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Ein Öko-Fest mit Autobahn

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Brasilien richtet heuer die globale Umweltkonferenz aus - und erwartet damit eine kräftige Ankurbelung des Tourismus. Langsam begreift aber auch das Riesenland, daß Ökologie keine Erfindung der „Imperialisten" ist.

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Brasilien richtet heuer die globale Umweltkonferenz aus - und erwartet damit eine kräftige Ankurbelung des Tourismus. Langsam begreift aber auch das Riesenland, daß Ökologie keine Erfindung der „Imperialisten" ist.

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„United Nations Conference on Environment and Development" (Unced) heißt offiziell die weltweite Umweltdiskussion, die in diesem Rahmen vor knapp 20 Jahren in Stockholm mit einer Konferenz begann. Die nächste, abgekürzt mit ECO '92 oder einfach „Erdgipfel", findet im Juni in Rio statt. Die Stadtverwaltung freut sich darauf, weil die Hotels endlich wieder voll sein sollten. Denn die traditionellen Touristen sind zum Teil durch hohe Kriminalität, Bettlerei, Stadtverfall und Verschmutzung der berühmten Strände vertrieben worden. Jetzt soll der Konferenztourismus die Löcher stopfen helfen.

Umwelt hin oder her - Rio bereitet sich auf die Monsterveranstaltung, umschwirrt von Hunderten von Nebenveranstaltungen und Öko-Festen, partout mit einer neuen Autobahn vor, an der man Tag und Nacht baut. Sie wird es den Gästen ermöglichen, die zum Teil als Hochtrasse (über bewohntes Gebiet hinweg) entlang der Meeresbucht geführte Strecke zwischen dem Flughafen und dem Stadtzentrum in 15 Minuten zu bewältigen.

Brasiliens Staatspräsident Fernando Collor de Mello hält als Atout für die ökologische Diskussion seinen unorthodoxen Umweltminister Jose Lutzenberger in Händen. Seiner Person wegen werden Brasilien weltweit Umweltsünden nachgesehen. Auch setzt Brasilien kluge Einzelmaßnahmen, um die internationale Kritik an der Art brasilianischer Modernisierung mit ihrem rücksichtslosen Griff auf die Ressourcen abzuschwächen.

Dazu gehört vor allem die jüngste, gegen die eigenen Militärs durchgesetzte Maßnahme, den Yanomami-Indianern im nördlichen Amazonasraum ein gesetzlich verankertes Land-Reservat zuzuteilen. Da jenseits der Grenze Venezuela mit einem Nationalpark mitzieht, verfügen die Yano-mami, denen durch Ölbohrungen und Goldwäscherei schon übel mitgespielt worden ist, nun über rund 150.000 Quadratmeter Regenurwalds, die der Siedlungs-, Schürf-, Schlägerungsund Modernisierungspolitik entzogen sind.

Solche Entscheidungen sollten sich für das marode Brasilien auszahlen, weil der Vorwurf, den Amazonasraum zu zerstören, Wunden aufreißt. Brasilianer halten dies für „colonia-lismo ambiental", für Umwelt-Kolonialismus, den man insbesondere den europäischen Grünen zutraut. Immerhin hat die Präsidentschaft begriffen, daß mit Umweltschutz internationale Hilfsgelder eingefangen werden können.

Auf dieser Klaviatur wird brillantzynisch gespielt. Indes, es kommen dabei, wie im Falle der Yanomami auch echte Umweltentscheidungen zustande. Außerdem begreift man auch in Brasilien, daß Ökologie keine Erfindung der Europäer ist, denn Umweltschäden treffen auch Brasilien immer härter.

So war Cubatao, der Industriegürtel von Sao Paulo, zu Beginn der achtziger Jahre derart vergiftet, daß Sanierungsmaßnahmen nicht mehr aufgeschoben werden konnten. Die schlimmsten Geschwüre sind dort ausgeheilt. Auch Rio hat begriffen, daß seine Meeresbucht gerettet werden muß, weil das Land sonst keine touristische Zukunft hat. Curitiba und andere Städte in Südbrasilien haben zudem vorgezeigt, daß saubere und ordentlich verwaltete Urbane Zentren auch im eigenen Land möglich sind.

Beachtung verdient auch das Projekt „jari" an der Mündung des Amazonas, jenes agroindustrielle Experiment, an dem sich der nordamerikanische Milliardär Ludwig die Zähne ausgebissen hat. Eine brasilianische Unternehmergruppe, die das Vorhaben in Eigenregie weiterführt, beachtet nicht nur Umweltstandards, sondern erzielt mit Holz, Zellulose, Reis, Früchten, Elektrizität und Tonerden erstmals auch Gewinn.

Anderswo stechen wieder krasse Umweltschäden ins Auge. Wie groß die Quecksilbervergiftung ist, die wilde Goldsucher verursachen, ist noch nicht einmal gemessen. Im chronisch armen Nordosten des Riesenlandes, wo keine Agrarreform greift, bildet sich - wie Rios Tageszeitung „Journal de Brasil" in einer Reportage im November enthüllte - ein „brasilianischer Pygmäentyp" heraus, der infolge generationenlanger Unterernährung im Schnitt 145 Zentimeter groß ist.

Und wo die Agroindustrie vom Flugzeug aus Schädlingsbekämpfung betreibt, sind die Raten von Totgeburten und deformierten Säuglingen beunruhigend hoch.

Ökologie, Brasilien begreift das heute, ist keine Erfindung der „Imperialisten", um das Land in Fesseln zu halten, sondern ist eine Notwendigkeit, der sich keine Regierung mehr entziehen kann.

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