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Ein nationaler Seismograph

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Die Historiker sind sich darüber einig: Der Sieg des österreichischen Staatsgedankens bei der Kärntner Volksabstimmung am 10. Oktober 1920 war nur möglich, weil viele Südkärntner Slowenen für Österreich gestimmt haben. Und dies zu einem Zeitpunkt, zu dem viele Österreicher selbst noch gar nicht an die Lebensfähigkeit der jungen Republik glaubten.

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Die Historiker sind sich darüber einig: Der Sieg des österreichischen Staatsgedankens bei der Kärntner Volksabstimmung am 10. Oktober 1920 war nur möglich, weil viele Südkärntner Slowenen für Österreich gestimmt haben. Und dies zu einem Zeitpunkt, zu dem viele Österreicher selbst noch gar nicht an die Lebensfähigkeit der jungen Republik glaubten.

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Kärnten hat in Österreich und darüber hinaus den zweifelhaften Ruf, ein „Hort des Nationalismus" zu sein. Es soll hier nicht untersucht werden, ob dieser Ruf berechtigt ist und was allenfalls die historischen Ursachen dafür sind. Es geht mir vielmehr darum, anhand dieses Vorwurfs einige Gedanken zum Wert eines richtig verstandenen nationalen Selbstbewußtseins und zu den Gefahren vorzulegen, die auch mit einem Zuwenig an solchem Bewußtsein verbunden sein können.

„National" zu sein ist in Deutschland und Österreich - anders als in vielen anderen europäischen Ländern -heute ziemlich verpönt. Hauptursache dafür ist sicher der schauerliche Mißbrauch, den das Hitlerregime mit dem Nationalgefühl seiner Bürger getrieben hat, und die Katastrophe, von der wir deshalb heimgesucht worden sind. Schließlich ist aber der Nationalsozialismus wieder nur die besonders verdichtete Konsequenz eines seit dem vorigen Jahrhundert ganz Europa überziehenden übersteigerten Nationalbewußtseins.

Seitdem die Identifikation eines Landes mit seinem Monarchen der Identifikation mit dem Volk oder den Völkern dieses Landes gewichen ist, haben die besonderen Eigenschaften der Völker und vor allem die sie unterscheidenden Merkmale eine stets wachsende Rolle gespielt: vorab ihre Sprache, dann aber auch ihre kulturelle Tradition und teilweise auch - wie schon früher - ihre Religion.

Damit kam es zum zweifellös höchst wertvollen Bewußtmachen, Pflegen und Weiterentwickeln der kulturellen Werte und Eigenarten der Völker als wesentlichem Kraftquell und Halt. Leider wuchs, weil Maßhalten eine der weniger ausgeprägten Eigenschaften der Menschen wie der Völker ist, damit auch der Mißbrauch dieser neu erkannten Werte: Eigenes wurde überbewertet, auf das Nachbarvolk sah man herab.

Eine Korrektur dieser Entwicklung in Mitteleuropa begann 1945. Sie brachte ein Umkippen in das andere Extrem: nationale Eigenständigkeit, Leben aus der Bindung an Geschichte und Kultur des eigenen Volkes heraus wurde für falsch und verächtlich erklärt; ja es gibt politisch-ideologische Kräfte, zu deren Instrumentarium die Entnationalisierung ganz ausdrücklich gehört.

Wir können Kärnten sicher als eine Art „nationalen Seismographen" ansehen und das 60-Jahr-Gedenken der Kärntner Volksabstimmung am 10. Oktober wird ebenso wie die Gegenveranstaltung „Oktober-Arena" und die ganze Begleitmusik in diesen Wochen einiges an Anschauungsmaterial bieten: Es gibt noch immer die Extremen auf beiden Seiten, die statt Gott und Glauben Volk und Heimat an die Spitze ihrer Werthierarchie gestellt haben (manche sagen auch Blut und Boden dazu).

