräume ein und verhafteten alle Anwesenden.

Am Morgen des 9. Mai 1945 bebte Wien unter den Abschüssen zahlreicher Feuerwaffen. Viele glaubten, daß ein deutsches Kontingent zurückgekehrt sei und einen Handstreich versuche, bis sich herausstellte, daß die Rote Armee zur Feier des Kriegsendes in die Luft schoß. Die neuerstandene Wiener Prominenz feierte das Kriegsende auf andere Art, nämlich durch ein Hochamt in der unzerstörten Peterskirche am Graben. Tatsächlich gingen die Kämpfe, ungeachtet aller Feuereinstellungsbefehle, weiter.

Die 3. US-Armee, bei der sich Nachschubschwierigkeiten unangenehm bemerkbar machen, bewegt sich langsam auf Pilsen zu. Ihr entgegen fließt ein Strom deutscher

Flüchtlinge aus den inneren Gebieten Böhmens, während aus Mähren die Flucht der deutschsprachigen Randbevölkerung ins österreichische einsetzt. Denn in Stadt und Land tauchen tschechische Partisanengruppen auf, die außerordentlich blutig vorgehen. Prag ist noch zum Teil in deutscher Hand und Feldmarschall Schoerner läßt über den dortigen Sender verkünden, daß er gegen Russen und Tschechen weiterkämpfen werde. Am 9. Mai fällt Pilsen den Amerikanern zu und bei Scharnstein in Österreich beendet die 3. Armee ihr letztes Gefecht mit einer deutschen Einheit. Auch die letzten ungarischen Regimenter ergeben sich in Oberösterreich. In Prag wogt der Aufstand schon seit dem 5. Mai hin und her, wobei entsetzliche Grausamkeiten an der Tagesordnung sind. Hier wie in mehreren sudetendeutschen Städten der Elberegion werden deutschsprachige Zivilisten zu Tausenden massakriert, während die Gewaltakte in Mähren etwas gelinder ausfallen. Schoerner stemmt sich dem sowjetischen Marschall Malinowski, der aus Österreich ins Herz der Tschechoslowakei verstößt, und dem Marschall Je-remenko, der von Nordosten kommt, immer noch entgegen. Etwas südlich davon fallen jetzt erst die Städte Hollabrunn und Znalm. Dönitz will Prag zur Lazarettstadt erklären, doch niemand hört auf ihn. Die Deutschen ziehen sich zeitweise zurück, bombardieren ein paar Straßenzüge aus ihren letzten Flugzeugen und gehen wieder vor, um eingeschlossene Landsleute zu evakuieren. Schließlich räumt Schoerner die Goldene Stadt, denn sowjetische Fallschirmjäger haben das Moldauufer erreicht. Auch die rote Panzerspitze steht vor den Toren.

Am 10. Mai nimmt die 7. US-Armee den sudetendeutschen Naziführer Henlein und andere hohe NS-Funktionäre gefangen, stellt aber, ebenso wie die 3. amerikanische Armee, das Vordringen im tschechischen Raum ein. Im Gegenteil, die Übergabe eines Großteils der deutschen Protektoratsarmee und ihrer ostvölkischen Hilfstruppen wird nicht mehr angenommen, da sich diese Kräfte den Russen ergeben sollen. Wenige Kilometer östlich von Pilsen treffen tatsächlich amerikanische Aufklärungskräfte mit der russischen Vorhut zusammen. Mitte Mai wird Schoerner, der sich verborgen hält, von kapitulationsbereiten deutschen Mannschaften den Amerikanern ausgeliefert, in den nächsten Tagen wird Kaltenbrunner in Österreich entdeckt un verhaftet. Der abtrünnige russische General Wlassow, der sich mit seinen Offizieren den Amerikanern gestellt hat, muß der Roten Armee übergeben werden. Am 9. Mai 1945, einem sonnigen Frühlingstag, an dem Marschall Tolbuchin Waidhofen an der Ybbs und im steirischen Land die Orte St. Michael und Leoben besetzen läßt, haben die Russen in Böhmen noch immer heftige Kämpfe zu bestehen. Trotzdem kommen sie den zurückgebliebenen deutschen Volks-tumsangehörigen als eine Art Befreier vor, da sie meist die tschechischen Partisanen an weiteren Morden hindern. Ungeachtet dieser verworrenen Situation sickern zahlreiche Österreicher, die in Norddeutschland und im Raum um Berlin vor Wochen desertiert sind, quer durch die Tschechoslowakei nach Süden, werden von den Tschechen eingesperrt, aber bald wieder freigelassen und weitergeschickt.

Um den 15. Mai 1945 wird es in Europa ruhig, und sechs Wochen später beginnen die ersten Salzburger Nachkriegsfestspiele. Jene Österreicher, die zwischen dem 1. Juli 1933 und dem 27. April 1945 der NSDAP oder einer ihrer militärischen Gliederungen angehört haben, müssen jetzt zur Registrierung gehen. Denn am 8. Mai, als in Reims die Kapitulation vollzogen wird, während die Briten in Klagenfurt und die Russen in Graz einrücken, hat das provisorische Wiener Kabinett diesen Beitrag zur großen Säuberung beschlossen. Am 16. Juli 1945 beginnt die Drei-Mächte-Konferenz in Potsdam, von der die Franzosen zunächst ausgeschlossen sind. Sie setzt den Anfang einer neuen Ära der Geschichte, während die Kapitulation von Reims das Ende des vorangegangenen Kapitels markiert.

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