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Ein neuer Sozialminister

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Neue Besen kehren gut. Diesem Motto scheint gegenwärtig der designierte Sozialminister Gerhard Weissenberg entsprechen zu wallen, fadein er bereits vor seiner Inthronisation tiefgreifende Reformen ankündigt. Sein Hauptprogrammpunkt — die Abschaffung der Krankenscheine und deren Ersatz durch die Registrierung bei einem praktischen Arzt — klingt zwar nach umwälzender Neuerung, ist aber, näher betrachtet, doch wohl eher eine kosmetische Operation am kranken Krankenversicherungssystem Österreichs, dem in diesem Jahr ein Defizit von mehr als einer Milliarde ins Haus steht.

Sicherlich, die Registrierung könnte eine gewisse Verwaltungsverein-fiachung sowohl für die Krankenkassen als auch für die Betriebe und Ärzte bringen, obwohl sich auch das erst in der Praxis bewähren muß. Der Preis dafür ist aber jedenfalls, daß das fundamentale Recht jedes Versicherten auf freie Arztwahl in der Praxis dadurch in Frage gestellt wird.

Zwar kann der Patient theoretisch jedes Jahr oder vielleicht sogar jedes Quartal den Arzt wechseln, in der Praxis ist es aber etwas anderes, ob ihm rmit jedem neuen Krankenschein auch von neuem die freie Arztwahl gesichert ist oder ob er die Streichung aus den Registrierungslisten beantragen muß, beziehungsweise diese nicht automatisch verlängert werden. Dies bedeutet ein uttverhüiltes Mißtrauensvotum gegen den Arzt, das viele doch lieber vermeiden möchten. Es resultiert daraus eine Art von moralischer Nötigung, welche de facto die freie Arztwahl stark beschneidet.

Sund aber erst einmal durch die Registrierung „Ware Verhältnisse“ geschaffen, dann ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zur Zuweisung zum „zuständigen“ Sprengelarzt, also auch zur De-iure-Aufhebung der freien Arztwahl, wobei als einzige Alternative zum Sprengel arzt nur der Besuch eines Kassenambulato-niiums mit seinen wechselnden Ärzten und der totalen Anonymität der Beziehung Arzt—Patient übrig bleibt.

Zweifellos ist das gegenwärtige System alles andere als befriedi-

gend. Nur geht das RegistrißRings-konzept dessen eigentlichen Insuffizienzen in weitem Bogen aus dem Weg, nämlich der Pauschalabgeltung der ärztlichen Leistung, die leider nur zu oft eine unigenügende Betreuung der ernsthaft Kranken — speziell, wenn Hausbesuche notwendig sind — nach sich zieht und oft zur Usance einer „schwarzen“ Extraho-nonierung des Arztes führt, die das ganze Krankenversicherungssystem ad absurdum führt.

Was wir wirklich brauchen, ist die Einzelleistungshonorierung für den Arzt, kombiniert mit einem prozentuellen Selbstbehalt für den Patienten — sowohl was die Medikamente, als auch, was die Arztleistung anlangt. Dieser Selbstbehalt müßte so abgestuft werden, daß er von überflüssiger Inanspruchnahme der Arztleistung, aber auch vom „Verschenken“ des Krankenscheins ohne Gegenleistung abhält, zugleich aber noch erschwinglich bleibt. Für chronisch Kranke oder bei schwerer Erkrankung könnte er hingegen aufgehoben werden.

Dies würde eine echte Reform der bisherigen Praxis darstellen, deren Mangel ja gerade darin besteht, daß für den Bagatellfall oder für den eingebildeten Kranken geradezu ein Übermaß von kostenloser Betreuung gegeben ist, wälujsnd im wirklich kritischen Fall der Patient doch zur Kasse gebeten wird oder mit außerordentlich ungenügender Betreuung, sowohl bei der Hauspflege als auch im Spital, rechnen muß. Bei Einzel-leistunigshonoirierung mit gleichzeitigem — im Krisenfalle einschränkbarem oder aufhebbarem — Selbstbehalt würde das Gegenteil erzielt: Mehrbelastung der Leicht- und Entlastung der Schwerkranken. Es ist wohl evident, welches der beiden Systeme das sozialere ist.

Gerade dieses Problem wird durch das geplante Registrierungssystem überhaupt nicht berührt. Im Gagen-.teil: die Registrierung aller Versicherten, auch der Gesundem, wird sogar die Mängel des gegenwärtigen Systems noch verstärken

Die eigentliche Crux unseres Krankanrversieherungssystems liegt aber noch ganz wo anders, nämlich bei den viel zu hohen Spitalskosten. Eine sehr massive Kostensenkung ließe sich aber, bei Behebung diverser Strukturmängel, durchaus realisieren — beispielsweise bei Bliminie-rung der unnötigen Doppeluntersu-chungen, der organisatorischen Mängel im Arbeitsablauf, der überflüssigen Verzögerung bei der Spitalsent-iassung, welche tausende Spitalsfoet-'ten unsinnigerweise blockiert, wei-ters der mangelnden Planung und Koordinierung, durch die alljährlich Milliardenbeträge verschwendet werden. Auf diesem Sektor ist vor allem der Hebel zur Sanierung der kranken Krankenkassen anzusetzen, und solange hier nicht gründlich reformiert wird, sind die neuerlichen Pläne einer Beitragserhöhung für die Krankenkassen — die gleichfalls schon ganz offiziell diskutiert werden — den Versicherten nicht zumutbar. Das gleiche gilt selbstverständlich auch für eine Erhöhung der staatlichen Zuschüsse, welche die Versicherten dann in ihrer Funktion als Steuerzahler treffen würde.

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