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Ein neues Denken

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Ansiedlungsversuche sind heute nahezu schon zur Mode geworden und erfolgen oft völlig planlos nur aus dem Wunsch, eine zum Teil verödete Landschaft wieder zu beleben. Selten wird bedacht, daß es ja Gründe und Ursachen hat, wenn irgendwo keine Tiere mehr vorkommen oder der Artenreichtum abnimmt. Zumeist Ist es Nahrungsmangel, der durch Vernichtung der Insekten oder Ausrottung bestimmter Pflanzen eintritt. Umgestaltung von Landschaftsstrukturen, Austrocknung oder die Anlage von Verkehrswegen können ebenfalls viele Arten verdrängen.

Es ist eine grundsätzliche Fehlvorstellung, zu glauben, man könne hier wieder sogenannte „ursprünglich" vorhandene Arten ansiedeln. Die neu angesiedelten Tiere werden genauso verschwinden wie ihre Vorgänger, weil eben die Ursachen nicht beseitigt wurden. So ist es beispielsweise völlig sinnlos, in Landschaften, aus denen das Rebhuhn verschwunden ist, Steinhühner auszusetzen. Die Küken beider Arten nehmen vorwiegend Insektennahrung zu sich. Wo diese fehlt, werden die einen ebensowenig heranwachsen wie die anderen.

Bei den heute sicherlich wichtigen Aktionen zur Wiederbesiedlung ist daher weit weniger von der Kenntnis der früheren Fauna als von den gegenwärtigen Möglichkeiten auszugehen. Wir können nur selten alte Biozönosen rekonstruieren, in vielen Fällen aber neue schaffen. Unbeschadet der Tatsache, daß die Erhaltung noch bestehender Lebensgemeinschaften grundsätzlich wichtig ist, müssen wir überall rekognoszieren, wo Revitali-sierungsmöglichkeiten bestehen und welche Arten, auch wenn sie niemals dort vorgekommen sind, unter den neuen Bedingungen existieren könnten. Selbstverständlich ist hier vorerst nur an heimische Arten gedacht, da grobe Faunenverfälschung vermieden werden muß. Aber es gibt leider bereits eine große Zahl so stark reduzierter Arten, daß eine zufällige An-siedlung in neu entstandenen Landschaftsformen durch herumwandernde Jungtiere gar nicht zu erwarten Ist. Hier kann eine Substanzrettung fast nur durch gezielten menschlichen Eingriff erfolgen. Wir haben nicht nur Landschaftsformen und deren Ent-wicklungs- und Wandlungsdynamik, sondern vor allem Leben als Biomasse zu erhalten. Dabei ist es leider schon in vielen Fällen gleichgültig, wie und wo wir es tun, wenn es nur überhaupt geschieht.

Wir werden eines Tages sicherlich sehr großräumig und weit über die nationalen und tiergeographischen Grenzen hinaus Rettungsmaßnahmen durchführen müssen. Dann allerdings gilt es, die traditionellen Naturschutzvorstellungen neu zu überdenken. Stirbt etwa in Bali der seltene Balistar aus, wird man nicht zur weiteren Vernichtung von Individuen die in Zoos nachgezüchteten Tiere in ihre ursprüngliche Heimat transferieren, sondern irgendwo in der Welt nach Plätzen suchen müssen, wo die Art als solche weiterhin existieren kann.

Der Naturschutz steht nämlich heute, über seine ursprünglich direkt auf Tiere und Pflanzen gerichtete Aufgaben hinaus sehr unmittelbar vor der Problematik des Menschen als „Lebewesen vom gemeinsamen Stammbaum" und als Zerstörer all dessen, was vor, mit und neben ihm gewachsen ist. Überdenkt man aus dieser Perspektive das, was über Lernphasen und kulturelle Einpassung, über den Problemkreis Heimat gesagt worden ist, muß man zu dem Schluß kommen, daß wir nur dann erfolgreich sein können, wenn wir unsere eigenen Kinder zur Einpassung und zum Verständnis der ökologischen Ganzheit führen können. Dies glückt nur durch Vorbild und Erziehung, durch Bieten geeigneter Möglichkeiten zum Lernen und zum Sammeln von Erfahrungen. Dazu bedarf es aber nicht ganz bestimmter, sondern einzig und allein funktionstüchtiger Ökosysteme.

Wir müssen unseren Kindern durch entsprechende Umweltgestaltung die Existenz von Tieren und Pflanzen zum lebensnotwendigen Bedürfnis machen. Nur auf diesem Weg können Natur- und Umweltschutz Ihr Ziel erreichen. Ob diese Lebensräume aus erster, zweiter oder dritter Hand stammen, ist letztlich ohne Bedeutung. Sie müssen Vielfalt bieten und ökologisch funktionieren, brauchen aber keinesfalls, alten Erinnerungsbildern folgend, traditionelle Sentimentalstrukturen zu kopieren.

Otto Koenig zur Eröffnung des Instituts für angewandte Öko-Ethologie am Stausee Staning am 29. April 1982.

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