6814359-1972_52_05.jpg
Digital In Arbeit

Ein neues Selbstverständnis des österreichischen CV?

19451960198020002020

Sehr zum Erstaunen vieler innerhalb und außerhalb des Verbandes Stehender, gelang es dem CV kürzlich, ein kräftiges Lebenszeichen zu geben. Unter der Gesamtleitung von Ernst W. Marboe fand in den Räumlichkeiten der Studentenverbindung „Bajuvaria“ eine permanente 72-Stunden-Veranstaltung unter dem Titel „Panoptikum“ statt. Ein Experiment, das deutlich zeigte, welche Kräfte im CV noch schlummern, war es doch unmittelbar nach dem Wahlsieg der Sozialisten sehr ruhig um den CV geworden.

19451960198020002020

Sehr zum Erstaunen vieler innerhalb und außerhalb des Verbandes Stehender, gelang es dem CV kürzlich, ein kräftiges Lebenszeichen zu geben. Unter der Gesamtleitung von Ernst W. Marboe fand in den Räumlichkeiten der Studentenverbindung „Bajuvaria“ eine permanente 72-Stunden-Veranstaltung unter dem Titel „Panoptikum“ statt. Ein Experiment, das deutlich zeigte, welche Kräfte im CV noch schlummern, war es doch unmittelbar nach dem Wahlsieg der Sozialisten sehr ruhig um den CV geworden.

Werbung
Werbung
Werbung

Denn die Nationalratswahlen des Jahres 1970 haben nicht nur der ÖVP, sondern auch dem ÖCV einen gewaltigen Schock versetzt. Die darauf folgende Ratlosigkeit, das qualvolle Suchen nach erneuter Profilierung, das Ringen um ein modernes Selbstverständnis sind seither symptomatisch für beide Vereinigungen.

Was aber ist in Österreichs größtem Akademikerverband seitdem geschehen? Die Jahresversammlung (CVV) 1971 schien einen neuen Beginn zu setzen: fast einstimmig wurde die Bildungsakademie des ÖCV beschlossen und implicite ausgesprochen, daß sich der Verband verstärkt als Bildungsgemeinschaft verstehe; eine Reform der Verbandsstruktur sollte als institutionelle Basis für eine Dynamisierung des Verbandsgeschehens dienen.

Die Bildungsakademie hat in der

Zwischenzeit das in sie gesetzte Vertrauen gerechtfertigt und wird im allgemeinen kaum mehr kritisiert; was sich aber sonst im CV regt, läßt Hoffnungen auf eine Konsolidierung in der unmittelbaren Zukunft illusorisch erscheinen. In diesem Zusammenhang spielt die Verbandszeitschrift „Academia“ eine wesentliche Rolle. Dieser Zeitschrift, die jedem Mitglied des CV zugeht, jedoch bisher dem öffentlichen Verkauf entzogen war, gelingt es durch ihre große Verbreitung im Verband regelmäßig emotionale Ausbrüche zu provozieren, wobei allerdings festzustellen ist, daß Angriffe gegen die „Academia“ in den letzten Monaten vehement zugenommen haben.

Zweifellos handelt es sich bei der „Academia“ um die wohl beste

österreichische Studentenzeitschrift, die auch von Nicht-CVern gern gelesen wird. Was ihr allerdings verbandsintern vorgeworfen wird — und diese Angriffe sind kaum zu widerlegen — ist ihr permanentes Abrücken vom Verband, mit dem sie sich nur nooh am Rande (oft polemisch) beschäftigt. Die „Academia“ schwebe — so diese Vorwürfe — im „luftleeren Raum“, Mitglieder des CV, die ursprünglich die „Academia“ gestaltet haben, kämen nur noch als Leserbriefschreiber zu Wort. Proportional mit der zunehmenden journalistischen Absenz von CVern im Textteil haben allerdings die Angriffe auf den CV als Verband, wie auch persönliche Angriffe gegen CVer, zugenommen. Bezeichnend für die Ernsthaftigkeit des Konfliktes ist es allerdings auch, daß erstmalig die „Academia“ nicht nur von Seiten der Altherrenschaft, sondern auch bereits von den Jungen unter Beschuß genommen wird.

Das Gezänk rund um die „Academia“ wäre kaum von Bedeutung, wären nicht Probleme, die den Lebensnerv des Gesamtverbandes treffen, involviert. Dr. Wolfgang Aigner, verantwortlicher Beirat für die „Academia“, spricht es in einer der letzten Ausgaben aus, „daß der CV zum erstenmal in der Geschichte fast bar jeder gesellschaftlichen Macht ist, und daraus doch eine Veränderung seines Bewußtseins, seiner Strategie und seiner Taktik erflie-ßen müßte“.

Zu lange dienten Macht und Einfluß dem CV als willkommene Krücken, die eine Erneuerung und Profilierung des Verbandes als geistige Elite zwar nicht verhinderten, aber doch erschwerten.

Das Jahr 1970 hat dem CV die Notwendigkeit eines neuen ideologischen Selbstverständnisses mit aller Deutlichkeit gezeigt. Die Voraussetzungen für eine solche Diskussion im Verband sind auch durchaus vorhanden, gibt doch gerade die Absenz vom tagespolitischen Geschehen die Möglichkeit, die anstehenden Probleme nüchtern und emotionslos zu diskutieren:

• Ein Neuversftändnis des Prinzips „Religion“ und eine „bewußt und ernstgenommene Konfrontation mit dem Bekentnnis zum katholischen Glauben“ (Beiratsvorsitzender Kolb) sei notwendig;

• eine Forcierung des CV als Bildungsgemeinschaft nicht nur durch Inanspruchnahme der Bildungsakademie, sondern insbesondere auch durch Beziehung einer aktiven Position in der Gesellschaft; zu lange sei der CV eine Art von „schweigender Mehrheit“ gewesen;

• insbesondere müßte es dem CV gelingen, wieder eine Demokratiediskussion in Gang zu bringen, die aufzeigt, daß der Weg zur „freien und offenen Gesellschaft“ nur über eine funktionierende parlamentarische Demokratie möglich ist (Generaldirektor Josef Taus);

• ein gesteigertes Engagement vor allem — aber nicht nur — auf dem Gebiet der Hochschule und bei studentischen Belangen könnte erwartet werden. Ein kritischer Blick auf die Ausbildungsstätten künftiger Akademiker hat selten geschadet. Mit dem Themenkomplex des VOG beschäftigt sich auch die soeben erschienene Ausgabe der „Academia“, die dabei offensichtlich um einige Gänge zurückgeschaltet hat.

Im Vergleich zur Brisanz dieser Herausforderung müßten die Problemchen und Eifersüchteleien, die derzeit manche Kreise im CV beschäftigen, in den Hintergrund treten. Der Weg ist frei für eine intellektuelle Auseinandersetzung mit der Realität, denn nur ein realistischer CV hat Anspruch auf Anerkennung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung