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Ein neuer „Vizepapst"

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Mit dem „Teufel in Person" würde er verhandeln, um Seelen zu retten, bekannte Papst Pius XI. vor sechs Jahrzehnten. Seitdem hatten die „Teufel", mit denen eine Weltkirche wie die römisch-katholische für sich und ihre Gläubigen diplomatische Überlebenskünste praktizierte, vielerlei Gestalt angenommen. Schon mangels „Divisionen", nach denen Stalin spöttisch fragte, war der Vatikan darauf angewiesen, durch Verhandeln auch mit kir­chenfeindlichen Regimen „zu ret­ten, was zu retten ist - mit kluger Vorsicht und ohne Illusionen, klar und grundsatztreu, kompromißlos im Wesentlichen, doch um ehrliche Übereinkommen im Praktischen bemüht".

So beschrieb Kardinal Agostino Casaroli, der fast dreißig Jahre lang die Ostpolitik des Vatikans prägte, seine Methode, als ihm im vorigen Sommer in der Heimatstadt des polnischen Papstes, in Krakau, die Ehrendoktorwürde verliehen wur­de. Er sei stets sicher gewesen, daß jedes Eintreten für religiöse Frei­heit „zugleich ein Dienst an der Freiheit der Völker war". Und er kann dessen gewiß sein, nachdem er - auch nach Erreichen der vati­kanischen Pensionsgrenze - dieses geschichtsträchtige Jahr noch im Amt des päpstlichen Staatssekre­tärs hatte verbringen dürfen.

Erst jetzt hat Johannes Paul II. den 76jährigen Kardinal mit eh­renden Worten verabschiedet, die weit über das Protokollarische hinausgingen. Es schwang darin die Erinnerung an Einsichten mit, die ihm selbst als Erzbischof von Kra­kau noch schwergefallen waren. Nicht nur im deutschen Katholizis­mus, wo man Casaroli noch Mitte der siebziger Jahre kommunisten­freundlicher Nachgiebigkeit ver­dächtigte, auch in Polen gab es manchen Schock, als Papst Wojtyla den Architekten der umstritte­nen Ostpolitik des Vatikans nicht nur als „Außenminister" bestätig­te, sondern bald beförderte. Schon 1979 stellte der Papst seinen er­staunten Landsleuten fast pathe­tisch den Mann vor, „der die Wege aus Rom in den ganzen Osten kennt".

Casaroli beschritt sie so behut­sam wie beharrlich: 1963 zuerst nach Budapest und Prag, dann nach Belgrad, Warschau, Ost-Berlin und - „hoffend wider alle Hoffnung" -auch nach Moskau. „Wer einem Stern folgt, kehrt nicht um" - nach diesem Motto Leonardo da Vincis war der Schneidersohn aus einem Dorf bei Piacenza zum zweiten Mann im Vatikan aufgestiegen. Und so wirkte er 1975 kräftig an der Schlußakte von Helsinki mit, die von „Realpolitikern" lange belä­chelt wurde.

Zum ersten Mal waren da die östlichen Diktaturen zur Garantie der Religions- und Überzeugungs­freiheit überredet worden, und das heißt nicht nur „Kultfreiheit", sondern Freiheit des öffentlichen Bekenntnisses. Etwas, das Europa vereinte, sah Paul VI. in diesem Ergebnis - und es war eben nicht, wie es damals hatte scheinen kön­nen, „die Poesie eines großmütigen Träumers", betonte Casaroli 1990 im Rückblick.

Priestertum und Diplomatie: Die Mischung bleibt, auch wenn sich pastoralpolitische Visionen ver­wirklichen, problematisch. Zumal angesichts einer Kirchenkrise, die sich jetzt von West nach Ost auszu­dehnen droht. Casaroli befaßte sich als „Vizepapst" mit ihr so wenig wie er den (monarchisch verfaßten) Apparat des Vatikanstaates und des „Heiligen Stuhls" im Griff hatte. Sein Nachfolger, der 63jährige Angelo Sodano, dürfte darauf mehr Energie verwenden; doch auch er kommt aus Casarolis diplomati­scher Schule. Vertraut mit der deut­schen Problematik, für die er An­fang der siebziger Jahre im Vatikan zuständig war, sammelte er ein Jahrzehnt lang Erfahrungen als Nuntius in Südamerika, bis er 1988 als „Außenminister" in den Vati­kan zurückkehrte.

Casaroli will auch im Ruhestand weiterhin versuchen, „Eiserne Vor­hänge" zu durchbrechen - in einem Heim für Jugendliche, dem er immer schon freie Stunden widmete.

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