Man kann da z. B. in einem nicht gezeichneten Artikel, in einem bekannten deutschnationalen Blättchen Kärntens vor etwa einem Jahr erschienen, lesen: „Parteien, Gesellschaftsordnung und Religionen sind Menschenwerke und vergänglich, brüchig wie jede technische Errungenschaft,. .. ewig ist nur die Heimat."

Auf der slowenischen Seite wird vom nationalistischen Flügel auch mit der nationalen Herkunft als dem einzig Unveränderlichen argumentiert; der dort gelegentlich kolportierte Satz: „Zuerst wurde ich von einer slowenischen Mutter geboren, dann erst wurde ich getauft" ist bezeichnend für die vorhandenen Wertprioritäten.

Die Gefahren, die aus der Uberbewertung der eigenen Nation, verbunden mit einer Unterbewertung, mitunter auch Verachtung, Diffamierung und Bekämpfung anderer Nationen resultieren, sind allgemein bekannt. Viele europäische Völker haben dieses falsche Bewußtsein gepflegt: wir kennen nicht nur den Begriff der deutschen „Herrenrasse", sondern z. B. auch das „fight or wrong, my country" der Engländer.

Die Gefahr, die das andere Extrem oft mit sich bringt, wird heute leider von vielen nicht erkannt. Wenn mit der berechtigten Ächtung jedes chauvinistischen und unverträglichen Nationalismus auch all das unter die Räder kommt, was die Grundlage unserer europäisch bunten Kultur ausmacht, die Heimatliebe, die Pflege der eigenständigen Volkskulturen und der je eigenen Geschichte, alle die unverwechselbaren und liebenswerten Eigenschaften der Völker und Volksgruppen, dann verschwindet ein wesentlicher gesellschaftlicher Stabilitätsfaktor aus unserem Leben.

Es wäre darum wichtig, ein Ereignis wie die 60. Wiederkehr der Kärntner Volksabstimmung zum Anlaß zu nehmen, auf die große Bedeutung eines gesunden und maßvollen nationalen Selbstbewußtseins hinzuweisen; es wäre wichtig zu sagen, daß Heimatliebe und Treue zur eigenen kulturellen Herkunft und Tradition hohe Werte gerade in unserer Zeit sind.

Es wäre wichtig, Träger eines solchen Bewußtseins auf beiden Seiten hervorzuheben und von den nationalen Extremisten abzugrenzen; und es wäre wichtig, den 10. Oktober 1920 nicht als Sieg der einen und Niederlage der anderen Volksgruppe zu feiern, sondern als Zeichen gemeinsamer Heimatliebe in einer verworrenen Zeit.

Wir stehen heute vor der Gefahr, Anlässe wie den 10. Oktober aus der sicher berechtigten Sorge, es könnten nationalistische Emotionen geweckt werden, zu folkloristischen Alibi-Veranstaltungen zu machen. Damit kommt das Problem aber nicht vom Tisch.

Das zur Entnationalisierung hin ausgeschwungene Pendel kommt sonst mit unverminderter Kraft zurück und es werden einander wieder unversöhnliche Kärntner deutscher und slowenischer Sprache gegenüberstehen, aber letztlich beherrscht von Menschen und Systemen, deren Ziel Entwurzelung und Nivellierung des „Menschenmaterials" ist.

Vielleicht kann der 10. Oktober 1980 ein Anruf an Menschen beider Völker sein, ihr je eigenes gesundes und maßvolles Nationalbewußtsein gemeinsam zu entwickeln und zu pflegen und den extremen Einflüsterern ihrer eigenen Seite abzusagen, den chauvinistischen Nationalisten ebenso wie den Nivellierern und Entwurzlern. Wenn das gelingt, dann ist keiner umsonst gestorben, hat keiner umsonst gelitten, selbst wenn seine Ziele auch ganz andere gewesen sein mögen!

Der Autor ist Ko-Vorsitzenderdes Deutsch-slowenischen Koordinationsaussohusses der Diözese Gurk-Klagenfurt und in dieser Diözese u. a. Vorsitzender des Präsidiums der Katholischen Aktion.

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