7017736-1988_33_01.jpg
Digital In Arbeit

Ein Nervenkrieg

Werbung
Werbung
Werbung

Stellt man die „Errungenschaften“ der wieder einmal neuen Religionspolitik in der Tschechoslowakei den Konsequenzen einer beinhart ausgeübten Oberaufsicht des Staates über die Kirche (Gesetz Nummer 178) gegenüber, fällt das Ergebnis der Prager Reformpolitik äußerst dürftig aus. Der Nachfrage seitens der Gläubigen entspricht das dürre Angebot des kommunistischen Regimes keineswegs.

Es ist fraglich, ob die verschiedenen Erleichterungen für die Kirche in der CSSR — zwei neue Weihbischöfe für Prag, ein Apostolischer Administrator für Tyr-nau, Erhöhung des numerus clausus in den beiden einzigen Priesterseminaren des Landes sowie einfacheres Anmelden zum Religionsunterricht - mehr sind als Versuche eines mehr oder weniger wirtschaftlich bankrotten Systems, in einem nicht zuletzt wegen der KSZE-Treffen (jetzt in Wien) doch hellhörig gewordenen Westen Imagepflege zwecks Erreichung einer gewissen Kreditwürdigkeit zu betreiben.

Mehr Religionsfreiheit gegen westliche Finanzhilfe — eine Gleichung, die ohnehin nie aufgeht; die besonders dort zu keinem Ergebnis führt, wo Staaten — wie eben die CSSR — Religionspolitik unter dem Anspruch „Befriedigung religiöser Bedürfnisse“ betreiben und damit, wie dies der Prager Erzbischof, Kardinal Frantisek Tomasek, in einem Brief an Premierminister Lubo-mir Strougal feststellte, Inhalt und Umfang des christlichen Lebens von außen diktieren und die Ansichten der Christen selbst ignorieren.

Der Dialog des Staates mit der Kirche — sprich zwischen Prag und dem Vatikan — bleibt von Seiten der CSSR solange Taktik, solange die wahren Bedürfnisse der Gläubigen nicht ernst genommen werden. Es darf zwar nicht gering geschätzt werden, daß 20 Jahre nach der gewaltsamen Beendigung des „Prager Frühlings“ durch Panzer der Warschauer Pakt-Staaten ein neuer Gesprächsanlauf mit der Kirche unternommen wird. Es erstaunt aber nicht, daß dies im Sinne eines totalitären Obrigkeitsdenkens von Prag unter Ausschluß der Ortskirche geschieht.

„Die Lage der Christen in der CSSR ist heute kaum besser als sie es in den beiden vergangenen Jahrzehnten war.“ Ein Mitglied der Bürgerrechtsbewegung Charta 77 verweist gegenüber der FURCHE auf die Uberzeugung der jetzigen Machthaber, daß die Öffentlichkeit nicht als Partner anzusehen sei. Für ein totalitäres, von stalinistischen Prinzipien lebendes Regime sei dies ein Ding der Unmöglichkeit.

Um die Lage „in Ordnung“ zu bringen, verhandle man eben mit dem Vatikan. Alles, was in diesem Zusammenhang von den Gläubigen an Wünschen vorgebracht werde — so etwa das 31-Punkte-Programm für größere Freiheit der Kirche in der CSSR, im Frühjahr von slowakischen katholischen Aktivisten initiiert und mittlerweile (eine Sensation für die CSSR) von 600.000 Gläubigen unterzeichnet -, werde als Torpedierung der Geheimverhandlungen mit dem Vatikan bewertet und verfolgt.

Auch Kardinal Tomasek blieb von diesem Vorwurf nicht verschont, als er sich hinter die Forderungen dieser neuartigen Öffentlichkeit in der Tschechoslowakei stellte. „Dieses moralische Mandat“ - so der fast Neunzigjährige — „berechtigt mich nicht nur, es verpflichtet mich sogar direkt dazu, mein Schweigen zu brechen. Daher erkläre ich im Namen unserer katholischen Gläubigen des lateinischen und griechischen Ritus: Wir fordern eine Änderung der Haltung des Staates zur Kirche.“

Dieser Forderung kann ein Staat nicht nachkommen, der von sich aus bestimmt, mit wem verhandelt wird, und der Öffentlichkeit — geschweige denn ein Mandat von dieser — nicht kennt und diese sogar fürchten muß.

Und so sieht die Praxis aus: Von den vom Vatikan bisher vorgeschlagenen Bischofskandidaten für die zehn vakanten Diözesen wurden 90 Prozent vom Staat abgelehnt. Bei der Amtseinführung der beiden neuen Prager Weihbischöfe (einer von ihnen ist bereits über siebzig) hat der amtsbehinderte Oberhirte von Königgrätz, Karel Otcenasek, Gruß- und Dankesworte gesprochen, ohne den zuständigen staatlichen Kirchenamtsleiter von Leitmeritz um Erlaubnis gebeten zu haben; jetzt hat der Bischof die Behörde am Hals.

Premier Strougal erklärte vor nicht allzu langer Zeit im Privatgespräch, daß eine Trennung von Kirche und Staat längerfristig wohl möglich sei. Vergangene Woche wetterte die Parteizeitung „Nova Mysl“ gegen solche Ideen und mahnte den Vatikan, von der Vorstellung, eine geistige Oberhoheit Europas vom Atlantik zum Ural anstreben zu wollen, abzugehen. Desgleichen wurde versucht, die Ordnungsvorstellungen vatikanischer Ostpolitik von den Hoffnungen der Gläubigen in der CSSR abzukoppeln. Mit lancierten Pressemeldungen erweckte das Regime den Eindruck, als sei auch der Vatikan mit den aufmüpfigen, Petitionen schreibenden Katholiken unzufrieden.

Als Fortschritt wurde die Zulassung von Pilgergruppen aus der Bundesrepublik Deutschland zu Wallfahrten in der CSSR bewertet. Gleichzeitig verhinderte die Geheimpolizei Berichte über slowakische Wallfahrten in österreichischen .Medien durch Beschlagnahmung von Informationsmaterial eines Journalisten aus Österreich.

Der Nervenkrieg — so der Charta 77-Unterzeichner zur FURCHE — zwischen Kirche und Staat in der Tschechoslowakei geht weiter. Die bisher am Papier bestehenden Erleichterungen sagen noch nichts über die Praxis aus. Solange hier nicht Erfolge die Gläubigen in der CSSR überzeugen, solange bleibt Religionsfreiheit in Österreichs nördlichem Nachbarland ein Potemkinsches Dorf.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung